Die Assoziation als Organ wirtschaftlicher Selbstverwaltung
Sehr verehrte Anwesende, liebe Freunde,
Ich denke, dass ich jetzt sehr gut anknüpfen kann an meine vergangenen Vorträge hier im Rudolf Steiner Haus Heidelberg, aber vor allem auch an das, was Ralf Gleide eben entwickelt hat. Es ist wirklich erstaunlich, ich bin gespannt, ob Sie sehen, wie sich mein Vortrag mit dem von Ralf Gleide verbinden wird. Dabei haben wir uns nicht abgesprochen! Wir haben uns nur kurz per Mail mit zwei drei Sätzen das Thema mittgeteilt, und jetzt sitze ich da und höre, wie sich Ralf Gleides Gedanken Stück für Stück anschließen an das, was ich jetzt vortragen möchte. Ich kenne ja jetzt Ralf Gleides Vortrag, aber er kennt meinen noch nicht. Ich bin also gespannt, ob er das genau so erlebt wie ich.
Sie wissen ja, dass ich am Institut für soziale Dreigliederung in Berlin arbeite, zusammen mit Sylvain Coiplet, Elisabeth Weber, Andreas Schurack und anderen, um einmal auch Namen zu nennen. Wir bemühen uns also von Berlin aus um eine soziale Dreigliederung, mit Wort und Schrift, durch Begleitung von Initiativen auf einem der drei Gebiete, aber auch durch die sehr starke Webseite www.dreigliederung.de. Über diese Webseite bekommen wir immer wieder Emails, die Leute schreiben: das ist ja eine tolle Webseite, das sind ja tolle Gedanken, aber – warum macht ihr denn nicht was dafür, dass diese guten Ideen eingeführt werden? Warum wendet ihr Euch nicht an Menschen, die Macht haben, an Politiker, an Wirtschaftsbosse, an die Presse, damit diese Idee der sozialen Dreigliederung endlich eingeführt werden kann?
Ich weiß dann immer nicht, was ich antworten soll, denn da liegt ja ein grundsätzliches Missverständnis vor. Die soziale Dreigliederung ist nämlich gar keine Idee in diesem Sinn, und sie ist schon gar nicht etwas, das irgendwie eingeführt werden könnte. Sie ist genau das Gegenteil. Zwar muss ich sie jetzt als Idee formulieren, denn anders kann ich mich Ihnen nicht verständlich machen. Aber diese Idee soll Sie nur auf die Punkte im sozialen Leben hinweisen, an denen wir nicht mehr von Ideen ausgehen können und dürfen. Man geht ja gewöhnlich bei allem, was man im sozialen Leben ausrichten will, von Ideen aus. Mit ihren Ideen wollen sich die Menschen heute in das soziale Leben stellen, beziehungsweise, sie wollen sich selber gar nicht in das soziale Leben hineinstellen, sondern bloß eine Idee hineingeben. Sie beobachten das Kapital, wie es um die Erde zirkuliert, hier Arbeitskräfte bindet, dort fallen lässt, hier Überfluss, dort Elend erzeugt, wie es schließlich sogar Kriege hervorruft. Das beobachten die Menschen, und dann sagen sie: also braucht es eine Idee über die Art, wie wir zusammenleben wollen. Die soll in unserer Mitte sein, die Idee. Und zwar soll sie so in unserer Mitte sein, dass man dann die Handlungen der einzelnen Menschen sich denken kann als bewirkt von dieser Idee, sofern diese zu der Einheit des sozialen Lebens beitragen, versteht sich. Alles andere ist dann privat. Aber sofern die Handlungen nicht privat sind, denkt man sie sich als aus einer Idee herauswachsend. Die gemeinsame Idee vereinheitlicht, die Idee sozialisiert. Das ist der Systemgedanke.
Ja, aber dann muss das natürlich, außerdem, dass man es sich wünscht, auch noch passieren. Wie kann das Wirklichkeit werden, wie geschieht das? Zuerst sitzen Menschen zusammen und denken sich so eine Idee aus. Und dann – ja was dann? Dann bleibt ja nur noch, die Idee einzuführen. Das heisst aber, man gibt diese Idee an eine Stelle, die Gewalt besitzt, an den Staat, an einen Weltgipfel, und so weiter. Und die Gewalt macht dann, dass die Idee Wirklichkeit ist, dass man sich die Handlungen der Menschen denken kann als bewirkt durch die Idee, und zwar indem man eben schaut, ob im Sinne der Idee gehandelt wird, und wenn nicht, die Gewalt sprechen lässt. Das Bindeglied zwischen der sozialen Idee und dem sozialen Leben ist also die Gewalt in irgendeiner Form. Und es versteht sich eigentlich von selbst, warum das dann eben doch nicht sozial wirkt! Aber so denken wir heute immer: der Staat soll den Finanzmarkt regeln, der Staat soll unsere Arbeitsplätze sichern, der Staat soll uns ein Einkommen geben, der Staat soll unsere Bildung verbessern. Dadurch ist es immer schlimmer, und schlimmer, und schlimmer geworden. Denn diese Haltung ist selbst das antisoziale Element. Indem wir ausgehen von Ideen, und die Ideen dann verbinden mit dem politisch-rechtlichen, also im Namen von Ideen zwingen wollen, auf diesem Weg kommt überhaupt das Antisoziale in die Welt. Und das Gegenteil zu diesem Vorgehen, das ist gemeint mit sozialer Dreigliederung. Soziale Dreigliederung meint, wirklich einmal sozial zu denken, und eben überhaupt nicht mehr von Ideen auszugehen, sondern von jedem einzelnen Menschen. Die soziale Dreigliederung verstehen Sie, wenn Sie genau die umgekehrte Frage stellen, wenn Sie fragen: Was geschieht, wenn wir keine Ideen mehr für andere Menschen haben? Was passiert zum Beispiel in dem Augenblick, da wir aufhören, etwas in einen Arzneimittelkatalog hineinzuschreiben, da wir nicht mehr definieren, was Medizin, was Therapie ist, da wir sogar nicht mehr definieren, was ein Arzt ist, da wir aufhören, überhaupt einen Gesundheitsministerium zu haben, da niemand mehr ein Recht braucht, um Arzt zu sein, und keiner mehr das Recht geben kann, weil gar nirgendwo geschrieben steht, was das eigentlich ist, ein Arzt? Was bleibt dann?
Dann haben wir auf der eine Seite den kranken Menschen, und auf der anderen Seite den, der helfen will. Und wenn es letzterem gelingt, die Krankheit zu heilen, wenn seine Methode wirksam ist, werden andere zu ihm gehen. Wenn er aber wirklich Menschen gesund machen soll, dann müssen diese Menschen ihm das geben, was er zu seinem Lebensunterhalt braucht. Denn sonst muss er ja etwas anderes arbeiten. Also, wenn er für die Gesundheit der Menschen Sorge tragen soll, dann müssen die Menschen, die seine dahingehenden Fähigkeiten erfahren haben, ihn von der Arbeit freistellen, anders geht’s ja nicht. Sie müssen ihn beschenken, damit er nicht etwas anderes arbeiten muss. Und so wird sich immer nur derjenige halten können, bei dem die Menschen das Erlebnis habe, dass sie tatsächlich gesund werden. Und das definiert dann einen Menschen als Arzt. Das heisst, nicht irgendeine Idee, nicht die Methode von gestern definiert den Arzt von morgen, sondern die Gesundheit selber definiert den Arzt. Da, wo die Patienten gesund werden, da geht das Geld hin, und da kann dann auch einer Arzt sein. Das heisst, das Geld, dass Sie heute der Krankenkasse geben müssen, damit die Kasse dann definiert, was ein Arzt und was Medizin ist, bleibt in Ihrer Tasche, das geben Sie selber dahin, wo Sie die Erfahrung machen, dass Sie in guten Händen sind - mit der Konsequenz, dass der Arzt endlich wirklich arbeiten kann, und Sie gesund werden.
Und diese Art, wie man also nicht mehr ausgeht von Ideen, sondern von Menschen, die dann schon ihre eigenen Ideen haben werden, diese Art denken Sie sich bitte einmal als das Organisationsmittel allen Kultur- und Geisteslebens, also aller Prozesse, bei denen wir es unmittelbar mit den Fähigkeiten und Erkenntnissen von Menschen zu tun haben. Dann definiert die Erkenntnis den Professor, statt umgekehrt, und dann definiert der Bildungsfortschritt die Lehrmethode, statt umgekehrt. Dann haben wir nicht mehr 27 Milliarden in der Erforschung der Atomenergie und nur 6 Milliarden in der Erforschung der regenerativen Energien, während die Mehrheit der Menschen die Atomenergie ablehnt, sondern dann haben wir das Gegenteil. Dann haben wir ein organisches Wachstum, das heisst, ein am Menschen orientiertes Wachstum statt der krebsartigen Wucherungen. Sie sehen also: in dem Augenblick, da Sie nicht mehr den Schlauberger spielen, da Sie nicht mehr Ideen dafür haben, wie andere Menschen leben sollen, in dem Augenblick gliedert sich das Leben selber. Dann ist es eben so, dass Wissenschaft, Bildung, Kultur usw. nicht mehr auf demokratischen Prozessen beruhen, verwaltungsmäßig überhaupt keinen Berührungspunkt mit der Staatsverwaltung haben, sondern bloß vom individuellen Urteil jedes einzelnen Menschen abhängen. Die Gewalt wird dann nichts mehr tun können für die Ausbreitung irgendeiner Meinung, sondern es wird sich alles kulturell-geistige nur noch in dem Maß verbreiten können, in dem es auf die freie Anerkennung des Individuums trifft, dem man dieses angedeihen lassen will.
Das freie Verständnis ist das einzig mögliche Qualitätsmanagement für das Kultur- und Geistesleben, denn nur durch das Ich hindurch, durch das freie Verständnis des Einzelnen konzentrieren sich die Kräfte immer da, wo aktuell das größte geistige Potential liegt. Und die Menschheit wird immer mehr bis ins Physische hinein in Abhängigkeit davon kommen, ob sie das durchschaut, ob sie im Stande ist, sich die individuellen Fähigkeiten nutzbar zu machen. Anders als durch Freiheit kann es in unserer Zeit kein Fortschreiten mehr geben. Denn das Verhältnis des Menschen zum Geist hat sich grundlegend geändert seit dem 16. Jahrhundert. Wenn Sie formelhaft fassen wollen, was sich seitdem geändert hat, können Sie sagen: vor dem 16. Jahrhundert erlebte sich der Mensch so, dass er sagen musste: ich bin in Gott. Er fühlte sich eingebettet in eine göttliche, kosmische Ordnung, in einen großen Weltzusammenhang. Seit dem 16. Jahrhundert sagt der Mensch aber immer deutlicher: Gott wohnt in mir. Und seitdem erlebt der Mensch auch alle Ordnung, allen Zusammenhang, also alles Ideenhafte als abhängig von dem Gott in sich, von seinem Ich. Sich selber fühlt er verwandt mit den einzelnen Sinnesdaten, mit der Welt der sinnlichen Einzelheiten, und mit ihnen muss er auch vergehen, denn der Zusammenhang, die Ordnung, das Geistige, das ist alles subjektiv, dass schafft er aus sich selbst heraus. Da hat eine wirkliche Umstülpung des Verhältnisses von Mensch und Welt stattgefunden, und daher kann der Mensch auch nur auf ganz andere Art das Geistige auffassen als noch im Mittelalter. Wie real das ist, sehen Sie zum Beispiel an dem Weltbild der Menschheit vor und nach dem 16. Jahrhundert: vorher dachte man sich die Erde als Mittelpunkt des Kosmos, eingebettet in den Himmel. Danach schaut der Mensch von der Erde aus auf die Sonne als dem Zentrum des Kosmos. Eine vollständige Umstülpung der Seele ist das. Und nur wer diese Umstülpung bis ins Soziale hinein mitvollziehen kann, wird ein wissenschaftlicher Mensch. Es sind heute aber die wenigsten Menschen wirklich aufgeklärt. Das ist das Problem. Das sehen Sie eben daran, dass, während der Mensch sich selber für einen Materialisten hält, er in Wahrheit den mittelalterlichen Gott verehrt, indem er fühlt: es braucht eine Idee, die von Außen an uns herankommt und harmonisierend auf die Individuen wirkt, eine Idee, in der wir wohnen können, in der wir endlich schlafen dürfen. Das ist das Mittelalter! Den Schritt zum wissenschaftlichen Menschen vollziehen Sie erst, wenn Sie den Gott im Menschen im sozialen Leben voll anerkennen. Denn alles Geistige ist heute tatsächlich individuell errungen, alles Geistige muss tatsächlich durch das Ich hindurch, jede Idee muss die Prüfung durch den freien Menschen bestehen. Also, Sie sehen, wie die Frage der Wissenschaft in ihrem Kern identisch ist mit der Frage nach der sozialen Ordnung. Die Dreigliederung muss niemand erfinden oder gar einführen, sie ist das, was eintritt, sobald Menschen wissenschaftlich denken und sich demgemäß dann auch zueinander stellen, das heisst, sich sozial verhalten. Dann gliedert sich das soziale Leben, indem zunächst der ganze Bildungsbereich eine relative Selbständigkeit gegenüber der rechtlichen Sphäre erlangt.
Das kann man als Anthroposoph sehr gut verstehen, durch die anthroposophische Arbeit selber, denn dadurch ist man es gewohnt, bloß zum Zweck der eigenen Bildung zusammenzukommen, sich ganz frei von staatlichen oder wirtschaftlichen Interessen zu begegnen. Man hat also als Anthroposoph schon ein instinktives Verständnis für die Notwendigkeit der Befreiung des Geisteslebens aus staatlicher Vormundschaft. Gerade weil dieses Verständnis noch am meisten da ist, sind aber auch die Anthroposophen das eigentliche Problem für mein heutiges Thema. Denn mit dem, was man in der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch entwickeln kann, mit der Freiheit, mit dem freien Verständnis für den anderen Menschen, kommt man an die Wirtschaft nicht mehr heran. Die Wirtschaft hat gar nichts zu tun mit Freiheitslogik, sondern die beruht auf etwas ganz anderem. Und aus diesem Grund sind die Anthroposophen, und nicht andere, das eigentliche Hindernis, wenn es darum geht, denkend auch näher an die wirtschaftlichen Prozesse heranzukommen. Denn die Anthroposophen wollen mit dem, was sie sich an freiem Verständnis als Organisationsmittel errungen haben, auch in die Wirtschaft hinein. Mit dem freien Verständnis können sie aber dort niemals etwas anderes fassen als wiederum das Geistesleben. Die Wirtschaft muss so gerade immer draußen bleiben aus dem Denken, muss dem Denken immerzu entgleiten. Schauen Sie mal, was Götz Werner bei dm macht - Betriebsklima, Schulungen, und so weiter. Das ist wunderbar! Aber das ist Geistesleben. Was innerhalb eines Betriebes die Menschen verbindet, ist Geistesleben, im Idealfall freies oder halbfreies Geistesleben. Oder sehen Sie, was für Bücher geschrieben werden. Zum Beispiel „Kapital = Geist“. Da ist es direkt ausgesprochen: man erfasst nicht das Wirtschaftsleben, sondern das, was vom Geistesleben in der „Wirtschaft“ drinnen steckt, Wirtschaft dann aber natürlich im äußeren Sinne verstanden, denn das Wirtschaftsleben fasst man eben gar nicht, sondern wieder nur das Geistesleben in der vermeintlichen „Wirtschaft“, die aber dann selber nur eine Schimäre ist. Oder sehen Sie, was man sich für Vorstellungen bildet über das Verhältnis von Geistesleben, Wirtschaftsleben und Rechtsleben zueinander: da ist oben das Geistesleben, und das strahlt dann ab auf Wirtschaft und Staat, sozialisiert Wirtschaft und Staat. Das ist aber nichts anderes, auch wenn das Geistesleben selber dann frei gedacht ist, als der Think-Tank- Gedanke der Neoliberalen. Man schaut gewissermaßen nur von Außen auf das Wirtschaftsleben drauf, während man selber geistig im Geistesleben drinnen steckt. Was man jedoch nicht schafft, das ist: das Geistige in der Wirtschaft selber zu ergreifen, das Geistige auch da zu finden, wo es es nicht mehr der Freiheitslogik gehorcht, wo es sich als scheinbar rein materieller Prozess zwischen die Individuen schiebt. Genau das wollen wir heute Abend fassen, indem wir zwar erst noch in der Perspektive des freie Geisteslebens bleiben, uns dann aber langsam annähern an die Grenze des Geisteslebens, und dann sehen, ob es uns gelingt, den Absprung zu schaffen hinüber in die Wirtschaft.
Womit hat man es zu tun in der Wirtschaft? Man hat es da nicht mehr mit dem zu tun, was unmittelbar von Individuum zu Individuum geht. Nein, hier hat man es mit dem zu tun, was sich zwischen die Individuen schiebt, mit der Ware. Deshalb ist die Wirtschaft auch keine Frage der Freiheit. Denn nicht der anderen Individualität wendet sich der arbeitende Mensch direkt zu, sondern der Natur, und dann bearbeitet er sie im Hinblick auf die Bedürfnisse anderer Menschen. Er nimmt also schon die andere Individualität in den Blick, aber durch die Materie hindurch, und er nimmt sie auch nicht als solche in den Blick, sondern insofern diese Individualität dieser durch die Arbeit verwandelten Materie bedürftig ist. Und das, was dann die Menschen verbindet durch den veränderten Naturwert hindurch, über die bearbeitete Natur, über den Warenverkehr, die komplizierten Fäden, die da über die ganze Erde hin verlaufen, die wechselseitigen Abhängigkeiten jedes Menschen von jedem anderen durch die Ware, das müssen wir erfassen, in dieses Geflecht müssen wir bewusstseinsmäßig eindringen. Das hat aber nicht das Geringste zu tun mit der Form der Bewusstseinsbildung, wie sie für das Geistesleben möglich und nötig ist.
Aber wir stehen ja hier im Geistesleben. Wir stellen uns jetzt auf geistige Art zueinander. Nur Hinweisen kann ich deshalb von hier aus auf die Art, wie wir uns dann zueinander werden stellen müssen, wenn wir wirklich auch aufwachen wollen für den Wirtschaftsprozess. Und ich will mich zu diesem Zweck zuerst vom Geistesleben aus annähern an das Wirtschaftsleben. Wie wirkt eigentlich das Geistesleben auf die Wirtschaft, wie wirkt die Sphäre des freien Verständnisses auf jene andere Sphäre, bei der die Ware zwischen die Individuen tritt? Mit dieser Frage kann man ja vielleicht am besten vom Standpunkt des Geistesleben aus dann den Blick zum Wirtschaftsleben hinlenken. (Johannes Mosmann malt einen Kreis an die Tafel.) Das hier ist ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet. Es ist deshalb geschlossen, weil hier an der Außengrenze kein Import und kein Export stattfindet. Solche geschlossenen Wirtschaftsgebiete gab es früher viele, heute sind sie alle zusammengewachsen, so dass wir heute nur ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet haben: die Erde. Die Erde ist deshalb ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet, weil wir ja schlecht mit dem Mond Handel treiben können. Also, denken Sie sich dieses Gebiet als unsere Erde. Auf dieser Erde leben Menschen, Milliarden Menschen. Ich schreibe jetzt hier nur hundert hin, damit es leichter zu rechnen ist. Es geht ja nur darum, etwas anschaulich zu machen. Also, hier in diesem geschlossenen Wirtschaftsgebiet leben hundert Menschen. Diese hundert Menschen haben Bedürfnisse, die sie befriedigen müssen, wenn sie überhaupt da sein wollen. Sagen wir, sie müssen Getreide essen und sich bekleiden. Weder Getreide noch Kleidung ist aber einfach da in der Natur. Beides ist erst durch menschliche Arbeit da. Es ist also eine gewisse Anzahl an Arbeitsstunden nötig, damit diese Güter da sind, damit letztendlich auch die Menschen da sein können. Nicht der Staat, nicht der Unternehmer, sondern die Natur zwingt den Menschen zur Arbeit. Es fällt also auf jeden der 100 Menschen eine ganz bestimmte Anzahl an Arbeitsstunden pro Tag. Natürlich nur solange wir nicht rassistisch denken. Wir denken uns diese 100 Menschen jetzt einmal nicht als Rassisten. Ich hatte Ihnen ja das letzte mal geschildert, was die Helenen eigentlich für Rassisten waren, wie sich da ein ganzes Volk zu fein war für die Arbeit und sich stattdessen umfassend zu bilden gedachte, weshalb dann andere Völker das Lebensnotwendige besorgen mussten, die dann einfach zu diesem Zweck unterworfen wurden und sich nicht bilden konnten. Die griechische Kultur war auf Sklaverei und Eroberungskrieg gebaut, und insofern fiel da natürlich nicht auf jeden die selbe Arbeitszeit, sondern die Arbeit musste unter denen geteilt werden, die unten waren. Daran ging das antike Griechenland übrigens zu Grunde, Griechenland ging unter, weil sich die Helenen zu fein zum arbeiten waren, auch dann noch, als sie sich zahlenmäßig so stark vermehrt hatten, dass die Raubzüge für die „höhere Rasse“ nicht mehr genug hergaben. Aber wir gehen jetzt mal davon aus, dass diese 100 Menschen hier alle die selben Rechte haben, dass also jeder gleich lange arbeiten muss.
Jetzt können wir natürlich sagen: jeder arbeitet dann für sich selber. Hier haben wir einen Menschen, und da noch einen, und jeder geht auf das Feld, pflügt den Acker, vorher muss er sich natürlich den Pflug bauen, dann sät er, erntet, drescht das Getreide mit dem Dreschflegel, stellt den Dreschflegel in den Schuppen, mahlt das Mehl in der Mühle, die er sich gebaut hat, backt es in dem Ofen, und dann geht er in die Näherei, schmiedet sich natürlich zuerst eine Nadel, aber dann geht er in die Näherei und näht sich ein Hemd. Ja, Sie lachen, natürlich, denn da stimmt ja etwas nicht. Das merkt man natürlich, denn das kann ja gar nicht sein. Das hat es in Wahrheit auch nie gegeben. Die Selbstversorgerwirtschaft, sehr verehrte Damen und Herren, ist eine Lüge, die hat es nämlich in der Geschichte der Menschheit niemals gegeben und die wird es auch niemals geben, denn wenn es sie gäbe, dann gäbe es keine Menschen. Das Märchen von der Selbstversorgung ist entstanden in einer Zeit, als die Menschen langsam Angst bekamen vor der arbeitsteiligen Weltwirtschaft, und sich deshalb das Gegenteil romantisch ausmalten. Aber das hat es so nie gegeben, denn sonst hätte es auch nie Menschen gegeben. Warum? Einfach deshalb, weil wenn hier tatsächlich jeder für sich selber arbeiten würde, jeder gerade mal dahin kommen könnte an einem Tag, den Mund voll zu kriegen, vielleicht einen Hasen zu fangen, und am nächsten Tag erginge es ihm ebenso. Er würde dicht an der Natur kleben, er käme gar nicht dazu, aufrecht zu gehen und sich ein Hemd zu nähen, oder sich gar über irgendetwas Gedanken zu machen, denn dafür fehlte ihm einfach die Zeit. Er wäre ein Tier, kein Mensch. Die Zeit für das Feinere, das nötig ist, um sich allmählich vom Boden zu lösen, um feinere Bedürfnisse zu befriedigen, um gar zu Denken, kurz, die Zeit, die ein geistiges Wesen braucht, um als solches überhaupt da zu sein, diese Zeit kann nur dadurch frei werden, dass die Arbeit, die zum Erhalt der Leiber aufgewendet werden muss, geteilt wird, dadurch also, dass nicht jeder für sich arbeitet, sondern umgekehrt für den anderen. Der Mensch kann nur auf der Erde sein dadurch, dass er für seinen Mitmenschen arbeitet anstatt für sich selber. Denn nur durch die Arbeitsteilung gewinnt er die Zeit, die er braucht, um Mensch zu sein.
Wir haben deshalb von Anfang an, seit dem Augenblick, da es menschliche Kultur gibt, auch eine arbeitsteilige Wirtschaft. Nehmen Sie die alte ägyptische Kultur, über die ich bereits gesprochen habe, dann sehen Sie: da ist der Bauer, und da ist der Handwerker, und der eine fertigt die Ware für den anderen, nicht etwa für sich. Und das spart Zeit. Und diese ersparte Zeit gibt dem Geist den Raum, den er für sein Dasein braucht. Vielleicht nur ein Detail, anhand dessen Sie sich darüber klar werden können, warum die Arbeitsteilung eigentlich die Zeit frei macht: Nehmen Sie nur mal diese eine Handbewegung, wie ich hier den Dreschflegel zurück in den Schuppen stelle. Wenn jeder der hundert Menschen in unserem Bild für sich selber Getreide anbaut, wird diese Bewegung 100 mal gemacht. Wenn aber sagen wir nur 70 Leute Getreide anbauen, nicht für sich, sondern für alle 100 mit, dann wird diese Bewegung nur 70 mal gemacht. Diese Bewegung wird dann 30 mal gespart. Oder nehmen Sie einfach nur die Wege, die gegangen werden. Es gibt also gewisse Tätigkeiten, die werden weniger, wenn man sie gleich für andere mitmacht. Das nur als ein Beispiel, man muss noch anderes hinzunehmen, um sich ganz klar über das Prinzip der Arbeitsteilung zu werden. Aber Fakt ist: die Arbeitsteilung spart Zeit, macht Zeit frei für eine andere Produktion, oder eine rein geistige Betätigung.
Nun, aber diese Teilung, die geht ja allerdings ihrerseits wiederum auf Geist zurück. Denn es muss ja von irgendwoher die vernünftige Einrichtung der Wirtschaft gekommen sein. Es ist von Anfang an Vernunft in der Wirtschaft, von Anfang an organisiert der Geist die Wirtschaft, indem er die Arbeit teilt. Der Geist wirkt auf die Wirtschaft, indem er die Arbeit teilt. Wo aber kommt der Geist am Anfang der Kulturgeschichte her? Aus den Tempeln. Der Pharao sagte einfach: Du stehst da und bist Bauer, und Du stehst da und machst jenes. Durch eine zentrale Macht waren die Menschen an ihren Platz gestellt, der Tempel teilte also die Arbeit, wie er auch die Erzeugnisse der Arbeit dann wiederum zuteilte. Da kam der Geist zunächst her, aus den Einweihungsstätten. Dann wanderte der Geist aber allmählich aus dem Tempel heraus und ging in die Verantwortung jedes einzelnen Menschen über. Das sehen wir ansatzweise schon bei den Griechen, obwohl man da sagen muss: unter Griechen waren zwar die Griechen gleich, aber eben auch nur die Griechen. Es waren nur die Griechen als Geistesmenschen, als Vollmenschen angesehen. Denn die Helenen waren, wie gesagt, Rassisten. Aber in diesen Grenzen haben wir dann doch einen Individualisierungsprozess. Der eine Grieche wollte sich von dem anderen nicht hineinreden lassen, und so musste man sich irgendwie einig werden. Das hängt zusammen mit dem allmählichen Einschlag des Verstandes in die Seele: während die Ägypter sich mehr träumend noch in eine kosmische Ordnung eingebettet fühlten und das Diesseits noch gar nicht klar von dem Jenseits schieden, wachten die Griechen auf für die äußere, sinnliche Welt und entwickelten erste Ansätze einer äußeren Wissenschaft. Aufwachen für die Einzelheiten der äußeren Sinnlichkeit, und sich selber als Individuum erleben, das sind zwei Seiten des selben Prozesses. Der Mensch fühlt sich im Laufe der Geschichte selber immer mehr verwandt mit den Einzelheiten, während er den Geist, also alles irgendwie Zusammenhängende, Ordnende oder Ideelle dafür immer mehr als von dem einzelnen Menschen willentlich hervorgebrachtes, und schließlich sogar als bloß Subjektiv erlebt. Bei den Griechen war davon freilich erst ein zarter Hauch zu sehen. Sie fassten die Ideen noch mehr als in der äußeren Welt liegend auf. Aber doch wurde im antiken Griechenland der Geist von einzelnen Individualitäten ergriffen und zu einer vorläufigen Blüte getrieben.
Die Griechen bearbeiteten ihren Geist, indem sie Physik, Astronomie, Mathematik und so weiter trieben. Diese Wissenschaften führten wiederum zur Beherrschbarkeit der Natur, zu äußeren technischen Anwendungen. Und so haben wir es dann mit dem Erfinder zu tun, etwa mit einem Archimedes. Archimedes wendet seinen Verstand auf die Natur an und erfindet zum Beispiel die Wasserpumpe. Und wenn wir uns jetzt einmal für einen Moment darauf einlassen, was durch so etwas scheinbar triviales geschieht, dann werden wir das Wesentliche schon fassen. Zunächst ist diese Wasserpumpe ja eine Idee. Als Idee wird sie weitergetragen, nach Bagdad, später nach Mitteleuropa, als Idee wird sie weiter entwickelt durch das geistige Zusammenwirken der Völker, je mehr wir in die neuere Zeit kommen, auch durch das freie geistige Zusammenwirken freier Individuen. Die Menschheit könnte die Idee jedoch Jahrtausende weiterbewegen und sich doch nicht fortentwickeln, wenn zu dem geistigen Zusammenwirken der Menschen nicht auch ein Ungeistiges treten würde, wenn sich die Menschen nicht auch auf ungeistige Art zueinander stellen würden. Denn der Geist ist als solcher wirtschaftlich irrelevant. Er muss erst umschlagen in sein Gegenteil, um dem Menschen, um auch sich selber das reale, wirtschaftliche Dasein zu geben. Und auf das richtige Verstehen dieses Umschlagens vom Geistigen ins Ungeistige kommt alles an.
Versuchen wir einmal, dieses Umschlagen am Beispiel der Idee der Wasserpumpe zu verfolgen. Wie sieht unsere Dorfwirtschaft mit den 100 Menschen, zunächst noch vor der Erfindung der Wasserpumpe aus? Da haben wir, wie gesagt, verschiedene Sorten von Waren, die in einem bestimmten Umfang verbraucht werden müssen, damit diese 100 Menschen überhaupt leben. Sagen wir, neben dem, was die Natur selber hergibt, brauchen die Menschen noch zwei Dinge, welche die Natur nicht gibt, welche erst aus ihrer Arbeit an der Natur hervorgehen. Sagen wir, sie brauchen Getreide, und sie brauchen Kleider in einem bestimmten Umfang. Beides setzt ja die Arbeit voraus. Und wenn wir davon ausgehen, dass diese 100 Menschen in einem Jahr einen bestimmten Verbrauch an Getreide und an Kleidung haben, so ist dadurch eben auch ein ganz bestimmter Umfang an Arbeitsstunden insgesamt gesetzt. Auf jeden der 100 Menschen fällt also eine ganz bestimmte Anzahl an Arbeitsstunden täglich, wenn alle überleben sollen. Aber es fällt nicht auf jeden die selbe Art der Arbeit. Die einen werden Getreide anbauen, die anderen werden Kleider nähen. Wir haben ja gesehen, warum eine solche Arbeitsteilung vernünftiger ist. Und diejenigen, die Getreide anbauen, werden das nicht für sich selber tun, sondern für alle 100, und diejenigen, die Kleider nähen, werden diese ebenfalls nicht für sich, sondern für alle 100 nähen, so das also ein Tauschverhältnis zwischen Getreide und Kleidung eintritt.
So wird man sich also die Arbeit teilen. Und wir können es uns vielleicht so verbildlichen (siehe nächster Absatz). Sie sehen, dass jene 100 Menschen eine größere Menge Getreide im Jahr verbrauchen als Kleider. Wie das mengenmäßige Verhältnis der Waren zueinander genau ist, kann ich natürlich nicht wissen, das hängt eben von den tatsächlichen Bedürfnissen ab. Durch die Bedürfnisse der Menschen ist auch ein ganz bestimmtes mengenmäßiges Verhältnis der Waren gesetzt, das da sein muss, sollen alle 100 Menschen überleben. Damit ist aber noch etwas anderes gesetzt. Je nachdem, wie viel Arbeitszeit zur Bereitstellung der jeweiligen Warenmenge nötig ist, muss eine ganz bestimmte Anzahl von Menschen in der einen, und demgegenüber eine ganz bestimmte andere Anzahl in der anderen Branche arbeiten. Es ist also durch das Bedürfnis auch das zahlenmäßige Verhältnis der arbeitenden Menschen in den Branchen zueinander gesetzt. Sagen wir zum Beispiel: dieses Mengenverhältnis zwischen Getreide und Kleidung, das in einem Jahr da sein muss, wird da sein, wenn 80 der 100 Bewohner Getreide anbauen, und 20 Kleider nähen.
80 müssen Bauern sein, und 20 Schneider. Wie gesagt, das hängt natürlich davon ab, wie die Bedürfnislage ist. Aber vorausgesetzt, die Bedürfnislage ist so, dass durch 80 Bauern und 20 Schneider genau das Mengenverhältnis der Waren bereitgestellt werden kann, das eben gebraucht wird, um alle 100 zu versorgen, dann können Sie sich ja denken, was passiert, wenn jetzt einer sagt: ich mag kein Bauer sein, ich mache lieber Kleider. Oder wenn das sogar 2 oder 3 und mehr sagen. Das wäre eine Katastrophe, denn dadurch wäre ja weniger Getreide da als nötig, und dafür mehr Kleidung, als gebraucht wird. Also, je nachdem, wie die Bedürfnisse sind, ist auch ein ganz bestimmtes zahlenmäßiges Verhältnis von in unterschiedlichen Branchen arbeitenden Menschen nötig. Da ahnen Sie vielleicht schon, warum nicht Freiheit herrscht in der Wirtschaft, sondern Zwang. Allerdings zwingt nicht der Staat, sondern es zwingt die Natur, die Tatsache, dass der Mensch, um auf der Erde zu sein, eben essen muss und Kleidung braucht. (Zwischenruf: „Letzteres nicht notwendig“)
Genau, letzteres vielleicht nicht so notwendig wie das Getreide, sofern der Mensch die einzelnen Waren mit unterschiedlicher Intensität braucht. Dazu kommen wir gleich. Aber wir können ja jetzt, solange es nicht aus irgendeinem Grund nötig sein sollte, auf Kleidung zu verzichten, davon ausgehen, dass die 100 Menschen in unserem geschlossen Wirtschaftskreislauf entsprechend auf diese zwei Branchen verteilt sind. Nun stellt sich jedoch heraus, dass wir unter diesen 100 Menschen einen Erfindergeist, einen Archimedes haben. Diesen Archimedes, lassen wir ihn zum Zweck des Bildes zuerst keinen Vollzeit-Erfinder sein, sondern sagen wir, er habe immer Abends, nachdem er sein Tagwerk als Bauer erledigt hatte, die Idee entwickelt, wie man eine Wasserpumpe bauen könne. Dem Geist des Archimedes entspringt also die Idee der Wasserpumpe. Als Idee ist sie noch wirkungslos für die Wirtschaft. Wirksam ist nicht die Idee der Wasserpumpe, sondern die real vorhandene Wasserpumpe. Wie kann sie aber real vorhanden sein? Nun, es muss sie natürlich jemand bauen. Diejenigen, die Wasserpumpen bauen, können in der selben Zeit allerdings nicht zugleich Getreide anbauen oder Kleider nähen. Das heisst, es müssen entweder hier aus der Branche der Landwirte, oder dort aus den Schneidereien Menschen herausgehen, und eine neue Branche eröffnen, nämlich die der Pumpenbauer. Es müssen Pumpen gebaut werden. Und die Pumpenbauer müssen essen und Kleider tragen, während sie selber weder Getreide anbauen, noch Kleider nähen, sondern eben Pumpen bauen. Das ist ein Problem. Denn das bedeutet ja, Getreide und Kleidung können nicht in dem Umfang vermehrt werden, in dem sie tatsächlich von allen 100 Menschen verbraucht werden. Bis zu einem gewissen Grad ist das machbar, wenn nämlich die Bauern, die noch übrig sind, länger arbeiten, sofern das möglich ist, und ebenso die Schneider, oder wenn jeder weniger konsumiert, wenn also jeder spart, was er noch sparen kann. In dem Rahmen, in dem das physisch noch möglich ist, kann also jeder auf Nahrung verzichten, damit Pumpen gebaut werden. Aber Sie sehen, das ist ein von der Natur eng gesetzter Rahmen. Man muss Sparen und Verzichten, in dem Rahmen, in dem der Körper das erlaubt. Anders kann die Idee der Pumpe nicht realisiert werden. Sobald die Pumpe dann aber gebaut ist, was passiert dann? Dann können die Felder schneller und besser bewässert werden, das heisst aber: dann arbeitet die Idee gewissermaßen mit auf dem Feld. Und ab diesem Zeitpunkt ist weniger menschliche Arbeit nötig, um diejenige Menge an Getreide bereit zu stellen, die gebraucht wird, um alle 100 Menschen zu versorgen. Oder mit anderen Worten: jetzt verbilligt die Idee, die Produktionsmittel geworden ist, den Preis des Getreides. Und wenn Sie nicht das Geistesleben, sondern bloß das Wirtschaftliche nehmen, das zu dieser Verbilligung nötig war, also den Verzicht auf Konsum, die Verschiebung des Konsums an eine Stelle, an der zunächst nicht unmittelbar für den weiteren Konsum gearbeitet wird, sondern für ein Mittel, das dann die zukünftige Arbeit an den Konsumgütern verbilligen soll, dann haben Sie nichts anderes erfasst als den wahren Begriff des Kredits. Das ist der Kredit, realwirtschaftlich gesehen, alles andere, was man sich sonst noch dabei denkt, ist bloß Täuschung. Und Sie sehen noch etwas anderes sehr leicht: Real kann jeder Kredit nur zurückbezahlt werden, wenn das Produktionsmittel, das selber nicht konsumiert werden kann, den Preis der eigentlichen Konsumgüter senkt. Sie sehen daraus, wie gefährlich dieser Punkt ist: Eben weil in dem Augenblick der Kreditierung die direkte Befriedigung der Bedürfnisse unterbrochen wird zugunsten des Produktionsmittels, hängt alles davon ab, ob mit seiner Hilfe tatsächlich die Wirtschaft verbilligt wird. Wenn nicht, sterben Menschen. So ist das auch im Augenblick. Man weiß nur im Augenblick meist gar nicht, ob ein Kredit zurückbezahlt wird oder nicht, weil man nicht durch das Geld hindurch sehen kann, das sich dazwischen schiebt. Deshalb haben wir die Kreditkrise. Man weiß es nicht wegen des Geldes, das sich dazwischen schiebt, weil man ja scheinbar den Kredit als eine Art Recht von der Bank bekommt. In Wahrheit geht jedoch Kredit niemals von einer Bank aus, und wird auch in Zukunft niemals von einer Bank ausgehen, weil das unmöglich ist. Im Wahrheit konsumiert einer, und ein anderer verzichtet dafür. Aller Kredit geht immer unmittelbar von den arbeitenden Menschen aus. Die Frage ist nur, ob die das freiwillig machen, aus Einsicht in den Bedarf und in die Fähigkeit des Kreditnehmers, oder aber dazu gezwungen werden, ins Blaue hinein zu verzichten, weil sich eine Bank zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer stellt.
Wenn wir jetzt aber einmal auf das Reale sehen, und uns an diesem Beispiel verdeutlichen, wie hier der Kredit getilgt werden kann, weil tatsächlich nach dem Bau der Wasserpumpe mit weniger Menschenarbeit die selbe Menge einer bestimmten Warengattung produziert werden kann, dann gewinnt der Wirtschaftsraum weit mehr als nur Tilgung oder Zins. Dann ist nämlich dauerhaft Zeit frei geworden, die nun für etwas anderes genutzt werden kann. Tilgung und Zins - solange es mit rechten Dingen zu geht, sind sie nur die Kennzeichen für den eigentlichen ökonomischen Effekt des Kredits: die Zeitersparnis. So war das auch im antiken Griechenland, überall kamen die Wasserpumpen zum Einsatz. Nur ist ja klar, wie die Griechen ihre neu gewonnene Zeit einsetzten, sie ermöglichten sich eben selber mehr Geistesleben. Das ist aber schließlich nicht die einzige Möglichkeit. Was könnten wir zum Beispiel noch mit der Zeit anfangen?
Wir könnten sagen: jeder Mensch darf von Rechtswegen ab sofort nur noch so und so viele Stunden pro Tag arbeiten, so dass jeder Mensch mehr Zeit zur Muße hat, mehr Geistesleben entwickeln darf. Wir könnten die Zeit also von der Demokratie her anpacken. Das ist die erste Alternative. Oder aber, wir sagen: es arbeiten alle genau so lange wie vorher, so dass also in der betreffenden Branche Arbeitsplätze wegfallen. Und diejenigen, deren Arbeitskraft deshalb in der Landwirtschaft nicht mehr benötigt wird, arbeiten auch weiterhin genau so lange, nur arbeiten sie jetzt was anderes. Wir eröffnen mit ihnen eine neue Branche, erweitern die Produktpalette. Das ist die zweite Möglichkeit. Wir nehmen natürlich nicht irgendwen herüber in die neue Branche, sondern die, welche am ehesten über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. Die können dann etwas anderes arbeiten. Sagen wir zum Beispiel, es wird jetzt die durch Technik in der Landwirtschaft gewonnene Zeit dafür aufgewendet, Schmuck zu fabrizieren. Auf nichts anderem beruht unsere heutige Produktvielfalt, die schöne, bunte Warenwelt der Gegenwart. Das ist die Arbeitszeit, die frei wurde durch das Eingreifen des Geistes in die Wirtschaft, in Form von technischen Erfindungen und auf andere Weise. Und in der frei werdenden Zeit können immer ausgefallenere Bedürfnisse befriedigt werden. Immer geistigere Bedürfnisse können befriedigt werden, je weniger Zeit für die rudimentären Bedürfnisse aufgebracht werden muss. So können wir die gewonnene Zeit also auch wirtschaftlich verwenden. Oder aber wir ergreifen die frei gewordene Zeit direkt vom Geistesleben aus. Das wäre dann die dritte Möglichkeit. Das ginge auch. Wir müssten dann sagen: wir arbeiten genau so lange, kürzen also wieder nicht die Arbeitsstunden, sondern die Anzahl der Arbeiter in der jeweiligen Branche, und lassen diejenigen, die nun keine Arbeit haben, Lehrer sein, Forscher sein und so weiter, natürlich wieder entsprechend der Fähigkeiten. Wir können also auch die gewonnene Zeit für ein berufsmäßiges Geistesleben verwenden, für rein geistige Fragen der Menschen, oder zum Zwecke der Volkserziehung, zum Wohl unserer Kinder, auch damit in Zukunft weitere zeitsparende Erfindungen gemacht werden können. Die dritte Möglichkeit ist also, dass wir das, was durch das Einwirken des Geistes auf die Wirtschaft an Zeit frei wird, einem berufsmäßigen Geistesleben zuführen. Man kann nun Dank der technischen Erfindungen eben so gut eine Seminararbeit für den Professor anfertigen wie irgend etwas anderes, ohne gleich Hunger zu bekommen. Aber das geht natürlich nur in dem Maß, in dem tatsächlich Zeit frei wurde, in dem tatsächlich Geist auf die Wirtschaft gewirkt hat. Deshalb ist es so unendlich wichtig, dass wir anfangen, wieder das Reale hinter dem Geld zu sehen. Heute sind wir über die Zeit hinausgegangen, die tatsächlich verfügbar ist, weshalb gegenwärtig so viele Menschen in Armut leben oder gar verhungern müssen. Sie verhungern dafür, dass andere geistige Bedürfnisse befriedigen, für die noch gar keine Zeit da ist. Wir haben zum Beispiel die Zeit gar nicht, in der unsere Germanistikstudenten all diese unsinnigen Seminararbeiten schreiben, die keiner braucht, nur weil es irgendeine Vorschrift will. Die Studenten essen ja in der Zeit. Und woanders kann deshalb ein Kind nichtmal daran denken, das ABC zu lernen. Es hungert, weil ihm das Lebensnotwendige fehlt, weil dieses Lebensnotwendige nämlich in Deutschland nicht wieder in Lebensnotwendiges, sondern in Nichts hineinläuft, in eine Seminararbeit zum Beispiel, die kein Mensch braucht, der Student am allerwenigsten. So hängen die Dinge wirtschaftlich miteinander zusammen. Aber in dem Rahmen, in dem tatsächlich Zeit gespart wird durch den Geist, in dem der Geist selber fruchtbar ist, kann wiederum das Geistesleben erweitert werden, kann Arbeitszeit auf etwas anderes verwendet werden als auf das unmittelbar Lebensnotwendige.
Ja, ich sehe, Sie wundern sich, sonst klagt man ja immer, dass durch den Kapitalismus zu wenig ins Geistesleben fliesst. Die Wahrheit ist aber: es fliessen die Werte über jedes reelle Maß ins Geistesleben. In einem absurden Ausmaß werden die Erzeugnisse der Handarbeit durch geistige Arbeit verbraucht statt wiederum durch Handarbeit, wie es im Augenblick notwendig wäre. Das ist das große soziale Problem, dieser Geist, der sich nicht die Hände schmutzig machen will. Es fliesst aber außerdem, dass es zu viel fliesst, auch noch auf die falsche Art und Weise in das Geistesleben, das ist das andere Problem. Diese Fragen muss man unterscheiden. Sie werden von mir nie hören, dass zu wenig Geld etwa ins Bildungswesen geht, es geht nämlich in Wahrheit viel zu viel hinein. Das Problem ist nur, dass es in bloßen Quatsch hinein fliesst, in die lächerliche Bildungsindustrie. Ein Bildungswesen ist gar nicht da, welches das viele Geld verdauen könnte, auch weniger Geld könnte nicht verdaut werden, weil ein produktives Bildungswesen gar nicht da ist. Deshalb rede ich nie von mehr Geld, wenn ich Schenkungen für die Bildung fordere, sondern meine damit immer die Art, wie in Zukunft eigentlich das Geld, wie die Ware zum Geistesleben kommen muss, wie eigentlich derjenige, der bloß geistig arbeiten will, zu seinem Einkommen kommen muss, damit er einmal genötigt sein wird, produktiv zu werden. Heute braucht das Geistesleben ja nicht produktiv zu sein, weil heute jeder über die Steuer gezwungen ist, es zu bezahlen.
Wir sehen also, wie der Geist durch Teilung der Arbeit die Zeit verringert, innerhalb welcher der Mensch sich direkt mit der Materie auseinandersetzen muss, innerhalb welcher er sich in ein ungeistiges Verhältnis zur Welt bringen muss. Dadurch macht sich der Geist selber möglich. So können Sie bildhaft fassen, wie die beiden Glieder, Wirtschaftsleben und Geistesleben, miteinander verknüpft sind. Das Geistesleben kann nicht da sein, ohne dass die Wirtschaft etwas erübrigen kann für das Geistesleben. Und die Wirtschaft kann um so mehr erübrigen für das Geistesleben, je mehr der Geist die Wirtschaft organisiert, um so weniger in die Handarbeit gehen muss, weil der Geist die dafür erforderliche Zeit zurückdrängt. Das macht der Geist im wesentlichen durch Teilung der Arbeit. Die Konsequenz der Arbeitsteilung ist dann aber das Anwachsen des Wirtschaftsraums zu einer Weltwirtschaft. Das heisst aber: Während wir da oben die Freiheit haben, während da der Geist freier und dadurch produktiver wird, haben wir unten ein Anwachsen der Leiblichkeit zum Erdenkörper. Indem der Geist die materielle Sphäre zurückdrängt und sich dadurch selber Raum verschafft, identifiziert sich der Mensch in materieller Beziehung immer stärker mit dem ganzen Erdenkörper. Denn bedenken Sie nur, was Sie an sich haben, oder was Sie heute ernährt – das wird ja durch Arbeit und Konsum aller Menschen auf der ganzen Welt hindurch gebildet. Leiblich identifizieren Sie sich immer mehr mit der ganzen Welt, während Sie geistig frei werden. Das sind zwei Seiten des selben Prozesses: auf der einen Seite das Geistesleben, da wird der Mensch geistig frei, aber das wirkt auf das Wirtschaftsleben, so dass wir auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben haben, wo dann der Mensch genötigt wird, mit jedem anderen Mensch gewissermaßen zusammenzuwachsen, so dass jeder Mensch, was die Bedingungen seines körperlichen Daseins angeht, über Arbeit und Konsum heute tatsächlich mit der Leiblichkeit jedes anderen Menschen auf dieser Erde verknüpft ist.
Das ist ein notwendiger Zusammenhang. Es kommt nur darauf an, ob wir die tatsächlichen Zusammenhänge sehen und uns nach ihnen richten. Vorhanden sind die Zusammenhänge auch dann, wenn wir nichts von ihnen wissen wollen, wenn wir soziale Dreigliederung für ein Kochrezept halten, nach dem man sich halt richten kann oder auch nicht. Dann wächst das Geistesleben zum Beispiel mehr, als es in Wahrheit wachsen kann. Aber das ist gar kein Wachstum, sondern Wucherung. Denn praktisch ist das Geistesleben eben in dem Maße selber möglich, in dem es auf die Wirtschaft wirkt. Was darüber hinaus wächst, ist wirtschaftlich nicht möglich. Das kostet Menschenleben. Das ist dann aber auch qualitativ gesehen in Wahrheit gar kein Geistesleben. Wie kann das Geistesleben nämlich über das wirtschaftlich mögliche Maß hinaus wachsen? Doch nur durch Gewalt. Das geht nur da, wo es sich mit der Staatsgewalt verbindet und Menschen zwingt, über das wirtschaftlich Mögliche hinauszugehen. Das ist die Situation heute. Bedenken Sie, wie die westliche Staatengemeinschaft mit ihrem Bildungswesen in der Weltwirtschaft steht. Das ist ein Krebsgeschwür, so nannte Rudolf Steiner dieses Geistesleben schon 1919, das ist ein Wachstum gegen den Organismus, auf Kosten des Organismus. Organisches Wachstum heisst dagegen, dass das Geistesleben genau in dem Maße auch als Branche wächst, in dem es sich in der Praxis beweist, in dem es die Arbeit der Menschen, von denen man physisch ernährt werden will, fruchtbarer macht. Es darf deshalb die Versorgung alles berufsmäßigen Geisteslebens auf gar keinen Fall vom Staat, sondern muss umgekehrt allein davon abhängig gemacht werden, dass der arbeitenden Mensch selber das Erlebnis hat, wie dieser Geist die eigene Arbeit verbilligt, und deshalb für das entsprechende Geistesleben etwas geben will. Lesen Sie einmal den Aufsatz von Rudolf Steiner 11 „Über eine zu gründende Unternehmung“, wo er darlegt, wie er sich in Zukunft die Finanzierung der Anthroposophischen Gesellschaft denkt. Sie werden auch dort finden, wie konkret er dieses Prinzip bis in die einzelne Initiative hinein gedacht hat. Unfruchtbares, Unproduktives Geistesleben, wie wir es heute überall haben, hat keine Daseinsberechtigung, denn was den bewussten Willen des Individuums nicht hat, kann heute überhaupt nicht mehr Geistesleben genannt werden.
Wahres Geistesleben breitet sich in genau dem Maße aus, in dem es das Verständnis der Menschen hat. Und es kann das Verständnis der Menschen haben, wenn es fruchtbar ist, wenn es durch Zurückdrängen der Arbeitszeit selber möglich ist. Sie werden deshalb als einen Grundgedanken bei Rudolf Steiner finden, dass etwa der Waldorflehrer sein Einkommen niemals dem Staat verdanken darf. Man hat es heute innerhalb der Waldorf-Kreise nur weitgehend aufgegeben, sozial zu denken, man denkt bloß im engeren Kreis der speziell pädagogischen Fragen, und will dafür sein Geld haben. 100% Finanzierung durch den Staat ist deshalb das Ideal der Waldorfschulen geworden. Und am lautesten schreien natürlich die Unproduktivsten, diejenigen, die am meisten Grund haben, sich vor der freien Entscheidung der arbeitenden Menschen zu fürchten. Aber früher war die Waldorfschule einmal Teil einer sozialen Bewegung gewesen, der Bewegung für soziale Dreigliederung. Und diese Bewegung wollte eben das Geistesleben in ein freies Geistesleben verwandeln. Deshalb forderten die Anführer dieser Bewegung unmissverständlich: der Staat darf uns nicht das Geld in die Tasche befördern, sondern wir werden nur in dem Maße wachsen, in dem wir die freie Anerkennung der Menschen haben. Ich will gar nicht entscheiden, ob es nicht auch sein gutes hatte, dass die kommende Generation dann das freie Geistesleben aufgeben hat zugunsten ihrer „inneren Freiheit“, aber wissen sollte man schon, dass einmal etwas ganz anderes initiiert wurde mit der Gründung der ersten Waldorfschule. Anthroposophie, Waldorfpädagogik, so die Überzeugung Rudolf Steiners, lässt sich den Menschen nicht aufzwingen über die Steuerpflicht, sondern ist selber von der Freiheit abhängig, ist selber real nur in dem Maße in der Welt, indem sie auch gewollt ist von denjenigen Menschen, welche die „Geistesarbeiter“ mit der Arbeit ihrer Hände ernähren. Und wenn Rudolf Steiner recht damit hatte, dann ist der gegenwärtige Zustand der anthroposophischen Bewegung kein Wunder, sondern selbstverständlich. Man ist nämlich so gesehen real gar nicht gewachsen in den vergangenen Jahrzehnten, sondern nur scheinbar. Real ist man geschrumpft. Denn Anthroposophie und Waldorfpädagogik können gar nicht dadurch wachsen, dass von irgendwoher die finanziellen Mittel kommen, sondern nur dadurch, dass einzelne Menschen sie bewusst wollen, und aus freien Stücken dafür woanders verzichten. Dann gewinnt dieser Geist tatsächlich Raum. Der Zwang dagegen schafft nur Schimären, nur Ideologien, die über dem Leben schweben, die noch gar keinen Platz haben in diesem Leben.
Also, nicht utopisch, sondern ganz real ist das Geistesleben in dem Maße möglich, in dem aus diesem Geistesleben auch die Impulse für die Wirtschaft kommen, bis hin zu den technischen Ideen, welche die körperliche Arbeit zurückdrängen, indem sie die Arbeit teilen. Hinter die Arbeitsteilung kann der Geist dann allerdings nicht mehr zurück. Heute, wo uns die Globalisierung Angst macht, wollen wir wieder zurück in eine Selbstversorgerwirtschaft. Tatsächlich kann jedoch niemand auch nur einen Schritt hinter die weltweite Arbeitsteilung zurück, ohne damit etwas vom eigenen Geistesleben wieder aufzugeben. Daran denkt man natürlich nicht, aber es ist doch so. Denn, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Abstand zum Boden, den der Geist für sich braucht, ist um so weniger da, je mehr der Mensch für sich selber arbeitet statt für die Weltwirtschaft. Vielleicht genügt das, um jetzt Ihr Interesse auf die reine Wirtschaftsfrage zu lenken. Man kann nunmal nicht Lehrer sein oder irgendwie anders im Geistesleben stehen, ohne auch wenigstens eine Ahnung vom Wirtschaftsleben zu haben. Und dafür reicht es dann nicht mehr, bloß wiederum das Geistesleben in der Wirtschaft zu fassen, oder bloß das eigene Geistesleben assoziieren zu wollen mit der Wirtschaft, sondern da muss man durchschauen, was in der Wirtschaft selber vor sich geht, abgesehen davon, dass der Geist auf sie wirkt oder von ihr abhängig ist, abgesehen auch davon, wie das Rechtsleben hineinspielt. Wir wollen jetzt miteinander versuchen, gedanklich ganz in den reinen Wirtschaftsprozess einzutauchen und dann auch für einen Moment darin zu verweilen. Den Geist wollen wir bloß voraussetzen, den Grad der Arbeitsteilung nehmen wir hin, wie er eben zu einem bestimmten Zeitpunkt da ist, und sehen nur auf das, was unter dieser Voraussetzung dann die Menschen durch Arbeit und Konsum miteinander verbindet.
Erinnern Sie sich bitte, wie hier im Bild eine einfache Arbeitsteilung gegeben ist. Die einen sind Landwirte, und bauen Getreide an, nicht für sich, sondern für alle 100 Menschen in unserer kleinen Weltwirtschaft. Und die anderen fertigen Kleidung, auch wiederum nicht für sich, sondern für alle. Wie viele der 100 Menschen in der einen, und wie viele in der anderen Branche arbeiten müssen, hängt davon ab, welches Mengenverhältnis der Waren durch die Bedürfnisse der Menschen gesetzt ist. Es ist ja klar, dass ich nicht beliebig die Arbeitsplätze zuweisen kann, sondern dass, wenn das Bedürfnis nach Getreide durch die Arbeit von 80 Menschen befriedigt werden kann, eben 80 Menschen Bauern sein müssen und nicht mehr und nicht weniger. Wir hatten gesagt, in unserem Bild werden die Bedürfnisse der 100 Menschen dann am ehesten getroffen, wenn 80 von ihnen Landwirte werden, 20 dagegen Schneider. So geht das also hier ein paar Jahre, das Verhältnis von 80 zu 20 in Bezug auf die Anzahl der Arbeiter in den Branchen trifft ein paar Jahre lang genau den Bedarf. Alle sind versorgt.
In Wirklichkeit sind natürlich die in Betracht kommenden Faktoren der Wertbildung, nämlich Bedürfnis, Arbeitsleistung und Natur, die ganze Zeit in Bewegung. Und das muss auch hier in unserem Bild passieren. Dieses Bild ist ja noch ganz starr. Bringen wir also einmal Bewegung hinein. Sagen wir zum Beispiel, es ändert sich der Naturwert. Sie wissen ja, dass der Bauer jedes Jahr zittert, wie viel der Boden tatsächlich hergibt. Sagen wir nun, der Naturwert sinkt. Denken wir zum Beispiel daran, dass nach ein paar Jahren der Boden ausgelaugt ist. Die Monokultur macht ihm zu schaffen. Was bedeutet das für unsere kleine Weltwirtschaft? Das bedeutet, dass mit der selben Anzahl von Landwirten in der selben Arbeitszeit nur weniger Getreide bereitgestellt werden kann als vorher. Die 80 Bauern hier können alle miteinander nur noch, sagen wir eine solche Menge an Getreide bereitstellen (gestrichelte Linie im Bild unten). Das mengenmäßige Verhältnis von Getreide zu Kleidung verschiebt sich also, es ist verhältnismäßig weniger Getreide da. Jetzt haben wir ein riesengroßes Problem. Denn jeder der 100 Menschen muss ja trotzdem, um seine Arbeit verrichten zu können, um überhaupt weiterhin leben zu können, das ursprüngliche Verhältnis beanspruchen. Nur weil die Natur weniger Getreide hergibt, ist der menschliche Organismus ja kein anderer geworden!
Jetzt haben alle 100 Menschen ein richtig schlimmes Problem. Der Bauer wird relativ weniger hergeben können, und relativ mehr behalten müssen, wird also wieder ein Stück mehr Selbstversorger sein. Und der Schneider wird verlangen, was er immer verlangt, wird aber weniger bekommen. Denn das ist ja gar nicht da, was der Schneider verlangen muss. Er wird relativ mehr geben müssen von seiner Ware, und weniger bekommen von der Ware des Bauern. Das heisst aber nichts anderes als: Das Getreide wird zu teuer, und die Textilien werden zu billig. Da haben Sie einmal auch den Preis realwirtschaftlich gefasst. Es gibt, gemessen an den Bedürfnissen, stets ein objektives Preisverhältnis, ein Preisverhältnis, bei dem das Leben möglich ist. Verschiebt sich das, wird das ganze Leben unmöglich, das Leben aller Menschen wird dann unmöglich. Im Augenblick haben wir unmögliche Preise in der Weltwirtschaft, die nur scheinbar korrigiert werden, indem einfach Machtverhältnisse entscheiden, wer verhungert und wer nicht. Durch Macht lässt sich das Problem scheinbar lösen. In unserem Bild könnte Macht zum Beispiel dadurch entstehen, dass ja der Bauer hier in der besseren Position ist. In der Wirklichkeit draußen ist er in der schlechteren Position, da muss man andere Machtfaktoren mit einbeziehen, aber in unserem Bild ist er in der besseren Position. Warum? Weil die Menschen in der Regel erst essen werden und dann neue Kleider kaufen. Und der Bauer sitzt hier in unserem Bild eben auf dem Boden drauf. Der isst erstmal selber, und der Schneider muss ihm dann trotzdem alles geben, damit er überhaupt etwas essen kann. Jetzt passiert also das, was vorhin angedeutet wurde: die Waren bewerten sich gegenseitig, weil sie mit unterschiedlicher Intensität gebraucht werden. Was müssen wir tun, damit hier nicht Menschen verhungern, wie können wir die Gemeinschaft der 100 Menschen in unserem Bild retten?
(Aus dem Publikum: Man müsste Getreide importieren!) Genau, das ist das erste, woran man denken könnte. Dann müsste ich hier also den Kreis erweitern und mehr Menschen in unseren Wirtschaftsraum hinein nehmen, nämlich die Bauern, die dieses neu zugeführte Getreide dann produzieren und also mit unseren 100 hier durch Arbeitsteilung verknüpft werden. Dann weitet sich der Kreis, dann muss ich vielleicht 150 oben hinschreiben statt 100. So ist das auch einmal gewesen, es gab kleine Wirtschaftsräume, die sich durch den zunehmenden Handel dann immer stärker ausweiteten. Heute gibt es allerdings nur noch einen einzigen geschlossenen Wirtschaftsraum, nämlich die ganze Erde. Jeder Mensch ist heute mit dem anderen Menschen durch Arbeit und und Konsum verknüpft. Das heisst aber, diese Antwort, die Sie da eben gegeben haben, die stimmt heute nicht mehr. Denn Sie können nicht vom Mond importieren. Das scheitert einfach daran, dass Sie mit dem Mond keinen Handel treiben können. Und das ist eigentlich der Kern des wirtschaftlichen Problems, vor dem wir heute stehen. Denn man handelt immer noch so, als hätten wir es mit geschlossenen Wirtschaftsräumen zu tun, mit Volkswirtschaften, die ihre Probleme durch Import und Export lösen können. Aber man kann noch nicht innerhalb der Grenzen des Gesamtprozesses denken. Also, nehmen sie dieses Bild hier als einen geschlossen Wirtschaftsraum, geschlossen in dem Sinn, dass an der Grenze hier kein Import und kein Export stattfindet, weil einfach die Arbeitsteilung schon über die ganze Erde ausgeweitet ist und man sich nicht weiter ausdehnen kann. Und jetzt frage ich Sie erneut: was müssen wir tun in dem Augenblick, da hier die Bodenqualität schwankt? Es gibt nur eine mögliche Antwort! Sehen Sie die?
Genau: es muss hier einer aus der Textilbranche rübergehen in die Landwirtschaft, so dass nun nicht mehr 20 Schneider 80 Bauern gegenüberstehen, sondern 19 Schneider 81 Bauern gegenüberstehen. Einer muss rübergehen, oder zwei oder drei, das hängt natürlich wieder von der Menge an Getreide ab, die dann faktisch da sein muss. Aber bei gegebenen Naturverhältnissen kann nur die Anzahl der in der jeweiligen Branche arbeitenden Menschen die Menge der entsprechenden Warengattung erhöhen. Es gibt keine andere Lösung: Wenn der Naturwert schwankt, muss sich das Verhältnis der Anzahl der Arbeiter in den verschiedenen Branchen zueinander ändern. Es müssen Arbeitskräfte aus der einen Branche heraus und in die andere Branche hinein gehen. Und das schiebt dann in Wahrheit, und eben auch hier in unserem Bild, das mengenmäßige Verhältnis von Getreide zu Textilien wieder zurück in Richtung des objektiven Wertverhältnisses, so dass wir dann objektiv mögliche Preisverhältnisse bekommen. Jetzt kann ich hier drinnen auch einen Pfeil machen und das Verhältnis der Waren zueinander zurückschieben. Es gibt niemals eine andere Lösung.
Das Höherwertige, gemessen an den Bedürfnissen, kann verbilligt werden auf dem Weg, dass Arbeitskräfte aus einer anderen Branche heraus und in die entsprechende Branche umgeleitet werden. Ich weiß, dass das als Vorstellung verwirrend ist, aber es ist ein Fakt: Das Produkt wird durch die Erhöhung der Zahl der Arbeiter billiger, und nicht etwa teurer. Warum das so ist, können Sie unmittelbar einsehen, wenn Sie sich wirklich einmal auf dieses Bild hier einlassen und bloß das Realwirtschaftliche denken, anstatt ihre gewohnten Vorstellungen zu Grunde zu legen. Auch wie ich hier Preis und Wert unterscheide, erschliesst sich aus dem Bild. Durch die Ernteeinbuße wurde das Getreide zu teuer, gemessen an seinem Wert. Es ist, gemessen am Bedarf, so wertvoll, dass es billiger zu haben sein muss als Textilien. Die Textilien dürfen dagegen, da sie, gemessen am Bedarf, weniger Wert sind, teurer werden. Und sie werden auch teurer, wenn wir hier die landwirtschaftliche Produktion erweitern, denn wir vermehren ja dann das Brot auf Kosten der Textilindustrie. Wir verlieren also etwas, wir verlieren billige Textilien! Anders geht es nicht in einem geschlossen Wirtschaftssystem. Wird das eine gearbeitet, wird in der selben Zeit das andere eben nicht gearbeitet. Wird das eine billiger, so wird dadurch das andere teurer. Wirtschaften heisst immer, aus den gegenwärtigen Wertverhältnissen heraus die zukünftigen bilden. Die Grundfrage lautet deshalb: wer soll das essen, was jetzt noch da ist? Soll es ein Schneider essen oder ein Landwirt, bezogen auf das, was morgen da sein muss, damit dann alle leben können? Wenn hier in unserem Bild ein Schneider konsumiert, haben wir in einem Jahr ein riesiges Problem, wenn stattdessen ein Landwirt konsumiert, können weiterhin alle Menschen ernährt werden.
Das heisst, die Preisverhältnisse, von denen Leben und Überleben jedes Menschen abhängen, werden bestimmt durch das zahlenmäßige Verhältnis der Anzahl der Arbeiter in den jeweiligen Branchen zueinander. Das ist ein ökonomisches Faktum, und es spielt überhaupt keine Rolle, welcher Ideologie die Menschen anhängen mögen, ob einer Kapitalist ist oder Sozialist, denn dieser Zusammenhang hier ist einfach ein Faktum. Sie können einwenden, dass noch anderes in den Preis hineinspielt, das ist auch richtig, aber das spielt dann eben bloß hinein, ändert aber an den Preisverhältnissen nichts. Sie können natürlich nominell den Preis manipulieren. Oder Sie können, wenn Sie wieder nicht rein wirtschaftlich denken wollen, sondern schon wieder zurücklaufen wollen ins Geistesleben, einwenden, dass das Geistesleben ja auch auf den Preis wirkt. Was es darüber zu sagen gibt, habe ich bereits gesagt. Das ist ein Negativwert, was der Geist der Wirtschaft hinzufügt, das reduziert die Zahl der Arbeiter, die in einer bestimmten Branche nötig sind. Diese Zahl hatte ich jedoch vorausgesetzt. Vorausgesetzt, die Fähigkeiten der Menschen sind so, wie sie zu einem Zeitpunkt X eben sind, vorausgesetzt, es sind diese und jene technischen Möglichkeiten da, dann ist dadurch eben eine bestimmte Anzahl an Arbeitern in der einen Branche, und eine bestimmte Anzahl an Arbeitern in der anderen Branche nötig, um den Bedarf zu treffen. Davon rede ich. Das führt uns erst hinüber in das Wirtschaftsleben. Und wenn sich etwas ändert an den Fähigkeiten, an der Natur oder an den Bedürfnissen, dann muss die Wirtschaft darauf reagieren. Und sie kann selber nur reagieren, indem sie das zahlenmäßige Verhältnis der arbeitenden Menschen in den jeweiligen Branchen zueinander entsprechend anpasst. Natürlich, wenn hier eine Erfindung gemacht wird zur Verbesserung der Bodenqualität, ist wieder eine andere Zahl an Landwirten nötig, um den gegebenen Bedarf zu treffen. Aber das ist ein Faktor, der außerhalb des Wirtschaftslebens liegt, den die Wirtschaft nur hinnehmen kann. Das entspringt dem Geistesleben, und nicht dem Wirtschaftsleben. Denn nur weil hier die Menschen Hunger haben, haben sie nicht plötzlich auch schlaue Ideen, wie man die Bodenqualität verbessert. So kommen die Ideen eben nicht in die Welt. Man kann natürlich einwenden, dass wir das Geistesleben hier auch als Branche einzeichnen müssten. Aber das Verhältnis zu dieser Branche ist eben doch ein ganz anderes. Es wäre ausgesprochen dumm, im Augenblick der Not zu sagen: also nehmen wir Schneider aus der Näherei heraus und Bauern vom Feld und lassen die stattdessen forschen. Das sehen Sie doch, oder? Das Geistesleben muss sich schon als Branche hier einfinden, aber ganz anders als die anderen. Denn das ist eine langfristige Frage. Das ist die Frage, ob die Menschen in Zeiten, in denen es möglich ist, in denen was übrig bleibt, nicht bloß die Produktion erweitern, sondern stattdessen auch den einen oder anderen Bauern, der sich durch seine Fähigkeiten hervortut, von der Landwirtschaft frei stellen, damit er Landwirtschaftslehrer sein kann. Ob er die richtigen Ideen hat, ob seine Schüler produktivere Landwirte werden, das wird das Leben dann zeigen. Das können wir nicht wissen. Die Fähigkeiten sind dann zu einem bestimmten Zeitpunkt so da, wie sie da sind. Und was dann, abgesehen von diesen Fähigkeiten, über das zahlenmäßige Verhältnis der Arbeiter in den jeweiligen Branchen zueinander zu sagen ist, führt uns erst hinüber in die Wirtschaft, denn allein von diesem Verhältnis hängt das physische Leben der Menschen ab, auch das des Lehrers.
Wenn Sie also soweit mitkommen wollen in ein rein ökonomisches Denken, können wir jetzt noch tiefer gehen, und dann werden wir sehen, was sich unmittelbar für die Praxis ergibt. Nehmen Sie die Grundfrage langfristig: wo soll ausgegeben, wo soll gespart werden, welche Branche muss vergrößert, welche verkleinert werden, im Hinblick auf das objektive Wertverhältnis, wo soll Kredit hingehen, wo besser nicht, wo soll ausgebildet werden, wo besser nicht? Also, insofern ist auch indirekt wieder das Geistesleben gefragt, sofern es die Fähigkeiten der einen oder der anderen Branche zuführt. Das Geistesleben ist als Branche wieder gefragt, sobald bekannt ist, in welche andere Branche handwerklich Arbeitende verschoben werden müssen. Im Hinblick auf das Geistesleben selber wird man nur darauf zu vertrauen haben, dass die im Geistesleben tätigen sich an dem praktischen Leben orientieren können, dass der Lehrer die Freiheit hat, nicht nach Programmen, sondern nach den Erfordernissen des Lebens auszubilden, dass er zum Beispiel, wie es die Waldorfschule anstrebt, den Schüler anregt, sich allseitig zu entwickeln. Gerade die Wirtschaft wird, wenn sie sich nur selber richtig versteht, das größte Interesse an der absoluten Freiheit innerhalb des Geisteslebens haben. Eine Pädagogik, die den Menschen selber in den Mittelpunkt stellt, und nicht etwa die momentanen Wirtschaftsinteressen, erzieht den Menschen zum freien Gebrauch seiner geistigen Kräfte, und genau diese Freiheit ist es dann, die es ihm auch erlaubt, sich auf die jeweils aktuellen Notwendigkeiten des Wirtschaftslebens einzulassen. Innerhalb des Wirtschaftslebens herrscht nämlich nicht Freiheit, sondern Notwendigkeit, der durch die leiblichen Bedürfnisse gesetzte Zwang, dieses oder jenes zu unternehmen. Wie ich mir die Fähigkeiten aneigne, die das Leben von mir fordert, ist eine Frage der Freiheit. Insofern der Mensch verschiedene Neigungen hat, mag es scheinen, als ob auch das Was, also die Berufswahl, eine Frage der Freiheit sei. Dass jedoch auch an dieser Stelle die Freiheit gesucht wird, dass Menschen sich in ihrer Arbeit selbst verwirklichen wollen, anstatt sich ausschließlich an dem Bedürfnis eines anderen Menschen zu orientieren, hat dem sozialen Leben erst sein antisoziales Gepräge gegeben. Gerade Anthroposophen versuchen nicht selten, durch diese Gleichsetzung von Wirtschaftsfrage und Freiheitsfrage dem Leben zu entfliehen. Richtig ist daran nur, dass meine Neigungen mir ermöglichen, eher in der einen oder in der anderen Branche zu arbeiten. In welcher Branche überhaupt gearbeitet werde muss, hat mit meinen Fähigkeiten und Neigungen jedoch gar nichts zu tun. Die erforderliche Arbeit ist einfach durch die Natur gesetzt, dadurch, dass der Mensch auf der Erde ist und also seine Bedürfnisse befriedigen muss. Sozial gedacht ist es daher nicht, dem Zwang der Natur zu entfliehen, sondern sozial gedacht ist es, den naturgegebenen Zwang gemeinsam zu tragen, die gegebene Arbeit zu teilen. Die Grundfrage der Wirtschaft lautet niemals: wie kann ich meinen Lieblingsberuf finden, sondern: wie kann jeder Mensch immer an die Stelle im Leben kommen, an der er am ehesten für die Bedürfnisse anderer Menschen arbeitet, und so am ehesten die objektiven Wertverhältnisse trifft?
Nun, ich habe mir das jetzt sehr einfach gemacht. Ich habe meinen Lieblingsberuf gefunden, und das Wirtschaftsproblem einfach dadurch gelöst, dass ich hier einen Pfeil an die Tafel gemalt habe. Ich habe einfach bestimmt, dass hier einer rausgeht aus der Textilbranche und rüber in die Landwirtschaft geht. So könnten wir das natürlich machen, sagen wir: der Herr Mosmann ist unser Diktator, der bestimmt, wo ein Betrieb zu erweitern, und wo einer stillzulegen ist. Der Herr Mosmann lenkt ab sofort die Kapitalströme. Das wäre natürlich schön. Aber dann gäbe es doch noch ein kleines Problem. Was ist nämlich die Vorraussetzung dafür, dass ich diesen Pfeil malen kann, dass ich überhaupt beurteilen kann, was das richtige Verhältnis ist im Hinblick auf den objektiven Wert? Erstens, dass ich weiß, wie sich die Bodenqualität ändert, dass ich also beurteilen kann, was nur der jeweilige Bauer an seinem Ort beurteilen kann, und so überall, ich müsste überall zugleich beurteilen können, wie sich die natürlichen und geistigen Bedingungen der Produktion verändern. Denn in den anderen Branchen schwanken die Produktionsbedingungen schließlich auch, und jedes mal ergibt sich ein neues richtiges Verhältnis der Arbeiterzahlen zueinander. Ich müsste also eigentlich selber auf dem Bauernhof, selber in der Schneiderei, selber in jedem Betrieb auf dieser Erde stehen, selber der Fachmann vor Ort sein. Und ich müsste alle diese konkreten Menschen zugleich sein. Zweitens setzt es voraus, dass ich die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen kenne. Denn dass ich hier einen Schneider zum Bauern gemacht habe, das stimmt ja nur, wenn die Bedürfnisse eben so sind, dass entsprechend Getreide verbraucht wird. Sonst müsste etwas ganz anderes geschehen. Um ein rein wirtschaftliches Urteil zu fällen, müsste ich also aus meiner Haut fahren. Ich müsste in jedem Menschen drinnen stecken und urteilen, wie er urteilt, fühlen, wie er fühlt, verlangen, was er verlangt. Und all das müsste ich dann zusammenbringen in einer Zusammenschau, in einem Gesamtbild, in welchem sichtbar wird, wie das eine das andere bedingt. Dann könnte ich erst ein Urteil fällen, das die objektiven Wertverhältnisse trifft. Ich müsste ein absolutes Bewusstsein haben, genauer gesagt: ein absolutes Wahrnehmungsorgan, ein Auge, dem sich nichts entzieht.
An dieser Stelle setzt Rudolf Steiner mit seiner Idee einer assoziativen Wirtschaft an. Er sagt nämlich: dieses Urteil kann ich deshalb eben auch nicht fällen. Hier ist meinem Denken durch die materiellen Verhältnisse eine Grenze gesetzt, dadurch, dass jeder Einzelne nur einen gewissen Raum überblickt. Ich muss mich als Mensch auf die Wirklichkeit meines körperlichen Daseins einlassen. Und das tut die Wirtschaftswissenschaft nicht. Sie glaubt nämlich, denkend zu Urteilen über die Wirtschaft kommen zu können. Das ist aber unmöglich, weil die Voraussetzung jedes richtigen Urteils die dazugehörige Wahrnehmung ist. Auch für die Wirtschaft gilt das. Einen Sachverhalt, der mir gar nicht gegeben ist, der auf dem Horizont meiner Wahrnehmungen nicht auftaucht, kann ich auch nicht beurteilen. Und im Wirtschaftsleben entzieht sich dem Einzelnen zunächst notwendig der Wahrnehmungsinhalt, auf den es ankommt. Darum ist die Lösung der Wirtschaftsfrage nicht eine Denkaufgabe, sondern eine Wahrnehmungsaufgabe. Alles Organisieren, das von irgendwelchen Urteilen ausgeht, muss ins Chaos führen, denn diese Urteile können gar nicht stimmen. Das heisst, die Organisationsfrage der Wirtschaft ist primär die Frage nach einer Organisation der Wahrnehmung. Wie organisiert man, dass dieses absolute Bewusstsein doch bis zu einem gewissen Grad möglich ist, dass also der Einzelne an seinem Platz nicht nur etwas weiß von den eigenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Urteilen, sondern ebenso etwas weiß von den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Urteilen eines jeden anderen Menschen an seinem Platz? Wie lässt sich ein Wahrnehmungsorgan als sozialer Prozess bilden?
Ein solches Wahrnehmungsorgan nennt Rudolf Steiner eine „Assoziation“. Die Assoziation ist nicht die Lösung der Wirtschaftsfrage, sondern die notwendige Grundlage dafür, dass überhaupt über Lösungen nachgedacht werden kann. Manche stellen sich die Assoziation als Wirtschaftsparlament vor. Aber parlamentiert wird da nicht. Auch wenn Rudolf Steiner in einem Vortrag einmal an die Denkgewohnheiten des Publikums appelliert und die Assoziation ein Wirtschaftsparlament nennt, so entwickelt er doch dort und bei jeder Gelegenheit ausführlich, warum es in Wahrheit kein Parlament ist. Denn es dürfte Ihnen ja klar geworden sein, dass dieses wirtschaftliche Urteil genau so wenig von einer Demokratie gefällt werden kann wie von einem Diktator. Angenommen, wir wollen demokratisch beschließen, wie viele von uns wo arbeiten sollen – die Voraussetzung wäre wieder, dass wir dieses Urteil überhaupt fällen könnten, und dazu müssten wir eben nicht parlamentieren, sondern die Zusammenschau der Einzelurteile, das Wahrnehmen des Gesamtprozesses organisieren. Dieses Wahrnehmen hat mit einem Abstimmungsverfahren, egal welcher Form, gar nichts zu tun. Die Demokratie, so Rudolf Steiner, ist in der Wirtschaft genau so fehl am Platz wie das Geistesleben. Weder ein demokratisches, noch ein freies, individuelles Urteil kann den Wirtschaftsprozess greifen. Und je mehr die Menschen versuchen, demokratisch der Wirtschaft Herr zu werden, je mehr sie auch versuchen, ihr durch bloßes Verständnis Herr zu werden, desto mehr entgleitet ihnen die Wirtschaft. Worauf es ankommt ist, dass man lernt, sich aus der Logik der Wirtschaft heraus zu organisieren, und nicht mehr die Rechtslogik oder die Geistesleben-Logik auf die Wirtschaft zu übertragen. Für den Wirtschaftsprozess ist es egal, ob wir eine Diktatur oder eine Demokratie haben, denn sowohl Diktatoren als auch Demokraten müssten übernatürliche Kräfte entwickeln, müssten die Grenzen des körperlichen Daseins überwinden, um zu einem richtigen Urteil zu kommen. Wir haben diese übernatürlichen Kräfte nicht. Wir können aber diese übernatürlichen Kräfte ersetzen durch einen ganz bestimmten Sozialprozess. Wir können tatsächlich die Begrenzung durch das Physische überwinden durch eine Aktivität im Sozialen, indem wir dafür sorgen, dass eben doch jeder an seinem Platz etwas wissen kann von dem anderen, dass eben doch ein Gesamtbild des Wirtschaftsprozesses entsteht. Wir müssen dazu aber über den Punkt hinauskommen, bloß Ideen ins soziale Leben geben zu wollen, mit denen wir ja nicht mitgehen müssen ins Leben hinaus, wir müssen aufhören, bloß für oder gegen eine Meinung zu sein in irgendeiner Abstimmungsfrage. Die Wirtschaft bekommen wir nur in den Griff, wenn wir zum ersten mal wirklich aktiv werden im Sozialen. Und dann passiert etwas ganz merkwürdiges. Dann entsteht nämlich ein menschliches Urteil gewissermaßen wie von selbst, dann urteilt nicht mehr der Einzelne Mensch, sondern dann urteilt die Weltwirtschaft durch den Einzelnen. Rudolf Steiner nennt diese Urteilsform „Kollektivurteil“, und unterscheidet entsprechend drei mögliche Urteilsformen im sozialen Leben: Recht = demokratisches Urteil, Geistesleben = individuelles Urteil, Wirtschaft = Kollektivurteil.
Ich möchte Ihnen jetzt zeigen, worin genau die Aktivität besteht, die zu einer Assoziationsbildung führen kann, und wie sich dann in der Assoziation dieses Kollektivurteil bildet. Aber zunächst muss ich kurz noch auf einen Einwand eingehen, der mir an dieser Stelle gewöhnlich gemacht wird. Denn es könnte so scheinen, als ob das, was ich hier suche, durch die Marktwirtschaft schon gegeben ist. Da urteilt ja nicht die Demokratie, da urteilt auch nicht der Einzelne, sondern da urteilt die Weltwirtschaft selbst. So scheint es jedenfalls. Deshalb müssen wir uns ganz klar darüber werden, wie das in der Marktwirtschaft läuft, denn die assoziative Wirtschaft ist das genaue Gegenteil der Marktwirtschaft. Diejenigen, die beides in ihrem Denken irgendwie vermischen, zeigen damit nur, dass sie weder das eine, noch das andere verstanden haben. Denn wenn Sie das, was man in der Marktwirtschaft voraussetzt, ein Urteil nennen wollen, dann müssen Sie zuerst davon ausgehen, dass es so etwas wie nicht-bewusste Urteile gibt, Urteile außerhalb des menschlichen Bewusstseins. Und das müssen Sie sich dann wie einen Gedanken vorstellen, der nicht von einem Menschen gebildet wird, sondern der prinzipiell außerhalb der Sphäre liegt, in die das menschliche Bewusstsein reicht. Aber dieser Gedanke beherrscht dann den Menschen von Außen wie ein Naturgesetz. Das ist sogar die Definition von Wirtschaft im Sinne der Marktwirtschaft. Wirtschaft, das ist das, wo der Mensch mit seinem Bewusstsein nicht hinlangt, wo er sogar nicht hinlangen darf, wenn es funktionieren soll. Da herrscht nämlich die „unsichtbare Hand“ Gottes. Sie kennen das, das kommt aus der Theologie. Adam Smith war eben Theologe, und nicht etwa Sozialwissenschaftler. Und dieses religiöse Dogma von einer außerhalb der Menschenwelt wirkenden göttlichen Vernunft, die den Menschen sozusagen von Außen zwingt, was man deswegen eben nicht als menschliches Urteil, sondern als „Mechanismus“ beschreiben muss, ist das Fundament unserer heutigen „Wirtschaftswissenschaft“. Das ist auch das Fundament jedes Parteiprogramms, sogar bei den Grünen steht dieser Unsinn drinnen. Davon rede ich nicht im Entferntesten, wenn ich sage: in einer Assoziation urteilt die Weltwirtschaft selbst. Sondern ich meine ein wirkliches menschliches Urteil, das vollkommen durchsichtig ist für das menschliche Bewusstsein. Und doch spricht sich darin die Weltwirtschaft aus, das „Gesetz“ der Weltwirtschaft, wenn Sie so wollen. Das hat aber nichts zu tun mit der Ideologie der Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft geht zunächst von der ganz richtigen Frage aus. Sie geht genau von dem Problem aus, das ich hier entwickelt habe, auch wenn Sie es noch nicht ganz klar fasst. Das können Sie sehr gut bei den neoliberalen Theoretikern, die ja identisch sind mit den Begründern der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, nachlesen. Da taucht das dann zum Beispiel als „Lenkungsproblem“ wieder auf. Also, dass letztendlich irgendwie die Arbeit den Bedarf treffen muss, dass die Anzahl der Arbeiter in den jeweiligen Branchen ein ganz bestimmtes Verhältnis einnehmen muss, dessen sind sich diese Denker halbbewusst. Die sind ja nicht doof, diese Neoliberalen, glauben Sie das ja nicht. Aber sie sind furchtbar inkonsequent. Denn nachdem sie das Problem eigentlich schon richtig fassen, sagen sie: das regelt sich dann von selber, sofern der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt. Und wie geht das dann von selber, wie stellt man sich das vor?
Zunächst wird ein Gut knapp. Es passiert also zuerst das, was ich hier am Bild gezeigt habe. Es ist wichtig, schon diesen Punkt nicht leichtfertig zu überfliegen: die Marktwirtschaft setzt die Knappheit voraus. Es muss zuerst Not entstehen, damit der so genannte „Marktmechanismus“ anspringt. Da sehen Sie schon das erste Problem. Dann springt der vermeintliche Mechanismus an. Wie springt er an? Indem hier drüben die Schneider sehen, dass das Getreide knapp und teuer wird, und sich sagen: wenn wir Landwirtschaft betreiben, können wir auch hohe Preise nehmen! Wir haben dann auch Macht, weil das ja knapp ist, und können von den zu hohen Preisen profitieren! Also: die Not weckt die Gier. Und die Gier treibt die Arbeitskräfte jetzt aus der einen Branche hinaus und in die andere hinein. Der blinde Egoismus ist der Lenker des Kapitals, so das Dogma. Der Einzelne braucht gar nichts zu wissen von den ökonomischen Zusammenhängen, er braucht nicht zu wissen, wie sein Arbeitserzeugnis in Wechselwirkung tritt mit den Arbeitserzeugnissen seiner Mitmenschen, sondern er muss bloß gierig sein. Er muss bloß immer danach trachten, dass er selber für sich am meisten haben will, dann, so die Lehrbücher unserer „Wirtschaftswissenschaft“, schafft er automatisch auch das soziale. Denn wenn jetzt die gierigen Menschen hier rüber wandern, erhöht das ja die Anzahl der Arbeiter in dieser Branche, und die vermehren also die Menge der betreffenden Ware. Das Angebot an Getreide wird erhöht, der Preis sinkt, und irgendwann haben wir den so genannten „Gleichgewichtspreis“, das heisst, dann stimmen Nachfrage und Angebot überein. So jedenfalls die Theorie. Das Phantasma des Gleichgewichtspreises ist durch einfachste Überlegungen zu widerlegen. Sie brauchen sich zum Beispiel ja nur klar darüber zu werden, wovon es abhängt, ob sich überhaupt eine Nachfrage bildet. Aber das führt jetzt zu weit. Angenommen, es gibt diesen Punkt, wo sich für eine einzelne Warengattung sagen lässt, ob Angebot und Nachfrage übereinstimmen – wer sagt eigentlich Stop, wer sagt, wann die Ware zu billig wird? Diesen Punkt findet man eben nicht. Das heisst, jetzt laufen die aus lauter Gier alle hier rüber, dann sind viel zu viele hier drüben, das heisst, keiner kann mehr an der Stelle leben, an der er arbeitet. Das passiert jeden Tag, überall. Dann sind da zum Beispiel drei Konzerne und wollen einen Bedarf befriedigen, der schon von einem Konzern befriedigt wird. Man verlegt dann die Arbeitsplätze ins Ausland, denn da, so beschliesst man, können die Menschen auch von den nun viel zu billigen Warenpreisen noch leben. Da muss dann natürlich die Staatsgewalt helfen, damit das scheinbar geht. Aber irgendwann geschieht trotzdem das Unvermeidliche, irgendwann gehen zwei von drei Konzernen Pleite. Die Menschen sitzen auf der Straße. Jetzt werden sie vom Arbeitsamt verwaltet. Und das Arbeitsamt versucht sie nun wieder hinüberzubringen in die andere Branche, die jetzt gerade hoch angesagt ist vom Gesichtspunkt der Gier. Denn, das darf man ja nicht vergessen: die Menschen, die von der Gier hier rüber gejagt worden sind, die fehlen ja inzwischen woanders. Inzwischen ist woanders ein Gut knapp geworden, das dafür ja weniger produziert werden konnte, so dass da wieder Not entsteht. So viel Not, so viel Elend! Das ist der Marktmechanismus. Er funktioniert wunderbar, er funktioniert wie ein Pendel, das hin und her schlägt, kopflos rennen wir mal hierhin, mal dahin, während die ganze Zeit Menschen umkommen. Über 30 Millionen Menschen verhungern jedes Jahr, und es werden immer mehr. Das, so glaubt man, sei das Gesetz der Wirtschaft. Wahr ist: ein Gesetz der Wirtschaft ist es, dass Menschen verhungern, wenn man im 21. Jahrhundert noch an den lieben Gott glaubt, und diesen Glauben per staatlichem Bildungsbetrieb zur Pflicht für jeden Bürger macht. Aber diesen Glauben selber als „Marktgesetz“ zu bezeichnen, ist absurd. Das ist so, wie wenn einer mit dem Kopf gegen die Wand läuft und immer wieder aufsteht und erneut gegen die Wand läuft. Dann kann man sagen: es ist ein Gesetz, dass der dann Kopfschmerzen kriegt. In diesem Sinn ist das „Marktgesetz“ ein Gesetz. Aber es ist kein Gesetz, dass ein Mensch immer wieder gegen die Wand laufen muss, nur weil er glaubt, dass es ein Gesetz sei, gegen die Wand zu laufen. Das kann er durchbrechen, den Glauben kann er abschütteln. Und dann ist etwas ganz anderes möglich.
Die Religion hat den Menschen so tief geprägt, dass es ihn die größte Anstrengung kostet, eine wissenschaftliche Haltung zu entwickeln. Der liebe Gott sitzt in seinen Instinkten, gerade bei denen, die sich für Materialisten halten. Die Materialisten sind ja in Wahrheit noch am weitesten entfernt von der Materie. Und doch müssen wir es schaffen, auf den Boden der Tatsachen zu kommen. Wir müssen den Glauben aufsuchen, wo er noch in unseren Instinkten sitzt, und ihn überwinden. Denn unsere wirtschaftliche Situation ändert sich radikal, sobald wir aufhören, an den lieben Gott zu glauben. Zunächst werden wir dann nämlich gezwungen sein, doch zu einem bewussten, menschlichen Urteil zu kommen. Woanders können wir das Gesetz dann ja nicht mehr suchen als innerhalb der Menschenwelt. Und das stößt uns dann unmittelbar auf dieses Problem, dass dem Menschen zunächst die Wahrnehmungsgrundlage fehlt, um zu einem Urteil über die ökonomische Gesamtsituation zu kommen. Also wird ein aufgeklärter Mensch seine ganze Anstrengung auf die Herstellung derjenigen Bedingungen konzentrieren, die jedem Einzelnen eine Wahrnehmung des Gesamtprozesses erlauben. Und sobald die Wahrnehmung da ist, kann jeder Einzelne tatsächlich ein sachliches Urteil bilden, dann kann aber überhaupt erst ein einzelner Mensch ein sachliches Urteil über die Wirtschaft fällen. Und genau das war die Baustelle von Rudolf Steiner. Rudolf Steiner war vor 100 Jahren bereits viel weiter als wir heute, er hatte schon den übernächsten Schritt unternommen, den lieben Gott hatte er längst abgeschüttelt und sich schon an die Errichtung der Wahrnehmungsgrundlage für die Wirtschaft gemacht. Wie hat er das versucht?
Nun, er hat ja, wie sie wissen, zunächst die Arbeiter dazu aufgerufen, betriebsübergreifende Räte zu bilden. Vor tausenden von Arbeitern hat er gesprochen, überall in Deutschland. Aber da ging es nicht um Räte, wie man sie sonst kennt. Da ging es um etwas ganz anderes. Ich will jetzt einmal Schritt für Schritt durchgehen, was Rudolf Steiner 1919 in Bezug auf die Wirtschaft versucht hat. Mag sein, dass es heute mit anderen Mitteln versucht werden muss, aber das Prinzip kann anders nicht sein, wenn es klappen soll. Der Gedanke war der Folgende: Hier links haben wir die Branche der Landwirtschaft, da rechts habe ich die der Textilindustrie eingezeichnet. Aber das sind ja alles einzelne Betriebe. Hier sehen Sie einen Bauernhof, und da drüben ist noch ein Bauernhof. In einem ersten Schritt, so Rudolf Steiner, sollte sich jetzt ein Bauer des einen Hofes mit einem Bauern des anderen Hofes treffen. Jeder Hof sollte einen Arbeiter entsenden, der sich mit den Arbeitervertretern der anderen Höfe trifft. So würde ein betriebsübergreifender Rat entstehen, ein Arbeiterrat nicht für den einzelnen Hof, sondern für die Branche der Landwirtschaft insgesamt. Jeder Betrieb wäre über diese Vertretung kommunikativ mit dem anderen Betrieb verbunden. Es käme nun darauf an, dass die von den Höfen entsandten Bauern, wenn die sich hier in der Mitte treffen, ganz bestimmte Informationen austauschen. Sie müssten zum Beispiel darüber sprechen, was sie jeweils für Erfahrungen mit der Natur gemacht haben, ob neue Anbaumethoden versucht worden sind, die Arbeit erübrigen, oder wie sich der Absatz des Getreides entwickelt. Jeder in der Landwirtschaft tätige würde so nicht nur den eigenen Boden im Blick haben, sondern einen stets aktuellen Überblick über die Gesamtlage der Branche der Landwirtschaft bekommen. Was dem einen Betrieb einen Vorteil verschafft, würde der Vorteil des andren werden, wenn der eine Probleme bekommt, könnte der andere mit diesen schon rechnen. Das selbe geschieht in der Textilindustrie, auch hier (siehe folgendes Bild) trifft sich ein Arbeiter aus diesem Betrieb mit einem aus dem anderen Betrieb, so dass hier in der Mitte ein betriebsübergreifender Rat entsteht, ein Arbeiterrat für die Branche der Textilindustrie. Und so für jede Branche, alle Unternehmen werden nach Branchen zusammengefasst, so gut es eben geht. Das wäre der erste Schritt. Jetzt kommt aber der zweite Schritt: Jeder dieser betriebsübergreifenden Räte bestimmt aus seiner Mitte wieder einen, der sich mit den Vertretern der anderen Räte trifft. Es entsendet also der Arbeiterrat der Landwirtschaft einen Vertreter, es entsendet der Arbeiterrat der Textilindustrie einen Vertreter, und so weiter, und die treffen sich. Jetzt haben wir einen branchenübergreifenden Arbeiterrat. Über diesen branchenübergreifenden Arbeiterrat ist jetzt jeder Mensch in seinem Betrieb kommunikativ mit jedem anderen Menschen in seinem Betrieb verbunden. Das heisst, jeder hat die Möglichkeit zu wissen, wie jeder andere urteilt, jeder kann wissen, sich Produktionsbedingungen und Bedürfnisse an jeder anderen Stelle im Wirtschaftsprozess gerade entwickeln.
Das Entscheidende ist, dass man nicht einfach alles Erdenkliche kommuniziert, sondern ganz bestimmte Informationen zusammenfasst und assoziiert. Ich will gleich zeigen, worauf es hier ankommt. Zunächst könnten aber noch zwei andere Massnahmen gleichzeitig ergriffen werden. Es könnten bestimmte Bedürfnisse der Menschen ihren Ausdruck in Konsumentenvertretungen finden. Die könnten sich wieder miteinander verbinden, so dass wir hier eine zweite Spitze haben neben dem branchenübergreifenden Rat, nämlich einen Verband reiner Konsuminteressen. Und etwas ähnliches können wir uns auch für die Händler denken. Rudolf Steiner war es wichtig, diese drei Gesichtspunkte, den Produzentenstandpunkt, den Konsumentenstandpunkt, und den Händlerstandpunkt getrennt zu erfassen und zu organisieren, weil diese, so Steiner, im Prozess zunächst gegenläufige Interessen verfolgen müssten, auch wenn sie von einer höheren Warte aus gesehen einander tatsächlich zuarbeiten. Diese höhere Warte sollte aber eben erst ermöglicht werden, und dazu durfte gerade nicht etwa das Konsuminteresse vermengt werden mit dem Produktionsinteresse, wie es etwa heute durch Konsumgenossenschaften geschieht, sondern jeder besondere Gesichtspunkt sollte sich zuerst auch als solcher zeigen. Und ganz oben, Sie ahnen es, verbinden sich dann erst wieder die drei Organe miteinander, der branchenübergreifende Rat mit dem Konsumentenverband und den Händlervertretungen. Und jetzt wird’s spannend. Was passiert da oben in dieser Spitze der Assoziation?
Da wird nichts entschieden. Da gibt’s keine Programme. Da wird auch gar nicht nachgedacht über irgend etwas. Nichtmal höhere Erkenntnisse werden da gemacht. Sondern da werden bloß die assoziierten Urteile zusammengetragen, so dass sich ein Abbild des Gesamtprozess ergibt. Und das Ergebnis des Zusammentragens, das Bild des Gesamtprozesses, wird dann wieder zurückgetragen bis in die einzelnen Betriebe hinein. Das heisst konkret: Hier oben sitzt jetzt einer, der für die Landwirte sprechen kann, der kommunikativ, durch assoziieren, mit allen Landwirten verbunden ist. Daneben sitzt einer, der für die Textilbranche sprechen kann. Und da ist auch die Händlervertretung und die Konsumentenvertretung. Und jetzt entsteht ein ganz harmloses Gespräch. Der Landwirt sagt: die Bodenqualität ist schlecht, wir werden bei gleichbleibendem Arbeitsaufwand im nächsten Jahr weniger Getreide bereitstellen können. Der Textilproduzent sagt: Bei uns läuft es gut, wenn es nach uns ginge, könnten wir expandieren. Der Händler sagt: Bei den Textilien will der Produzent höhere Preise, aber der Konsument geht nicht so weit mit. Es ist für mich keine so hohe Marge mehr drin. Im Lebensmittelhandel sieht es besser aus. Und der Konsument sagt: Mir ist es wichtig, gutes Brot zu haben. Wenn das Brot teurer wird, spare ich lieber beim Kleiderkauf als beim Brot. Und das wars. Jeder geht jetzt zurück in seinen Rat und berichtet, was er erfahren hat, und von dort wird es in die Betriebe getragen. Mehr braucht gar nicht passieren, vom Prinzip her. Denn da hat jetzt die Wirtschaft geurteilt. Haben Sie es bemerkt? Das war schon das Kollektivurteil! Es ist nämlich sichtbar geworden, wie sich die Einzelurteile gegenseitig bedingen. Jeder weiß nun, was er zu tun hat, und keiner kann etwas anderes tun, weil auch das sichtbar werden würde. Zum Beispiel der Textilproduzent. Was weiß er durch dieses Gespräch? Er weiß durch dieses Gespräch, dass er morgen nicht mehr das für seine Produkte bekommen wird, was er bekommen muss, um zu leben. Er weiß, dass sich die Textilbranche verkleinern muss, wenn die Textilproduzenten von ihren Preisen leben sollen. Er wäre schön blöd, wenn er nach diesem Gespräch einfach wie vorher weiter produzieren würde, oder gar expandieren wollte! Und auch der Sparer weiß das. Es wäre doch nach diesem Gespräch völlig hirnrissig, Kredite in die Textilbranche laufen zu lassen. Und es wäre verrückt, jetzt weiterhin genau so intensiv für die Textilbranche auszubilden wie vorher. Das weiß der Textilproduzent, das weiß überhaupt jeder. Das Kollektivurteil braucht nur noch vollzogen zu werden. Jetzt läuft das Kapital zum Beispiel in die Landwirtschaft, jetzt bilden die Bauern aus, denn so urteilt das Kollektiv. Und so ist morgen das da, was es möglich macht, dass jeder an seinem Arbeitsplatz leben kann.
Die Assoziation erfasst die objektiven Wertverhältnisse vor der Produktion, sie lässt die Waren sich gegenseitig bewerten, damit der Einzelne mit seiner Arbeit in Richtung des Gesamtprozesses arbeiten kann. So werden sich die Preisverhältnisse immer den objektiven Wertverhältnissen anpassen. Ein Paradies auf Erden wird auch das nicht. Aber der Mensch kann zum ersten mal brüderlich handeln. Er kennt dann den Wert seiner Arbeit und den seiner Mitmenschen. Heute ist jeder von uns gezwungen, egoistisch zu handeln. Nehmen Sie einen Arbeiter bei Opel. Der produziert etwas, das wird verkauft, und er hat sein Einkommen. Scheinbar ist also alles in Ordnung. Aber es kann sein, dass die ganzen Kräfte, die dahin gelenkt wurden, gegen den Gesamtorganismus gerichtet sind, dass also auch der Opelmitarbeiter eigentlich ein Schädling ist, obwohl er es gar nicht sein will. Es kann sein, dass nachher eine Abwrackprämie her muss, weil der Unsinn gar nicht gebraucht wird, weil die Kräfte eigentlich in einem ganz anderen Bereich nötig gewesen wären. Da wird die Arbeit von Menschen, ja die Lebenszeit von Menschen missbraucht, um gegen den Organismus zu arbeiten. Aber der arbeitende Mensch kann nicht anders, denn er sieht nur den Lohn, und richtet sich also nach seinem Lohn. Er ist reiner Egoist. Er muss reiner Egoist sein, weil er nichts davon wissen darf, in welche Wechselwirkungen sein Erzeugnis übergeht. Das will das Dogma der Marktwirtschaft. Nach dem Bedürfnis des anderen, nach dem wahren Wert der eigenen Arbeit darf der Mensch sich nicht richten. So ist die Arbeit heute sinnlos geworden. Die Arbeit ist sinnlos geworden, weil wir nichts wahrnehmen können von den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen, für die wir in Wahrheit arbeiten. Erst die objektiven Wertverhältnisse, wie sie durch die Bedürfnisse der Menschen gesetzt sind, können der menschlichen Arbeit einen Sinn geben. Und deshalb werden wir unsere Arbeit erst wieder wirklich als sinnvoll erleben können, wenn wir die Grenzen, die uns durch unsere Körperlichkeit gesetzt sind, überwinden, und ein Wahrnehmungsorgan als sozialen Prozess organisieren. Dazu ist aber etwas anderes nötig, als geistige Fragen zu bewegen. Dazu ist auch etwas anderes nötig, als über soziale Ideen zu parlamentieren. Dazu ist nötig, dass ein Arbeiter aufsteht und sich auf den Weg macht in einen anderen Betrieb der selben Branche, um dort mit einem Kollegen ganz bestimmte Informationen auszutauschen. Dazu ist nötig, dass Sie von ihrem Arbeitsplatz aus das selbe tun. Dazu müssen wir ganz äußerlich tätig werden, dazu müssen wir wirklich mitgehen mit unseren sozialen Intuitionen. Wir können dann nicht mehr nur unsere guten Ideen ins Leben hineingeben und darüber abstimmen, sondern müssen uns selber in das soziale Leben hinein stellen. Die Menschheit steht heute vor der Aufgabe, das politische Denken als solches zu überwinden. Wirkliche Aktivität muss das Politische als solches überwinden, denn das Politische ist eine Teilnahme in der Theorie, keine tatsächliche.
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