Die Praxis weiblicher Intelligenz am Beispiel des Hessnatur-Übernahmekampfes

Ist Marc Sommer der rechtmäßige Eigentümer von Hessnatur? Oder Capvis? Und wer entscheidet das? Wenn es nach unserem gegenwärtigen System geht, entscheidet das niemand. Dann ist das ein Automat. Rechtmäßiger Eigentümer ist dann derjenige, der dieses Recht gekauft hat. Im Falle von Hessnatur also Marc Sommer oder Capvis, oder beide zusammen. Es weiß ja bis jetzt noch niemand so genau, wie die sich das aufgeteilt haben. Im Jahr 2018, wenn Capvis das Recht weiterverkauft, hat dann ein anderer das Recht - sofern er genug Geld dafür hinlegen kann. Das geltende Recht ist nunmal käuflich. Warum also wehren sich die Mitarbeiter und Kunden, die das Fair-Trade-Unternehmen aufgebaut haben? Warum ist für sie die Angelegenheit mit dem Verkauf des Rechts an Capvis nicht einfach erledigt?

1. Rechtsgefühl versus Rechtspraxis

Weil sie offenbar über ein gesundes Rechtsgefühl verfügen. Und dieses Rechtsgefühl muss notgedrungen in einen Konflikt geraten mit der gegenwärtigen Rechtspraxis. Was genau sagt das Rechtsgefühl nämlich? Wer die auf wir-sind-die-konsumenten.de geäußerten Standpunkte der Kunden aufmerksam liest, erhält darüber leicht Aufschluss. Offenbar scheint es von zwei Bedingungen abzuhängen, ob die Hessnatur-Kunden eine Person oder Personengruppe als rechtmäßigen Eigentümer des Ökopioniers anerkennen wollen oder nicht. Die erste Bedingung bezieht sich auf den Zweck des Unternehmens: Hessnatur dient einem bestimmten Zweck, nämlich der Versorgung der Menschen mit fair gehandelter und ökologischer Kleidung. Rechtmäßiger Eigentümer wäre demnach derjenige, der diesen durch den Bedarf der Kunden definierten Zweck des Unternehmens erfüllen kann. Die zweite Bedingung bezieht sich auf die Fähigkeit, diesem Zweck zu entsprechen. Rechtmäßiger Eigentümer wäre demnach derjenige, der auch über die besonderen Fähigkeiten verfügt, die zur Leitung eines Betriebes dieses speziellen Zwecks eben nötig sind.

Die Befriedigung eines bestimmten Bedarfs auf der einen, die dazugehörige Fähigkeit auf der anderen Seite – wenn ein Mensch beides vereint, haben wir das Gefühl: er ist der Rechte an seinem Platz! Und es scheint so, als ob sich das Rechtsgefühl auf wir-sind-die-konsumenten.de in den allermeisten Fällen so ausspricht. In unserem Rechtsgefühl liegt also etwas, was wir als Menschen, trotz aller individueller Unterschiede, miteinander gemein haben. Insofern sind wir einander gleich. Dieses Gleichheitsprinzip ist bisher noch kaum in die Rechtsnormen eingeflossen, die unseren alltäglichen Verkehr bestimmen. Im wesentlichen wird der Rechtsverkehr in Deutschland ja durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geregelt. Dieses Gesetzbuch wurde den Deutschen 1873 von einer kleinen Gruppe von „Pandektenforschern“ gestiftet – im Auftrag der Grundbesitzer. Als „Pandekten“ bezeichnet man die 533 nach Christus von Kaiser Justinian erlassenen römischen Gesetze. Die Macht des römischen Patriarchen über seine Sklaven wird dort als „Dominium“ bezeichnet. Die Pandektenforscher übertrugen nun dieses „Dominium“ in das BGB und übersetzten es mit dem Wort „Eigentum“. Und wer im Lexikon nachschlägt, wird auch heute selten eine andere Übersetzung von „Dominium“ finden als eben „Eigentum“.

Die Übersetzung ist korrekt, insofern unser gegenwärtiges Eigentum tatsächlich das Überbleibsel des römischen Patriarchats ist. Sie ist jedoch nicht mehr korrekt, sobald man als Recht dasjenige ansieht, was aus einer demokratischen Mehrheit hervorgeht. Eine echte demokratische Gesinnung kann der Konservierung archaischer Rechtsgebräuche durch eine kleine Gruppe „Rechtsgelehrter“ nichts abgewinnen. Sie will viel mehr hören, was das Rechtsgefühl der heute lebenden Menschen spricht! Viele Politiker haben allerdings einen scheinbar gewichtigen Einwand gegen die direkte Demokratie. Er lautet: wenn ein Volk sich sein Gesetz selbst gibt, kann nicht garantiert werden, dass dieses auch vernünftig ist. Verhält es sich aber wirklich so – spricht eine Parteimeinung oder eine Gelehrtensekte vernünftigeres Recht als das Rechtsgefühl der demokratischen Mehrheit?

2. Weibliche Intelligenz

Weibliche Intelligenz ist ein abgenutzter Ausdruck. Er ist aber bloß deshalb abgenutzt, weil man dieser weiblichen Intelligenz ein Sonderdasein neben der praktischen Vernunft bescheiden wollte. Auch wo man aus parteipolitischen Gründen angeblich die Rolle der Frau in der Gesellschaft stärken möchte, überlässt man die wichtigeren Angelegenheiten, und darunter das gesamte gesellschaftliche Leben, doch lieber der Intelligenz des Mannes. Es waren Männer, die sich unter Ausschluss der Frauen in der Polis trafen und so die Demokratie erfanden, Männer, die sich das römische Patriarchat erschufen, wieder Männer, die dann mit greisenhafter Intelligenz die römischen Dokumente sichteten und daraus das Lebenserhaltungssystem für den „Nichtsnutz“ bastelten, es waren Männer, die schließlich Arbeit und Lebenszeit der Menschheit über die Welt hin in das Interesse von Bubenträumen wie Macht oder dicke Autos einspannten, und es waren Männer, die sich Neoliberalismus und Wettbewerbswirtschaft ersannen. Es sind, mit einer Ausnahme, auch wieder Männer, die wie kleine Jungs gequengelt, geschubst und gelogen haben, bis sie sich Hessnatur auf den Latz schmieren konnten.

Es sind dagegen mehrheitlich Frauen, die Hessnatur aufgebaut und so die Bedingungen dafür geschaffen haben, dass nicht jeder Kleiderkauf zwangsläufig zu Umweltzerstörung und Kinderarbeit führen muss. Es waren in der Mehrzahl Frauen, die dann die Genossenschaft hnGeno aufbauten, um die Übernahme des Fair-Trade-Unternehmens durch Spekulanten, Waffenhändler und die Männerfreundschaften eines Herrn Marc Sommer zu verhindern. Es sind zu zwei Drittel Frauen, die sich auf wir-sind-die-konsumenten.de eintragen und ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, wonach das Unternehmen nicht in irgendwelche, sondern in ganz bestimmte Hände gehöre.

Frauen scheinen ein anderes Sozialbewusstsein zu haben als Männer. Und dieses Sozialbewusstsein ist das Zukunftsweisende, während das männliche der Vergangenheit angehört, wie ich unten zeigen werde. Meiner Ansicht nach hängt das damit zusammen, dass Männer stärker in einer äußerlich-praktischen Rationalität leben, während Frauen dem Gefühlsleben meistens mindestens den selben Wert beimessen. Das Gefühlsleben allein liefert aber die Praxis für ein Rechtsleben, das der Gegenwart entspricht, während die männliche Rationalität aus eigener Kraft nur die Vergangenheit konservieren kann, und damit in einen Widerspruch zu den sozialen Forderungen der Gegenwart gerät. Sobald man sich auf einen demokratischen Boden stellt, ist Recht das genaue Gegenteil dessen, was der Capvis-Partner Daniel Flaig zum Ausdruck brachte, als er jüngst auf die Vorwürfe einer falschen Angabe im WMF-Geschäftsbericht reagierte. Flaig sagte: „Wir haben das x-mal juristisch abprüfen lassen, es geht hier nicht nach Gefühlen, sondern nach der rechtlichen Beurteilung.“[1] Tatsächlich geht es in allen Rechtsfragen sogar ausschließlich nach Gefühlen. Recht kann niemals dadurch geschaffen werden, dass es sich ein Wissenschaftlicher ausdenkt. Sobald er sich auf einen demokratischen Boden stellt, hat ein Rechtswissenschaftler vielmehr lediglich zu beschreiben, was sich in einem demokratischen Prozess als Recht ergibt. Und in einem demokratischen Prozess spricht sich gerade das Gefühl aus, nämlich das, was jeder gleichermaßen fühlt in Bezug auf den allgemeinen Wert des Menschen. Es ist bloß unrecht, wenn das intellektuelle Produkt einer „Fachwelt“ dasjenige tyrannisiert, was das Rechtsgefühl einer demokratischen Mehrheit spricht.

Das Recht hat sich vom Rechtsgefühl des Volkes abgenabelt und ist zur Abstraktionskunst einer winzigen Minderheit geworden. Diese Abnabelung hat ihre Wurzel in der Prägung des gesellschaftlichen Lebens durch die Herrschaft des männlichen Geschlechts über das weibliche. Bei den Germanen lebte das Recht anfänglich noch im zwischenmenschlichen Gefühl. Durch den Kontakt mit Rom wurden die Germanen jedoch Wissenschaftler der alten römischen Rechtsgebräuche. Diese Rechtsgebräuche waren zwar in vieler Hinsicht fortschrittlicher als die germanischen. Indem die Germanen sich das römische Wesen jedoch auf wissenschaftlichem Wege einverleibten, also über den Kopf, ging die Romanisierung einher mit einer Verschiebung der Deutungshoheit von „Recht“ hin zu einer kleinen, männlichen Elite. Es bildete sich der Stand der Rechtsgelehrten heraus. Diese verehrten die Hinterlassenschaft der Römer als „Ratio Scripta“, als geschriebene Vernunft, und ersetzten das demokratische Recht allmählich durch ihre Gelehrtenmeinung. Die Gelehrten interpretierten nun das Verhältnis zwischen Fürst und Bauern als römische „familia“, und errichteten sich nach dem Vorbild des römischen Patriarchats Festungen der männlichen Herrlichkeit. Mit dem Heraufkommen des abstrakten Geldwesens entwickelte sich aus diesen „Grundherrschaften“ dann Lohnarbeit und spekulative Wirtschaft.

Unter der Dominanz des Mannes erhielt das gesellschaftliche Leben eine Form, in der eine Zweckrationalität im Sinne einer Beschaffungskriminalität für die eigene Bequemlichkeit scheinbar mit „Intelligenz“ zusammenfällt. Im Zuge der Emanzipation wuchsen dann auch Frauen in die so geprägten Institutionen und Gebräuche hinein. Emanzipation bedeutete deshalb vor allem, dass der Frau alles zugesprochen werden sollte, was auch dem Mann zugesprochen wurde. Das mag für das Selbstbewusstsein der Frau einen Wert haben. Für das soziale Leben kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Frau auch kann, was der Mann kann. Indem die Neigung des Mannes auch zum Masstab für den Wert der Frau gemacht wird, gewinnt das Leben nichts Neues. Vielmehr wird der weibliche Einfluss damit endgültig ausgeschlossen. Das ist meiner Ansicht nach eine der großen Tragödien der Gegenwart. Mag sein, dass ein vertrockneter Intellekt im Dienst niederer Triebe auch der Frau zukommt. Für das soziale Leben ist das nebensächlich, weil nämlich aus jenem Intellekt niemals die Impulse fließen können, welche die Menschheit zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise so dringend braucht. Die Antwort auf die Krise der Gegenwart wird vielmehr davon abhängen, ob die Intelligenz jetzt auch in demjenigen entdeckt wird, was nur Frauen dem sozialen Leben zuführen können, weil Männer daran tendenziell gehindert sind.

Wir müssen heute den Mut finden, das römische Skelett loszulassen, und die Richtschnur für unser Handeln auf rechtlichem Gebiet in dem zu suchen, was wir für den anderen Menschen fühlen können. Männer haben davor die größte Angst. Sie erleben Intelligenz nämlich eher in dem, was sie sich im Kopf zurechtlegen können. Das Gefühlsleben ist aus ihrer Perspektive meistens etwas Unscharfes. Deshalb entzieht sich ihnen aber auch tendenziell ein Verständnis des Rechts. Denn das Recht ist nicht etwas Ausgedachtes. Und dennoch ist es ein scharf umrissener Inhalt. Dieser Inhalt kristallisiert sich in seiner konkreten Gestalt heraus, wo Menschen im alltäglichen Verkehr ein Gefühl entwickeln für den allgemeinen Wert des Menschen. Darüber täuschen sich gerade die Männer, indem sie sich an ihre Paragraphen und Staatstheorien klammern. Natürlich kann sich der Verstand auf das Gefühl beziehen, sobald das Gefühl da ist. Auf dem Gebiet des Rechtslebens gibt das Gefühl aber dem Verstand erst seinen Inhalt. Und so handelt es sich auch bei jenen Paragraphen faktisch nicht um Verstandesprodukte, sondern um eine Absonderung des Gefühlslebens, meistens allerdings des Gefühlslebens einer längst ausgestorbenen Gesellschaft.

Weil wir die Intelligenz nicht in unserem Gefühlsleben suchen, sondern im Verstand, empfangen wir auf dem Umweg über den Verstand die Intelligenz des Gefühlslebens der römischen Patriarchen. Wir kommen nicht anders zu einer Rechtsform, die den heute lebenden Menschen entspricht, als dadurch, dass wir als verbindliches Gesetz dasjenige nehmen, was die heute lebenden Menschen füreinander fühlen. Wir müssen eine echte Aktivität gerade des Gefühls entwickeln. Deshalb ist die Emanzipation der Frau als Frau die unbedingte Voraussetzung für die Entwicklung einer echten Demokratie. Das schließt nicht aus, dass auch Männer über „weibliche Intelligenz“ verfügen. Die Frauen können den Männern dazu verhelfen, indem sie sich nicht mehr bloß in Männer-Institutionen einfügen, sondern dem sozialen Leben nun ihrerseits Institutionen weiblicher Intelligenz einprägen. Nur das wird in dem umfassenden volkspädagogischen Sinn erziehend auch auf die Männer wirken können, wie es heute nötig ist.

3. Die Herrschaft des Patriarchats

Unser Grundgesetz enthält einen scheinbar sehr vernünftigen Gedanken zum Eigentum. Da heisst es in Artikel 14: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Um dieses Gesetz so zu verstehen, wie es heute angewandt wird, muss man allerdings eines beachten: Hier war wieder nicht das Rechtsgefühl einer demokratischen Mehrheit der Gesetzgeber, sondern eine kleine Gelehrtengruppe. Diese waren bekanntermaßen beeinflusst von der Soziallehre der katholischen Kirche. Und die katholische Kirche war dazumal bemüht, das römische Patriarchat gerade zu konservieren. Wer das Grundgesetz der BRD verstehen will, sollte deshalb auch solche Dinge kennen wie das „Quadrogesimo Anno“, in der Papst Pius XI die Grundprinzipien der katholischen Soziallehre erklärt. Darin heisst es: „Wenn ein nichtsnutziger Lümmel und Sohn eines Fabrikbesitzers das Unternehmen seines Papas geerbt hat, so bewirken weder seine Unfähigkeit, noch Missbrauch, noch Nichtgebrauch des geerbten „Privateigentums“ die Verwirkung des Besitz-Rechtes, der nichtsnutzige Erbe darf im Namen der Regierung seiner Religion soviel Unfug stiften, als ihm beliebt.“[2]

Mit dem Dogma über die unanfechtbare Eigentumsmacht des nichtsnützigen Sohnes gelingt Papst Pius XI das Kunststück, die Macht der katholischen Kirche in das industrielle Zeitalter hinüberzuretten. Hinge nämlich das Eigentumsrecht eines Menschen von seiner Fähigkeit und von der sinnvollen Verwendung des Eigentums ab, geriete die ganze soziale Ordnung auch in Abhängigkeit vom freien Urteil des Individuums. Denn dann müsste das Individuum auch Einsicht nehmen in die Fähigkeiten seines Nächsten. Jeder Mensch müsste sich aufschwingen zum freien Gebrauch seiner Urteilskraft, denn davon hinge es eben ab, wer im Leben welche Rechte ausüben dürfte. Der staatliche Schutz, denn das bedeutet „Eigentum“, würde demjenigen gelten, der die Anerkennung der Menschen geniesst, deren Arbeit er in Anspruch nehmen möchte. Nicht vom außerweltlichen Dogma, sondern von unserer eigenen, menschlichen Weisheit müssten wir dann alle Ordnung für das soziale Leben erhoffen.

Sobald dagegen der Schutz des Staates nicht von Fähigkeit und Bedarf, sondern bloß von Blut oder Geld abhängt, gerät die Gesellschaft in Abhängigkeit von der Kirche. Dann muss nämlich die Kirche den „Lümmel“ zur Vernunft ermahnen, dann sozialisiert allein der Zusammenhalt in der Gemeinde, dann ist „Sozialismus“ gleichbedeutend mit „Moral“. Genau das meint unser Grundgesetz, wenn es verlangt, dass der Gebrauch des Eigentums dem „Wohle der Allgemeinheit dienen“ müsse: Es handelt sich hierbei lediglich um einen moralischen Appell an den Eigentumsmächtigen, dessen Macht dadurch jedoch prinzipiell nicht in Frage gestellt, sondern gerade bestätigt wird. Helmut Kohl hat das Grundgesetz richtig interpretiert, als er den Besitz der DDR an Vermögende verschleuderte, Steuergelder dazu packte und dann einen Appell an das soziale Gewissen der so Ermächtigten hinterherschickte.

Ganz anders klingt das Grundgesetz, sobald man „Recht“ demokratisch versteht. Dann wird das Patriarchat nämlich sehr wohl in Frage gestellt. Gewalt darf dann nur dort ausgeübt werden, wo sie durch das Rechtsgefühl einer demokratischen Mehrheit begründet ist. Die staatliche Gewalt müsste an das Rechtsgefühl des Volkes gebunden sein. Dann erlischt aber das Eigentumsrecht in dem Augenblick, da der Eigentümer sich als unfähig erweist, das Unternehmen in Einklang mit den Interessen der Arbeiter und Kunden weiterzuführen. Eigentum ist dann etwas bewegliches: es erlaubt die Verbindung mit einer Sache, so lange diese durch Fähigkeit und Art der Verwendung gerechtfertigt ist, es löst diese Verbindung, sobald sie nicht mehr durch das Wohl der Gemeinschaft gerechtfertigt ist, sondern in leere Macht umschlägt.

Ein emanzipatorischer Rechtsbegriff bringt die Bedeutung von Eigentum in Bewegung. Sofern damit jedoch die Unantastbarkeit des Rechts des „Lümmels“ in Frage gestellt wird, stehen plötzlich auch die Begriffe „Fähigkeit“ und „Wohl“ zur Debatte. Wer entscheidet, wer fähig ist, und wer definiert das Allgemeinwohl? EU-Norm und "unsichtbare Hand"? Oder ist es auch möglich, in diesen beiden Fragen emanzipatorisch zu denken?

4. Die Idee der sozialen Dreigliederung

Heute glaubt man für gewöhnlich, Wahrheit und Fähigkeit könnten unabhängig vom betreffenden Individuum als Rechtsnorm festgesetzt werden. Wissend oder fähig wäre demnach, wer durch ein festgelegtes Testverfahren seine Konformität mit jener Rechtsnorm beweist. Das würde, wenn es denn möglich wäre, dem Einzelnen die Last abnehmen, das Können eines anderen Menschen zu beurteilen. Hochschulreif wäre, wer das Abitur, fähiger Arzt, wer die Approbation, und geschäftstüchtiger Unternehmer, wer ein BWL Studium abgeschlossen hat. Dann könnte die Anerkennung der Fähigkeit durch die Menschen, auf welche die Fähigkeit angewandt werden soll, entfallen. Man könnte die individuelle Urteilskraft durch ein automatisiertes Anerkennungsverfahren ersetzen. Dieses Experiment ist im vollen Gange: Der Student trifft heute auf einen Professor, weil beide eine staatliche Norm erfüllen, aber nicht, weil der Professor just diesen Student für fähig hält, ein guter Jurist zu werden, und auch nicht, weil der Student diesen bestimmten Professor wegen seiner besonderen Fähigkeiten aufsucht. Beide brauchen sich (scheinbar) nicht zu er-kennen, geschweige denn, an-zuerkennen. Und so lässt auch der Patient für gewöhnlich eine Therapie deshalb mit sich machen, weil der Arzt einen weißen Kittel trägt und die Krankenkasse zahlt, aber nicht, weil er sich ein Bild von Fähigkeit und Menschenbild des Arztes gemacht hat.

Wer entscheidet, wer fähig ist, Hessnatur zu leiten? Dafür kann es keinen Automaten geben. Das müssen Menschen entscheiden. Und zwar am besten diejenigen, die es auch beurteilen können, weil sie einerseits selbst mit dem Unternehmen und seinem besonderen Zweck verbunden sind, und andererseits eine unmittelbare Wahrnehmung der in Frage kommenden Person haben. Wer dem Wort "Qualitätsmanagement" einen Sinn geben will, wird sich sagen: der Geschäftsführer muss den Menschen verantwortlich sein, denen er seine Fähigkeiten angedeihen lassen will, und niemandem sonst. Weder Rechtsnorm, noch ökonomische Macht, sondern nur das freie Urteil der unmittelbar betroffenen Individuen kann ihn auf seinen Posten befördern.

Wolf Lüdge war der von Mitarbeitern und Kunden anerkannte Leiter von Hessnatur. Marc Sommer dagegen könnte sich nicht eine Sekunde als "Generalbevollmächtigter" von Hessnatur halten, wenn es nach dem freien Urteil der Mitarbeiter ginge. Ihn hält nicht freiwillige Anerkennung, sondern Macht auf dem Posten. Die grundsätzliche soziale Frage lautet deshalb an dieser Stelle: was ist das bessere Mittel zur Qualitätssicherung, Freiheit oder Macht? Ich für meinen Teil halte es für ausgeschlossen, dass ein Mensch heute ein ihm angemessenes Wirkungsfeld auf einem anderen Weg findet als dadurch, dass dieses Wirkungsfeld, also letztendlich der betroffene Menschenkreis, die in Frage stehende Fähigkeit selbst beurteilt und aus freien Stücken anerkennt. Wollte man aus einer albernen Laune heraus ein System erfinden, durch das die menschlichen Kräfte am inneffektivsten genutzt und ein größtmöglicher Dilettantismus produziert werden kann, müsste man nur dafür sorgen, dass der Arzt nicht dem Patient, sondern einer Krankenkasse, der Professor nicht dem Student, sondern einem Hochschulrat, und der Unternehmer nicht seinen Mitarbeitern und Kunden, sondern einem Private-Equity-Fonds verantwortlich gemacht wird.

Angenommen, das Individuum gewinnt die Urteilskraft zurück, die es an den Staat und die gefühlte Autorität ökonomischer Macht abgegeben hat und entscheidet in Zukunft selbst, wem es in einer Sachfrage Autorität verleihen, und wem es diese Autorität wieder entziehen möchte. Selbstverständlich dürfte sich etwa ein Kassierer deshalb nicht anmaßen, zu wissen, was nur der Unternehmer wissen kann. Er wird sich aber durchaus ein Urteil über die ganze Art und Weise bilden können, wie sich der Unternehmer mit seinen Fähigkeiten in die Welt stellt. Und er muss sich dieses Urteil bilden, wenn er nicht blindem Autoritätsglauben verfallen will. Der freie Gebrauch der Urteilskraft setzt deshalb eine Gemeinschaftsbildung voraus, in der Ärzte nicht als Ärzte, Lehrer nicht als Lehrer, und Unternehmer nicht als Unternehmer zusammengefasst sind, sondern in der sich das Individuum aus seiner speziellen Lebenssituation herausbemüht, um dem anderen aus einem reinen Erkenntnisinteresse zu begegnen. Naturgemäß kann ein solches Interesse nicht durch ein wie auch immer geartetes demokratisches Abstimmungsverfahren herbeigeführt werden, sondern nur durch die individuelle, freie Tat. Das ist die Idee eines freien Geistesleben.

Mit einem freien Geistesleben kann jeder überall und sofort beginnen. Konkret kann das zum Beispiel so aussehen, dass sich Menschen für den Betriebsrat von Hessnatur interessieren, und ihn zu einem Gespräch einladen. So wie es mit dem „Sozialwissenschaftlichem Forum Berlin“ vor einem Jahr geschehen ist. Weder eine akademische Institution, noch eine ökonomische Macht war hier am Werk, vielmehr haben Menschen, das heisst: Lehrer, Schreiner, Unternehmer, Rentner und HartzIV Empfänger ihre Freizeit dazu genutzt, einen anderen Menschen bewusst kennen zu lernen. Sie haben Saalmiete, Fahrtkosten und Werbung selbst bezahlt, weil ihnen diese Begegnung mehr wert war als ein Kinobesuch. Und die Begegnung mit dem Betriebsrat verlief offenbar so, dass Einzelne für sich zu dem Urteil kamen: es ist richtig, wenn ich den Betriebsrat unterstütze. In dieser Art kann allmählich die Zivilgesellschaft Verantwortung für die eigene Bildung übernehmen, und insbesondere auch in ökonomischen Fragen zu einer selbständigen Anschauung kommen, anstatt einfach die herrschende Ideologie vom Wettbewerbssystem zu übernehmen.

Selbstbestimmung ist also grundsätzlich nicht nur auf rechtlichem, sondern auch auf kulturellem Gebiet möglich und erstrebenswert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch hier Frauen die treibenden Kräfte sind. Vielleicht liegt das daran, dass Frauen den Geist nicht so schnell mit ihrer eigenen Lieblingsmeinung verwechseln, sondern ihn noch stärker da fassen können, wo er sich in der Begegnung bildet. Einen guten Einstieg in das Thema freies Geistesleben bietet das Buch "Menschenbildung in einer globalisierten Welt“ von Clara Steinkellner.

Das oben charakterisierte Rechtsgefühl verweist jedoch neben der Fähigkeit auch auf das Wohl der Gemeinschaft. In dieser Frage kann nun aber weder das demokratische, noch das individuelle Urteil die Sache fassen. Das individuelle Urteil muss auf diesem dritten Lebensgebiet in die Spekulation führen, das demokratische wird stets individuelle Bedürfnisse überstimmen. Wir haben deshalb gegenwärtig auf diesem Lebensgebiet alle Versuche der Selbstbestimmung aufgegeben, und überlassen es der vermeintlichen Steuerung durch eine "unsichtbare Hand". Doch nur, weil hier weder das Gleichheitsprinzip, noch das Freiheitsprinzip anwendbar ist, heisst es nicht, dass Selbstbestimmung in den wirtschaftlichen Beziehungen unmöglich ist.

Die ökonomische Realität ist das Ergebnis des Zusammenwirkens der Einzelurteile. Hier kommt es gerade auf das an, was der Lehrer als Lehrer, der Bauer als Bauer, und der Architekt als Architekt urteilt, und wie diese mehr gruppenhaften Urteile dann aufeinander wirken. Kann der Wirtschaftsteilnehmer die am volkswirtschaftlichen Prozess beteiligten Einzelurteile in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit durchschauen, kann er auch die Wirkungsweise der eigenen ökonomischen Handlung abschätzen und einen gezielten Einfluss nehmen. Eine solche Durchsichtigkeit der Abhängigkeiten kann nicht durch einen Mehrheitsbeschluss, aber auch nicht durch ein freies Einzelurteil, sondern nur durch ein Kommunizieren der branchenabhängigen und situationsbedingten Standpunkte erzeugt werden. Insofern sind Transparenz, Kommunikation und Vernetzung der am Wirtschaftsprozess beteiligten Parteien notwendige Bedingungen für eine faire Wirtschaftsweise. Das ist die Idee einer assoziativen Wirtschaft. Das Prinzip, das hier anwendbar ist, ist das Prinzip der Solidarität. Solidarisches Handeln setzt immer voraus, dass die wechselseitigen Abhängigkeiten der Wirtschaftsteilnehmer wenigstens partiell durchsichtig geworden sind, und daher eine bewusste Entscheidung ermöglichen.

Das ist auch der Sinn der Initiative wir-sind-die-konsumenten.de. Sie will neben das Urteil der Private-Equity-Gesellschaften, das ja allgemein bekannt sein dürfte, auch die Urteile der Arbeiter und Kunden stellen. Die Capvis-Partner urteilen: wir möchten Hessnatur im Jahr 2018 möglichst teuer weiterverkaufen. Die Hessnatur-Mitarbeiter urteilen: wir möchten eine nachhaltige Wirtschaftsweise, auch zur dauerhaften Sicherung unserer Arbeitsplätze. Und die Kunden urteilen nun: wir möchten fair gehandelte und ökologische Produkte, aber keine Finanzblasen oder Waffen kaufen. Aus der Art, wie diese drei Urteile sich gegenseitig bedingen, ergeben sich nun für jeden Beteiligten die realökonomischen Möglichkeiten.

Die Initiative gibt also niemandem eine Handlungsweise vor. Sie schafft lediglich, mit äußerst bescheidenen Mitteln, eine anfängliche Möglichkeit für eine Wahrnehmung der Urteile und ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten. Und so öffnet sich plötzlich nicht ein demokratischer, auch nicht ein kulturell-geistiger, sondern ein rein wirtschaftlicher Handlungsraum. Natürlich wird dieser wirtschaftliche Handlungsraum begrenzt durch das, was auf demokratischem oder geistigem Gebiet geleistet oder unterlassen wurde. Aber es handelt sich doch um einen Raum, der in keiner Weise mit dem rechtlichen oder dem kulturellen zusammenfällt. Aus rechtlicher Sicht muss man nämlich sagen: Der Private-Equity-Fonds hat Hessnatur übernommen und sein Ziel erreicht. Aus rein ökonomischer Sicht stimmt das jedoch gerade nicht. Was genau Capvis nämlich gekauft hat oder nicht, definiert sich erst durch die Urteile von Mitarbeitern und Konsumenten. Da, zwischen Konsument und Produzent, bildet sich der ökonomische Wert. Der konkrete Inhalt von dem, was Capvis zu besitzen meint, liegt also real gar nicht in den Händen von Capvis, sondern in den Händen jedes einzelnen Kunden und Mitarbeiters. Und er fluktuiert entsprechend der Kaufentscheidungen der Kunden und der Leistungen der Hessnatur-Mitarbeiter.

Durch die Kommunikation der sonst unbekannten Standpunkte von Kunden und Mitarbeitern ist ein Stückweit wahrnehmbar geworden, welche rein ökonomischen Wirkungsmöglichkeiten der Einzelne an seinem Ort hat. Möglich zum Beispiel, dass die ökonomischen Kräfte sich jetzt nicht in den Händen von Capvis, sondern woanders konzentrieren werden. Das zeichnet sich zumindest ab, denn immer mehr Kunden schreiben in den vergangenen Tagen: Wenn auf der Mitarbeiterseite die Fähigkeiten liegen, und auf der Kundenseite der Bedarf, dann sind wir zusammen doch das ganze Unternehmen. Und wir können gehen, wohin wir wollen. Dann brauchen wir Capvis eigentlich gar nicht in unserem Bunde. Es könnte sich also zeigen, dass Capvis letztendlich gar nicht das Unternehmen, sondern nur den Namen des Unternehmens gekauft hat.

Die reale Bedeutung von „Eigentum“ ist also auch von rein ökonomischer Seite gestaltbar. Indem es durch die Organisation von Wahrnehmungsprozessen die Punkte sichtbar macht, an denen der Gesamtprozess von individuellen Entscheidungen abhängt, kann das Individuum die Kontrolle über die Realwirtschaft zurückerlangen. Dass umgekehrt die Macht der Spekulanten auf einer bewusst erzeugten Nicht-Wahrnehmbarkeit der Zusammenhänge beruht, habe ich hier mehrfach ausgeführt. Die Mittel der Bewegung für solidarische Ökonomie sind deshalb: Wahrnehmung gegen Intransparenz, Kooperation gegen Konkurrenz, Assoziation gegen Spekulation.

Auch in der Bewegung für solidarische Ökonomie stehen wieder Frauen stärker im Vordergrund. Meiner Ansicht nach hängt das damit zusammen, dass ein Mann leichter damit fertig wird, dass er etwa durch seinen Konsum mitverantwortlich ist am Leid vieler Menschen. Tendenziell sagt der Mann eher: das System ist aus den und den Gründen eben so, und die Politik soll mal dies und jenes dagegen machen. Aber mit ihm selber hat das nicht viel zu tun.

Soziale Dreigliederung heisst: nicht alles über einen Kamm scheren, sondern gleichzeitig an einem demokratischen Rechtsleben, einem freien Geistesleben, und einem solidarischen Wirtschaftsleben mitarbeiten, damit jeder Mensch auf allen Lebensgebieten mitbestimmen und die Ständegesellschaft allmählich überwinden kann. Soziale Dreigliederung ist deshalb auch die Kunst, die drei jeweils möglichen Formen der Mitbestimmung, also demokratisches, individuelles und kollektives Urteil, zu einer menschenwürdigen Gesamtgestalt zusammenklingen lassen. Aus der Sicht des Instituts für soziale Dreigliederung ist jeder soziale Aktivismus zum Scheitern verurteilt, wenn er das zur Rede stehende soziale Phänomen nicht von seinen drei Seiten her beleuchtet, sondern einseitig bleibt. Zum Beispiel die Eigentumsfrage: Vielleicht kommen wir eines Tages tatsächlich dahin, dem Rechtsgefühl einer demokratischen Mehrheit in einem zeitgemäßen Eigentumsrecht Ausdruck zu verleihen. Das Gesetz könnte zum Beispiel lauten: "Rechtmäßiger Eigentümer von Produktionsmitteln oder Grund und Boden ist, wer über die Fähigkeiten verfügt, diese im Interesse des Allgemeinwohls zu verwalten". In diesem Augenblick wären wir jedoch sofort darauf angewiesen, dass sich jeder Mensch nicht nur an einer demokratischen Urteilsbildung beteiligt, sondern zugleich in seinen individuellen Beziehungen seine eigene, individuelle Urteilskraft frei gebraucht, und ebenso zu einer Transparenz der Wirtschaftsbezüge beiträgt. Wenn es nämlich nicht auf eine freiwillige Anerkennung des Fähigen, sondern nur wieder auf die Vorgaben staatlicher oder ökonomischer Macht verweisen könnte, und ebenso nicht auf eine Kenntnis des konkreten Wohls, sondern nur auf die unsichtbare Hand, dann hinge dieses Eigentumsrecht in der Luft, und wäre sogar ein noch größerer Unsinn als das alt-römische.

Rechtsleben, Geistesleben und Wirtschaftsleben sind gegenwärtig miteinander verstrickt. Das Recht selbst wird beispielsweise zum Gegenstand des Wirtschaftslebens gemacht, also wie eine Warengattung neben anderen behandelt. Dadurch kommt aber gerade in die eigentliche Warenproduktion das Chaos hinein. Die Bildung wiederum wird nicht vom Recht geschützt, sondern tyrannisiert. Nicht derjenige, dessen Fähigkeiten sich in der konkreten Beziehung beweisen, hat das Wort, sondern der Käufer des Rechts. In vielfältiger Weise sind also Rechtsleben, Geistesleben und Wirtschaftsleben miteinander verstrickt. Im Eigentum hat diese Verstrickung einen ihrer Knotenpunkte. Wer den Knoten lösen möchte, muss die drei miteinander verstrickten Gebiete überhaupt erst wieder für den Zugriff der betroffenen Menschen öffnen, und entsprechend Selbstverwaltungsorgane anstreben, durch die jeder Mensch eben auch auf jedem der drei Gebiete mitgestalten kann. Sonst bleiben selbst die richtigsten Forderungen aus kapitalistischen oder sozialistischen Lagern nur leere Phrasen gegenüber der Wirklichkeit des "eigenen", in Wahrheit fremdbestimmten Handelns.

5. Capvis und der real existierende Sozialismus

Die kapitalistische Theorie zum Beispiel geht von einem richtigen Grundgedanken aus: Die Möglichkeit, dass ein fähiges Individuum seine Kräfte frei entfalten und dem Wirtschaftsleben zur Verfügung stellen kann, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand. Es muss deshalb derjenige, der mit der Kapitalgrundlage verbunden ist, auch das Recht haben, frei über diese Kapitalgrundlage zu verfügen. Der Besitzer der Kapitalgrundlage darf nicht als Befehlsempfänger gesehen werden, sondern muss nach seinem eigenen Urteil handeln und auch die Verwendung der Gewinne nach eigener Einschätzung bestimmen können. Es bräuchte also ein Eigentumsrecht im Sinne eines staatlichen Schutzes für denjenigen, der real mit dem Produktionsmittel verbunden ist und diese durch seine Fähigkeiten und Erfahrungen am besten verwalten kann. Nun, von diesem kapitalistischen Standpunkt gesehen ist Capvis der real existierende Sozialismus.

Gesellschaften wie Capvis verwirklichen das exakte Gegenteil der kapitalistischen Theorie. Das Eigentumsrecht wird den Menschen entzogen, die durch ihre fähige Arbeit real mit dem Betrieb verbunden sind, und stattdessen an eine Gesellschaft übertragen, die so weit verzweigt ist, dass der Eigentümer häufig nicht einmal weiß, auf welchen Betrieb sich sein „Recht“ bezieht. Vielleicht wird es auch einem Mann übertragen, der durch Beziehungen an Geld gekommen ist und jetzt vom Ehrgeiz getrieben wird, eine Vision zu beweisen, die sich durch die Quelle-Pleite als lebensfremd erwiesen hat. Die konkrete Bedeutung von „Eigentum“ ist in beiden Fällen jedenfalls das exakte Gegenteil dessen, was sie nach der kapitalistischen Theorie sein sollte: Es handelt sich gerade nicht um einen staatlichen Schutz des Fähigen im Interesse des Allgemeinwohls, sondern umgekehrt um die unanfechtbare Willkür des „Lümmels“ von Papst Pius XI.

Wenn der Lümmel aber nun impotent ist, weil er mit dem erworbenen Betrieb geistig nichts zu schaffen hat, kann er sich gar nicht mit dem Kapital verbinden, wenigstens nicht so, wie es durch das Bedürfnis der Konsumenten gefordert ist. Das ist aber die Regel, sobald die Eigentumsübertragung nicht durch Einsicht in die Fähigkeiten, sondern durch Erbfolge oder Geld bewirkt wurde. Normalerweise belässt der Lümmel den fähigen Kapitalisten deshalb auch an seinem Platz. Faktisch ist „Eigentum“ ab diesem Moment nicht mehr ein Schutz für die freie Verantwortung des Kapitalisten, sondern das Genussrecht einer dritten Partei. Der Eigentümer leitet oder verwaltet nicht tatsächlich, sondern erhebt einen Anspruch auf den Ertrag der Leistung derjenigen, die es tun. Dem fähigen, arbeitenden Menschen wird die Entscheidungsgewalt über die Gewinne entzogen, und die Versorgung einer abstrakten, häufig nicht einmal bekannten „Eigentümergesellschaft“ aufgetragen. Das ist ein weltweiter Prozess, dem nun verstärkt auch das Industriekapital Deutschlands unterworfen wird. Gesellschaften wie Capvis spielen dabei allerdings nur die Rolle des Handlangers für Global Player wie Goldman Sachs, KKR oder Carlyle.

Eine der Hauptursachen der Wirtschaftskrise und der weltweiten Hungersnot liegt darin, dass nun in der Folge dieses Abstraktionsprozesses der Wirtschaftsprozess nicht mehr von unten, sondern von der Seite der abstrakten Eigentümerschaft in Gang gebracht wird. Nicht ein konkreter Konsumbedarf oder konkrete Fähigkeiten entscheiden, wohin Kredit gegeben wird, sondern der abstrakte Aspekt des Genussrechts. Dadurch ist es aber prinzipiell unmöglich geworden, das Allgemeinwohl zu treffen. Für das Wohl der Gemeinschaft macht es nämlich einen Unterschied, ob ein Hemd genäht, ein Baum gepflanzt oder eine Bombe gebaut wird – für denjenigen, der nicht durch seine fähige Arbeit real mit dem Betrieb verbunden ist, sondern nur einen Anspruch auf den Erlös erhebt, sind diese drei Werte das selbe. Für ihn verschwindet jede Qualität notwendig hinter einer Quantität. Das Wohl der Gemeinschaft wird jedoch nicht durch die absolute Quantität, sondern durch die Summe der konkret verfügbaren Qualitäten bestimmt. Natürlich sind Gewinne nicht per se schlecht. Ob Gewinne gut oder schlecht sind, hängt vielmehr davon ab, welchen realökonomischen Vorgang sie jeweils repräsentieren. Schlecht ist es deshalb nur, wenn Gewinne per se gut sind. Gewinne an sich als einen Wert zu betrachten, ist aber die Aufgabe eines Private-Equity-Fonds wie Capvis. Deshalb legt HarbourVest Gelder beim neuen Hessnatur-Eigentümer an[3], und nicht etwa, weil Capvis, oder Harbourvest Interesse an fair gehandelter und ökologischer Kleidung haben.

Dem Geld sieht man nicht an, ob es aus „Wohl“ oder „Unwohl“ entsprungen ist. Man sieht ihm auch nicht an, welches Wohl oder Unwohl es noch erzeugen wird. Irgendwo in der Welt verbindet es sich wieder mit menschlicher Arbeit. Dann wird das, was die Kunden und Mitarbeiter von Hessnatur ihrem Eigentümer abgeben mussten, wieder die Einkommensgrundlage für irgendeine menschliche Tätigkeit. Diese Tätigkeit ist jetzt aber dem Bewusstsein der Menschen, die letztendlich das Geld dafür geben, entzogen.

6. Wem gehört Hessnatur?

Der Ökomodenversender Hessnatur wurde von Heinz Hess aus dem Impuls der Anthroposophie gegründet. Das Wort „gegründet“ klingt hohl gegenüber dem, was Hess tatsächlich leistete: er schaffte gegen alle Widerstände die ökonomischen Bedingungen für einen fairen und ökologischen Handel im Textilbereich. Andere Menschen, die vielleicht nicht von der Anthroposophie dazu angesteckt wurden, sondern weil sie christlich oder buddhistisch empfanden, oder einfach, weil sie durch ihr individuelles Denken auf die Richtigkeit einer fairen und ökologischen Wirtschaftsweise kamen, stießen dazu und arbeiteten mit. Die Substanz des Unternehmens, der Wert von Hessnatur, ist ein Gemeinschaftsprodukt. Hessnatur „gehört“ in diesem Sinn all den Menschen, die den Wert durch ihre fähige Arbeit geschaffen haben und noch schaffen.

Zwischen diesem Wert, den eine große Menschengemeinschaft erzeugte, und dem Geld, das die Private-Equity-Gesellschaft Capvis auf ganz anderem Wege auftreiben konnte, gibt es keinen Zusammenhang. Es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen dem Wert von Hessnatur und dem Geld, das Marc Sommer durch seine überzogenen Bonus-Ansprüche[4] als Vorstand des Arcandor-Konzerns vermehrte. Und doch lässt dieses Geld jetzt das Recht an der Verfügungsgewalt über Hessnatur an Capvis und Marc Sommer übergehen. Dagegen revoltiert das Rechtsgefühl vieler Menschen, denn sie empfinden eben: der staatliche Schutz müsste den Menschen gelten, welche durch ihre fähige Arbeit so mit dem Unternehmen verbunden sind, dass sie den Betrieb am ehesten zum Wohl der Gemeinschaft verwalten können.

In jenem Rechtsgefühl spricht sich die größte nur denkbare Vernunft aus. Wenn Recht etwas ist, das seine selbständige Grundlage im Gefühlsleben einer demokratischen Mehrheit hat, kann es keinen Zusammenhang zwischen Geld und Recht geben. Beim Führerschein wenden wir diese Vernunft schon an: Wer einen anderen über den Haufen fährt, verliert das Recht an der Führung des Fahrzeuges. Und so lange er sich als unfähig erweist, das Auto zu führen, kann er sich das Recht dazu auch nicht kaufen. Dass aber der Schaden für die Allgemeinheit ungleich größer ist, wenn ein Mensch nicht im Stande ist, Kapital im Interesse der Gemeinschaft zu verwalten, ist trotz des zunehmenden Elends in vielen Teilen der Erde und auch in Europa offenbar noch nicht zu Bewusstsein gekommen. Denn wir handeln das Recht, als ob es eine Ware wäre. Soll Vernunft auch in die Wirtschaft einziehen, darf selbstverständlich nicht das Geldvermögen, sondern allein Bedarf und Fähigkeit in Bezug auf den konkreten ökonomischen Zusammenhang entscheiden, wer die staatliche Gewalt für sich, und wer sie gegen sich hat. Sonst kann jederzeit auch ein „Lümmel“ die Verfügungsgewalt über das Kapital erlangen und es zum Schaden der Allgemeinheit gebrauchen.

Wenn wir in dieser Weise unser Rechtsgefühl sprechen lassen, bekommt der Eigentumsparagraph des Grundgesetzes einen demokratischen Sinn. Dann kommen wir aber auch in der Praxis zu etwas ganz anderem, als Bettelbriefe an den Lümmel zu schreiben. Viele Sozialaktivisten haben sich in das Gebot des Papstes gefügt, sie bitten den Lümmel um Anstand, und erkennen damit seine Autorität an. Sie finden es deshalb auch praktischer, gegen den Rettungsschirm zu demonstrieren, eine Finanztransaktionssteuer zu fordern, oder die Spekulanten zu „beobachten“. Das, so glauben sie, sei die große Politik, während ein persönlicher Einsatz für konkrete Menschen nur Krimskrams sei. Man sozialisiert aber in Wahrheit nicht, indem man von der Allgemeinheit mehr Güte fordert, sondern indem man durch seine alltäglichen Handlungen die ungerechtfertigte Macht dort in Frage stellt, wo sie konkret auftritt. Wenn wir nicht auch zu den Menschen stehen, für die unser Gefühl spricht, dann bleiben alle unsere Forderungen nach mehr Gerechtigkeit nur beschönigende Phrasen für die eigene Feigheit.

Wolf Lüdge war der von Mitarbeitern und Kunden anerkannte Leiter und das Gesicht von Hessnatur. Er war noch vom Unternehmensgründer Heinz Hess persönlich als Controller eingestellt worden, stieg dann allmählich zum Geschäftsführer auf, und bescherte dem Ökomoden-Versender 2011 schließlich das beste Geschäftsjahr in der Geschichte des Unternehmens. Am Mittwoch, den 8. August 2012, erhielt er Hausverbot. Er durfte nicht mal seinen Schreibtisch räumen. Wolf Lüdge konnte gefeuert werden, weil das Eigentumsrecht zum Verkauf stand. Capvis kaufte dieses Recht und ernannte Marc Sommer zum „Generalbevollmächtigten“ über Hessnatur. Geschäftsführer von Hessnatur ist gegenwärtig allerdings der Capvis-Partner Andreas Simon, laut Handelsregister offenbar schon seit dem 23.07. Das heisst, die Hessnatur-Mitarbeiter haben derzeit einen „Kapitalverwalter“ und „Arbeitsleiter“, der sich weder ihnen, noch der Öffentlichkeit als solcher vorgestellt hat, und seit der Übernahme vor drei Monaten ein einziges Mal in Butzbach aufgetaucht ist.

Nach der Kritik an ihrer „Kommunikationspolitik“ schickte Capvis am 23. August Ricarda Demarmels, die einzige Frau neben 15 Männern in der Führungsebene der Private-Equity-Gesellschaft, nach Butzbach, um die „Kommunikationspolitik“ zu verbessern. Das allerste, was Ricarda Demarmels den Mitarbeitern von Hessnatur zu sagen wusste, war, dass es ein Ärgernis sei, ein zweites Mal anreisen zu müssen. In der Branche sei es ganz unüblich, dass der Eigentümer sein Eigentum ein zweites mal betrete. Ganz naiv, ohne jede böse Absicht sagte sie das - als sei ein solches Eigentumsverständnis das selbstverständlichste auf der Welt. In einer anderthalbstündigen Business-Show versuchte sie dann, den Betriebsrat zu diskreditieren und die Mitarbeiter zum mitspielen anzufeuern. Ohne Erfolg. Zum Schluss stand eine Mitarbeiterin auf und erklärte, dass man bei Hessnatur das Druckmittel der Angst nicht gewohnt sei und geschlossen hinter dem Betriebsrat stehe. Die Mitarbeiter klatschten, während die Capvis-Gesandte stammelte: „Ich hab' Euch Ovomaltine mitgebracht, weil der Werbespruch von Ovomaltine lautet: Mit Ovomaltine kannst du’s nicht besser. Aber länger.“

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