Recht und Ware - zur Pathologie einer Krise

Brot, Oliven, Ideen, Grundstücke, Krankenhäuser, Gene - in der Summe ihrer Preise verschwinden die realen Unterschiede der Werte. Solche Summen ("volkswirtschaftliche Kennzahlen") macht die gegenwärtige Sozialwissenschaft aber zum Ausgangspunkt ihrer Reflexionen - und wundert sich bei jeder Krise aufs Neue, warum sie die Wirklichkeit nicht fassen kann. Johannes Mosmann zeigt am Beispiel der Immobilienspekulation, wie man gerade den umgekehrten Weg gehen muss, um eine Kenntnis der objektiven Vorgänge zu gewinnen - die dann aber auch deren menschenwürdige Gestaltung ermöglicht. Vortrag vom 01.07.2011 im Rudolf Steiner Haus Heidelberg, Veranstalter: D. N. Dunlop Institut

"Es ist nicht bloß das, was gesagt wird, verlogen, auch das, was geschieht, ist verlogen. Sobald man Grund und Boden als Ware betrachtet, das heißt, sobald man ihn kaufen und verkaufen kann, lügt man durch seine Taten." Rudolf Steiner

Sehr verehrte Anwesende, Liebe Freunde,

Wenn Sie in den vergangenen Wochen, Monaten, sogar Jahren die Presse auch nur aus dem Augenwinkel verfolgt haben, konnten Sie bemerken, dass sich da offenbar eine Inflation abzeichnet. Ich meine jetzt nicht die Inflation des Geldes. Diese hängt unmittelbar mit dem Thema des heutigen Abends zusammen. Ich meine die Inflation des Wortes „Krise“. Das Wort „Krise“ erlebt gegenwärtig eine Inflation. Wir haben eine Immobilienkrise, eine Wirtschaftskrise, eine Finanzkrise, eine Eurokrise, eine Spanienkrise, eine Energiekrise, eine Nahrungsmittelkrise, eine Griechenlandkrise – und so weiter. Und Sie wissen ja, was mit einem Ausdruck geschieht, wenn er inflationär gebraucht wird – er nutzt sich ab, er wird abgegriffen. Man nimmt ihn in den Mund, aber man weiß nicht mehr, was er bedeutet. Deshalb möchte ich zunächst an die Bedeutung des Ausdrucks „Wirtschaftskrise“ erinnern.

Der Ausdruck hat offenbar zwei Teile, „Wirtschaft“, und „Krise“. Woran denken wir bei dem Wort „Wirtschaft“? Wir denken daran, dass der Mensch Bedürfnisse hat, dass zur Befriedigung dieser Bedürfnisse Arbeit notwendig ist, dass aber keiner für sich selbst arbeitet, dass also jeder für den anderen arbeitet, so wie er umgekehrt von dem anderen ernährt wird, was dann zu der schwierigen Frage nach dem real möglichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung führt, zu der Frage des richtigen Preises also. An solche Dinge denken wir zunächst bei dem Wort „Wirtschaft“, und wir brauchen uns noch keiner Schule, keinem Lager anzuschließen, wenn wir bloß an diese Dinge denken. Auf der anderen Seite das Wort „Krise“ - woran denken wir da? Wir denken an etwas, das über uns hereinbricht, etwas, das uns im Schlaf erwischt. Wir haben zum Beispiel eine „midlife-crisis“, und das eigentümliche diese „midlife-crisis“ ist, dass wir sie nicht absichtlich haben. Wir bringen sie nicht bewusst hervor. Sie ereignet sich mit einer naturgesetzlichen Notwendigkeit, die wir aber eben nicht durchschauen. Wir sagen: „das ist eben so, das gehört zum Leben dazu, der Mensch im mittleren Alter bekommt eben eine Krise.“

Und jetzt bringen wir die beiden Worte zusammen, die „Wirtschaft“ und die „Krise“, so dass wir dann die „Wirtschaftskrise“ bekommen. Dann haben wir die „Wirtschaftskrise“. Dann haben wir die Bedürfnisse, das Arbeiten für die Bedürfnisse, die Preisverhältnisse, und das alles ist gestört, aber so, dass wir diese Störung nicht absichtlich herbeiführen, sondern das trifft uns ganz unerwartet. So ist das ja, wenigstens für viele, auch gewesen 2007, und dann für viele auch wieder 2010. Als Bezeichnung eines Erfahrungswertes, als Ausdruck dafür, dass wir zwar erlebten, wie die Wirtschaft gestört wurde, aber nicht behaupten können, dass wir diese Störung bewusst hervorbrachten, ja überhaupt eine Ahnung davon haben, wie genau wir sie eigentlich hervorbrachten, diese Störung der Wirtschaft, ist der Ausdruck ja unzweifelhaft zutreffend. Und dennoch lässt sich geradezu Gegensätzliches damit sagen, je nachdem, wie man die beiden Worte zusammenbringt.

Man kann nämlich erstens bei der bloßen Erfahrung stehen bleiben. Man kann sagen: die Wirtschaft erscheint uns gegenwärtig krisenhaft, so, als ob sie mit einer gewissen inneren Notwendigkeit Störungen erfährt, deren Ursprung sich unserem Bewusstsein entzieht, die wir zumindest nicht absichtlich hervorbringen und deshalb auch nicht vorherzusehen oder gar zu verhindern wissen. Dann liegt das Krisenhafte in der Form, in der die Wirtschaft uns gegeben ist, gehört aber nicht notwendig auch zu dem Objekt „Wirtschaft“ dazu. Es kann auch im Subjekt liegen. Es ist dann möglich, dass sich mit unserer Denkweise auch die die Form ändert, in der uns Wirtschaft gegeben ist, dass also für ein anderes Bewusstsein mit anderen Begriffen die Wirtschaft nicht verschlossen bleibt, dass sich diesem Bewusstsein sogar erschliesst, wie genau wir die unerwünschten Störungen hervorbringen, wie wir sie also auch verhindern können, wenn wir wollen. Dann müssen wir unter die Wirtschaftskrise, die Finanzkrise, unter die Liste all dieser Krisen zuletzt noch die Denkkrise schreiben, und das Attribut des Krisenhaften haben Wirtschaft, Finanzwesen und so weiter dann, sofern es ihnen von der Denkkrise verliehen wird.

Man kann aber auch über den Erfahrungswert hinausgehen. Man kann sagen: dass ich die Wirtschaft nicht durchschaue, dass ich nicht verstehen kann, in welchen meiner Handlungen die Störung wurzelt, dass diese Störung also wie eine Krise über mich hereinbricht, immer wieder und ganz unerwartet über mich hereinbricht, liegt nicht an mir, sondern an der Wirtschaft selber, das kommt dem Objekt meiner Untersuchung wesenhaft zu. Die Wirtschaft wäre dann etwas, das sich prinzipiell dem menschlichen Bewusstsein entzieht, wenigstens niemals vollständig von diesem durchdrungen werden kann. Sie wäre ein besonderer Bereich des sozialen Lebens, für den der Mensch niemals sagen kann, welche seiner Handlungen welche Folgen für das soziale Leben haben, in dem er also doch immer wieder ganz unabsichtlich etwas tun muss, was dann im sozialen Leben Not hervorruft.

Letzteres ist der Standpunkt der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Ich habe Ihnen ein Magazin des Max-Planck-Instituts mitgebracht, da können Sie das sehr schön sehen. Der Direktor des sozialwissenschaftlichen Instituts, Wolfgang Streeck, schreibt darinnen einen Artikel, den nennt er bezeichnenderweise „Die Macht der Unschärfe“. Politiker, so Streeck in diesem Artikel, verlangten von Sozialwissenschaftlern immer klare Handlungsempfehlungen. Sie wollten wissen: wenn ich A tue, tritt B ein. Solche Handlungsempfehlungen seien aber für das soziale Leben überhaupt nicht möglich, und vor allem nicht für die Wirtschaft. Hören Sie bitte, wie Streeck sich das soziale Leben denkt: „In der Unmöglichkeit, sich eine von Zufällen bereinigte Zukunft vorzustellen, erweist sich die wesentliche Geschichtlichkeit der sozialen Welt. Geschichte vollzieht sich durch Ereignisse, die auch hätten ausbleiben können und dann eine andere Geschichte zugelassen hätten. Ohne den Ersten Weltkrieg und die Russische Revolution, die nicht hätten stattfinden müssen, wäre das 20. Jahrhundert anders verlaufen und hätte sich der moderne Kapitalismus anders entwickelt; wie anders, kann aber niemand sagen. Ohne die Vernichtung der Dinosaurier durch den Einschlag eines Meteoriten gäbe es keine Säugetiere und damit keine Menschen. Das kann man wissen, ohne dass man wissen könnte, was aus den Dinosauriern geworden wäre, wenn sie hätten weitermachen dürfen, ob etwa ihre gegenwärtigen Nachkommen mit Messer und Gabel oder mit Stäbchen essen würden. Historische Ereignisse wie der Zusammenbruch des Kommunismus 1989, die Wiedervereinigung oder die gegenwärtige Finanzkrise können nachträglich als wahrscheinlich rekonstruiert oder gar für unvermeidlich erklärt werden; solange sie aber noch nicht eingetreten sind, können andere Ereignisse sie verhindern, aufschieben oder modifizieren, ohne dass jemand jemals wissen könnte, dass sie gerade im Begriff waren, einzutreten.“

Also, die Finanzkrise ist vergleichbar mit dem Einschlag eines Meteoriten. Im Nachhinein können wir sie für unvermeidbar erklären, vorher können wir nicht einmal ahnen, dass sie überhaupt im Begriff war, zu entstehen. Streeck ist mit dieser Meinung nicht alleine. Anfang des Jahres versammelte der einzige deutsche Nobelpreisträger für Wirtschaft, Reinhard Selten, viele namhafte Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen in Bielefeld, um darüber zu sprechen, was man aus der Finanzkrise lernen kann. In der Süddeutschen ist ein Bericht über diese Versammlung erschienen. Ich zitiere: „Die Skepsis gegenüber der historischen Lektion, die manch andere Fächer gar nicht kennen, war für die Teilnehmer der Bielefelder Tagung fast in jeder Sekunde mit den Händen zu greifen. Der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser gab sich beim Vergleich der bisherigen Finanzmarktkrisen zwar alle Mühe, die Vorhersehbarkeit zu retten, und sammelte instruktiv Krisenindikatoren, kam am Ende aber zu dem Schluss, dass man aus der Vergangenheit nicht allzu viel lernen könne. Abgesehen davon, dass Banken hochgefährdete und hochgefährliche Unternehmen seien. Nichts also, nichts kann man lernen. Der Autor des Artikels fasst zusammen, was er selbst auf der Tagung der Fachleute gelernt hat: „Im Grunde gibt es also nur zwei Arten von Menschen: die, die glauben, sie könnten nur einmal vom Blitz getroffen werden, und die, die glauben, dass es einen durchaus ein zweites Mal erwischen könnte, oder auch ein drittes und viertes Mal.“

Glauben, dass der Blitz einschlägt, glauben, dass er einen vielleicht ein zweites mal trifft. Sie erinnern sich: als ich letztes Jahr ungefähr um die selbe Zeit hier zu Ihnen über den Neoliberalismus sprach, da zeigte ich Ihnen, wie sich unsere Wirtschaftswissenschaft aus der Theologie heraus entwickelt hat. Das war natürlich nicht ganz korrekt. Denn im Grunde genommen hat sich die Wirtschaftswissenschaft niemals „heraus“ entwickelt aus der Theologie, sie steckt da immer noch drinnen. Sehr interessant ist es nun, bei Wolfgang Streeck, der übrigens auch auf diese Bielefelder Tagung war, nachzuvollziehen, warum er glauben will, statt zu wissen, warum er glaubt, nichts wissen zu können, wenigstens nicht das wissen zu können, was wir heute Abend herausfinden wollen. Streeck schreibt: „Politiker stellen sich die Gesellschaft gerne als Maschine mit Stellschrauben vor: Man dreht an der richtigen Schraube, und die Welt funktioniert nach Wunsch. Aufgabe der Wissenschaft ist, die Stellschrauben lesbar zu beschriften ... Anders als in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften besteht aber der Objektbereich der Sozialwissenschaften selbst aus beobachtungs- und handlungsfähigen Subjekten, denen es keineswegs gleichgültig ist, was die Wissenschaft über sie behauptet oder wozu ihre Erkenntnisse von der Politik verwendet werden. Menschen erkennen Versuche, ihr Handeln zu steuern, und ordnen ihnen Intentionen zu, auf die sie wiederum mit eigenen Intentionen reagieren. Zu diesen gehört ein elementares Bedürfnis, mit Gründen überzeugt statt mit Reizen gesteuert zu werden … Ebenso wie die Sozialwissenschaften die Zukunft nicht vorherzusagen vermögen, bleiben die Reaktionen handelnder Subjekte auf wissenschaftliche Steuerungsversuche unberechenbar. Sozialwissenschaftliche Theorien lassen sich nicht geheim halten. Ihr Einsatz zur Verhaltenskontrolle wird über kurz oder lang bemerkt, auf seine Absichten hin untersucht und absichtsvoll beantwortet.“

Streeck findet also: das soziale Leben besteht aus Individuen, die „absichtsvoll handeln“, und ist deshalb keine Maschine. Die Individuen, die das soziale Leben ja doch letztlich bestimmen, lassen sich nicht steuern, wollen sich auch gar nicht steuern lassen. Nun, das können wir unumwunden zugeben. Aber weshalb man deshalb in die „Macht der Unschärfe“ eintauchen muss, weshalb man aus dieser Tatsache ableiten soll, dass sich für das soziale Leben ein ebenso scharfes Gesetz wie für die Mechanik nicht formulieren lässt, ein Gesetz, aus dem man schließen kann, dass wenn ich A tue, dass dann B geschehen wird, erhellt sich nicht ohne weiteres. Das kann nämlich nur unter Hinzunahme einer stillschweigenden Vorraussetzung gefolgert werden: dass das mechanische Gesetz das einzige Gesetz ist, und dass sich jenseits der mechanischen keine Gesetzmäßigkeit mehr finden lasse, wenigstens nicht im Sinne einer eindeutigen Wenn-Dann-Beziehung.

Nun sind wir hier im Rudolf Steiner Haus versammelt, und dieser Rudolf Steiner, der hat vor fast 100 Jahren mit dem Denken da angefangen, wo Wolfgang Streeck aufhört. Was Wolfgang Streeck nach langen Jahren der Forschung erst unschuldig zu ahnen beginnt, das ist der selbstverständliche Ausgangspunkt für Rudolf Steiners sozialwissenschaftliche Arbeit, und deshalb bildet jener Schlussgedanke von Wolfgang Streeck aus dem Jahr 2010 auch den ersten Satz von Rudolf Steiners sozialwissenschaftlichen Hauptwerk aus dem Jahr 1919, „Die Kernpunkte der sozialen Frage“. Aber hören Sie bitte, wie anders der selbe Gedanke bei Rudolf Steiner klingt, wie anders er dieses Problem der Diskrepanz zwischen einem wissenschaftlichen Steuerungsversuch und der Realität des sozialen Lebens formuliert:

„Die Aufgaben, welche das soziale Leben der Gegenwart stellt, muß derjenige verkennen, der an sie mit dem Gedanken an irgendeine Utopie herantritt. Man kann aus gewissen Anschauungen und Empfindungen den Glauben haben, diese oder jene Einrichtungen, die man sich in seinen Ideen zurechtgelegt hat, müsse die Menschen beglücken; dieser Glaube kann überwältigende Überzeugungskraft annehmen; an dem, was gegenwärtig die « soziale Frage » bedeutet, kann man doch völlig vorbeireden, wenn man einen solchen Glauben geltend machen will. Man kann heute diese Behauptung in der folgenden Art bis in das scheinbar Unsinnige treiben, und man wird doch das Richtige treffen. Man kann annehmen, irgend jemand wäre im Besitze einer vollkommenen theoretischen « Lösung » der sozialen Frage, und er könnte dennoch etwas ganz Unpraktisches glauben, wenn er der Menschheit diese von ihm ausgedachte « Lösung » anbieten wollte. Denn wir leben nicht mehr in der Zeit, in welcher man glauben soll, auf diese Art im öffentlichen Leben wirken zu können. Die Seelenverfassung der Menschen ist nicht so, daß sie für das öffentliche Leben etwa einmal sagen könnten: Da seht einen, der versteht, welche sozialen Einrichtungen nötig sind; wie er es meint, so wollen wir es machen. In dieser Art wollen die Menschen Ideen über das soziale Leben gar nicht an sich herankommen lassen. Diese Schrift, die nun doch schon eine ziemlich weite Verbreitung gefunden hat, rechnet mit dieser Tatsache. Diejenigen haben die ihr zugrunde liegenden Absichten ganz verkannt, die ihr einen utopistischen Charakter beigelegt haben. Am stärksten haben dies diejenigen getan, die selbst nur utopistisch denken wollen. Sie sehen bei dem andern, was der wesentlichste Zug ihrer eigenen Denkgewohnheiten ist. Für den praktisch Denkenden gehört es heute schon zu den Erfahrungen des öffentlichen Lebens, daß man mit einer noch so überzeugend erscheinenden utopistischen Idee nichts anfangen kann. Dennoch haben viele die Empfindung, daß sie zum Beispiele auf wirtschaftlichem Gebiete mit einer solchen an ihre Mitmenschen herantreten sollen. Sie müssen sich davon überzeugen, daß sie nur unnötig reden. Ihre Mitmenschen können nichts anfangen mit dem, was sie vorbringen. Man sollte dies als Erfahrung behandeln. Denn es weist auf eine wichtige Tatsache des gegenwärtigen öffentlichen Lebens hin. Es ist die Tatsache der Lebensfremdheit dessen, was man denkt gegenüber dem, was zum Beispiel die wirtschaftliche Wirklichkeit fordert. Kann man denn hoffen, die verworrenen Zustände des öffentlichen Lebens zu bewältigen, wenn man an sie mit einem lebensfremden Denken herantritt?“

Also, man kann sich nicht irgendein soziales System, irgendeine perfekte Einrichtung ausdenken, und das dann einführen. Die Menschen machen das nicht mit. Nun ist das aber der erste Satz von Rudolf Steiners sozialwissenschaftlicher Schrift. Danach kommt ja noch das ganze Buch. Was steht dann also drinnen in diesem Buch? Das muss man man sich doch fragen. Rudolf Steiner stellt diesen Satz hin, und dann schreibt er über das soziale Leben, beschreibt ganz genau diejenigen Einrichtungen, die dieses Leben seiner Meinung nach braucht, entwickelt sogar ein soziales Hauptgesetz. Das ist doch ein Widerspruch! Empfinden Sie das nicht als einen Widerspruch? Über diesen Widerspruch kommt man nur weg, wenn man einen Schritt weiter geht als Wolfgang Streeck. Bleibt man da stehen, wo Wolgang Streeck steht, dass man nämlich dem Menschen bloß zugesteht, absichtsvoll zu reagieren, dann muss man in der Tat die Wissenschaft über Bord werfen. Kann man dem Menschen jedoch mehr zugestehen, will man ihm zugestehen, der alleinige Gestalter des sozialen Lebens zu sein, dann ist Wissenschaft wieder möglich. Diese Wissenschaft wird allerdings lernen müssen, hinzunehmen, was sich in den Handlungen der Menschen als Gesetzmäßigkeit offenbart. Da wird sie das Gesetzmäßige suchen müssen. Aber sie wird ganz absehen müssen davon, sich eine Idee auszudenken und mit dieser dann das Zusammenleben der Menschen irgendwie von Außen steuern zu wollen. Denn im sozialen Leben gibt sich die einzelne Erscheinung, der einzelne Mensch, das Gesetz selber. Für das Mechanische lässt sich ein Gesetz formulieren, das die Einzelteile des Mechanismus von Außen steuert. Für das soziale Leben ist das unmöglich. Da können wir den „Einzelteilen“ niemals ein Gesetz von Außen überstülpen, weil die Einzelteile hier eben Einzelmenschen sind, und diese Einzelmenschen die das soziale Leben bildenden Subjekte sind. Hier schafft die einzelne Erscheinung selbst das Gesetz, und wir können deshalb im sozialen Leben Gesetzmäßigkeit auf keinem anderen Weg finden als auf dem, dass wir herausschälen, was sich in den individuellen Handlungen der Menschen als der diesen Handlungen zu Grunde liegende Wille offenbart. Und dieses Gesetz, sehr verehrte Damen und Herren, erlaubt dann selbstverständlich zu sagen: wenn A, dann B, wenn der Mensch dieses tut, wird sich jenes ereignen. Es erlaubt selbstverständlich auch, eine Finanzkrise vorherzusehen. Das Denken scheitert gegenüber dem sozialen Leben, wenn es ihm das Gesetz von Außen überstülpen will, es dringt in dieses Leben ein, wenn es hinnimmt, was sich in den Handlungen denkender Wesen gesetzmäßig offenbart, wenn es in seinem Gesetz die menschliche Individualität nicht bloß irgendwie problematisiert, sondern sie akzeptiert und zur wirklichen Voraussetzung macht. Dafür braucht es schon noch mehr als die Einsicht, dass man mit Mechanik nicht weiter kommt. Es braucht die Ausbildung eines Denkens, das für das soziale Leben das selbe leistet, was das mechanische Denken für die leblose Natur leistet: exakte Wissenschaft. Und dieses Denken will ich mit Ihnen heute Abend üben.

Was müssen wir zuerst in den Blick nehmen, wenn wir die Wirtschaftskrise verstehen wollen? Ganz offensichtlich den Wert der Waren. Denn dieser Wert ist ja das Problem. Was gerade noch ein Wert zu sein schien, ist plötzlich kein Wert, ist plötzlich ein Schein-Wert. Der Staat soll ihn halten, den Wert, soll ihn festhalten, damit er nicht verschwindet, soll ihn garantieren. Und jetzt, Sie haben es gehört, ist Griechenland nichts mehr wert. Oder doch? Man weiß es nicht. Es fehlt schlichtweg die Möglichkeit, Wert und Scheinwert klar zu unterscheiden, es fehlt ein Begriff des Wertes, in dem die Wirklichkeit drinnen ist. In Bezug auf den wirtschaftlichen Wert gibt es zwei Definitionen, je nachdem, ob man es mit einem mehr sozialistisch gefärbtem Denker, oder mit einem mehr kapitalistisch gefärbtem Denker zu tun hat. Diese zwei Definitionen werden zwar selten ausgesprochen, aber Sie können sie doch überall durchlesen, je nachdem, ob Sie es eben mit einem Sozialisten, oder mit einem Kapitalisten zu tun haben. Der mehr sozialistisch denkende Theoretiker sagt: Wert, das ist das, was ein Mensch der Natur durch seine Arbeit gibt. Arbeit geht in die Natur hinein, und das macht den Wert. Ihm kommt es also auf die Arbeit an. Der mehr kapitalistisch denkende setzt dagegen: Nein, Wert ist etwas dadurch, dass ich ein Bedürfnis danach habe. Dadurch, dass ich etwas brauche, dass ich es nachfrage, wird es Gegenstand des Wirtschaftslebens, bekommt es einen wirtschaftlicher Wert. Das Interessante ist nun: Wenn Sie gründlich nachdenken über diese beiden Werttheorien, dann kommen Sie, wenn Sie sauber gedacht haben, zu dem Schluss: Beide sind richtig. Es sind beide Definitionen richtig. Es sind aber auch beide falsch. Falsch sind sie nämlich, insofern sie Definitionen sind. Als Definitionen sind sie falsch. Aber als Einseitigkeiten sind sie absolut richtig. Sie sind beide richtig, weil sie beide eine Seite der Sache erfassen. Aber für sich genommen sind sie falsch. Denn nehmen Sie die Perspektive des Sozialisten. Der sagt: Arbeit wird aufgewendet, das ist der Wert. Und jetzt denken Sie sich, wie der Sozialist in seinem Garten steht und Arbeit darauf verwendet, einen Kohl anzubauen. Er gräbt die Erde um, hegt und pflegt den Kohl, erntet ihn, und so weiter. Und dann isst er ihn auf. Hat da eine Wertbildung stattgefunden? In irgendeinem Sinn sicherlich, aber eben nicht im wirtschaftlichen Sinn. Ein wirtschaftlicher Wert ist nicht entstanden. Denn sofern Menschen das, was sie durch Arbeit an der Natur hervorbringen, selber verbrauchen, haben wir keinen Tausch, keinen Preis, kein Geld, kein Kapital – kurz: überhaupt keine Wirtschaft. Wenn der Mensch für sich selber arbeitete, wenn er also verbrauchte, was er durch Arbeit an der Natur hervorbringt, dann wäre der einzelne Mensch autark. Dann wäre der Einzelmensch durch sich selber da. Da hätten wir aber das soziale Leben noch gar nicht betreten. Und deshalb müssen Sie das gerade von dem wirtschaftlichen Wert wegdenken. Sie können es nennen, wie Sie wollen, in wirtschaftlichem Sinn ist das, was ein Mensch durch seine Arbeit hervorbringt, kein Wert, solange er es selber verbraucht, denn dadurch, dass er es selber verbraucht, ist er ja noch gar nicht in Beziehung zu anderen Menschen getreten, hat er das soziale Leben also noch gar nicht betreten. Es muss erst von einem anderen Menschen das Bedürfnis entgegen kommen, wenn der Kohl einen Wert bekommen soll. Ein anderer muss haben wollen, was einer durch Arbeit an der Natur hervorbringt - dann erhält es einen Wert. Wir müssen also zu der Perspektive des Sozialisten die des Kapitalisten hinzunehmen, dann stimmt sie! Und jetzt schauen wir einmal auf die andere Seite. Wie ist es um den Wert des Kapitalisten bestellt? Der Kapitalist sagt: Das Bedürfnis gibt der Sache ihren Wert. Dagegen wird man zurecht einwenden: Ja, ich habe auch ein Bedürfnis nach Luft. Trotzdem gebe ich Dir kein Geld dafür. Denn Du hast die Luft nicht gemacht. Dieser Wert beruht nicht auf Deiner Arbeit. Leistung kann gegen Leistung getauscht werden, aber die Luft ist vor aller Leistung da. Sie ist selbst kein wirtschaftlicher Wert, sondern die natürliche Grundlage aller Wertbildung. Und Sie wissen ja, dass der Kapitalismus diese Tendenz hat, selbst die Luft zur Ware zu machen. Der kapitalistischen Perspektive muss man also die sozialistische hinzufügen, damit sich ihr Wertbegriff nicht im wahrsten Sinn des Wortes in Luft auflöst! Dann stimmt sie aber!

Wie müssen wir den wirtschaftlichen Wert also formulieren? Wir müssen sagen: Wert entsteht da, wo ein Mensch Arbeit aufwendet an der Natur im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen. Arbeit, an der Natur, im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen, das ist der wirtschaftliche Wert. Mit so einer Formulierung kommen wir natürlich schwer zurecht, weil sie eben keine Definition ist. Definitionen haben wir gerne, weil wir da in unserem eigenen Gedankenspiel verweilen dürfen. Die Wirklichkeit interessiert das nicht. An die wirklichen Vorgänge kommen wir auf dem Gebiet der Wirtschaft mit Definitionen gar nicht heran. Wir müssen hier vielmehr charakterisieren, was sich uns objektiv zeigt. Wir müssen die Einseitigkeiten zusammennehmen, dann zeigt sich uns so etwas wie ein Bild der Wirklichkeit. Und das ist es, was an dieser Formulierung so schwierig ist. Es ist nämlich die ganze Wirklichkeit in ihr enthalten, das ganze Dynamische, Fluktuierende des wirklichen Lebens. Da ist zunächst der Mensch mit seiner Arbeit, die er gegen die Natur wendet. Diese Arbeit wird er mehr oder weniger geschickt vollbringen, mehr oder weniger wird er die Fähigkeiten haben, die Arbeit zu beherrschen, sie durch seinen Geist zu organisieren. Da haben wir also etwas dynamisches, etwas fluktuierendes, und insofern fluktuiert also der Wert. Dann ist da die Natur. Diese Natur ist lebendig, sie verändert sich, sie ist mehr oder weniger fruchtbar, die Bodenqualität ist mal besser und mal schlechter, das Wetter ändert sich, das Klima ändert sich. Insofern fluktuiert auch hier der Wert. Und schließlich kommt jetzt von der anderen Seite das Bedürfnis an den fluktuierenden, bearbeiteten Naturwert heran, und das Bedürfnis ändert sich auch. Das Bedürfnis ist stärker oder schwächer, es entwickelt sich, und kann da, wo es möglich ist, ein anderes an seiner Stelle zu befriedigen, sogar ganz verschwinden. Arbeit, an der Natur, im Hinblick auf ein menschliches Bedürfnis – da haben wir den wirklichen Wert erfasst, in seiner Dynamik, in seiner Fluktuation. Aber was soll man mit so einer Charakterisierung anfangen? Sie ist eben so beweglich wie die Wirklichkeit selbst. Gerade deshalb kann man mit dieser Charakterisierung aber, wenn man nur konsequent weiter denkt, zu einer exakten Bestimmung des Wirtschaftsprozesses gelangen, die dann sogar Vorhersagen erlaubt.

Wir werden gleich sehen, wie man hier weiter denken an. Zuvor möchte ich mich jedoch einer Erscheinung des sozialen Lebens zuwenden, die nicht aus Arbeit an der Natur im Hinblick auf ein menschliches Bedürfnis hervorgeht, die überhaupt nicht in irgendeiner Art und Weise dem Wirtschaftsleben entspringt, sondern aus ganz anderen Untergründen erwächst. Nehmen Sie an, da steht ein Mensch auf dem Boden und bearbeitet ihn, damit ein Warenwert entsteht. Stellen Sie sich vielleicht einen Bauern vor, wie er durch seine besonderen Fähigkeiten, die er für diesen Beruf eben braucht, mit jenem bestimmten Boden verbunden ist, den er kennt, den er sehr gut kennt, wie er den Rücken krumm macht, wie er den Naturwert verändert, damit dieser Naturwert konsumerabel wird für einen anderen Menschen, damit der Naturwert auch einen wirtschaftlichen Wert erhält. Und jetzt kommt ein anderer und setzt sich an seine Stelle. Der verjagt den Bauern von dem Boden, und sagt: da stehe ich jetzt. Was geschieht? Nun, es geschieht entweder nichts, dann gehört der Boden eben immer dem, der gerade der Stärkste ist. In der Geschichte war es auch einmal so. Dann ist aber auch etwas anderes geschehen. Es hat sich gezeigt, dass die Menschen, die mit dem Bauern wirtschaftlich verbunden waren, mit diesem mitfühlten, dass sie also auch gefühlsmäßig mit dem Bauern verbunden waren. Und es hat sich gezeigt, dass die Menschen, die mit dem Bauern gefühlsmäßig verbunden waren, ein Interesse daran hatten, dass ausgerechnet dieser Mensch auf dem Boden war und nicht ein anderer. Sie sagten sich: es fühlt sich nicht richtig an, dass der andere da drauf ist auf dem Boden, es fühlt sich nur richtig an, wenn jener Bauer drauf ist. Und dieses Gefühl war so stark, dass die Menschen für ihre Gefühle einstanden, und zwar mit Gewalt. Sie vertrieben den Eroberer und schützen so die Arbeit des Bauern.

Der Bauer, der die Gemeinschaft durch seine reale, fähige Verbindung mit dem Boden ernährte, hatte also das Mitgefühl der Gemeinschaft, und genoss deshalb auch ihren Schutz. Bald wurde es nötig, Menschen für diesen Schutz abzustellen, und deshalb vom Bauernberuf oder sonstigem Beruf abzuziehen. Die eigneten sich auch nicht besonders für den Bauernberuf, sondern deren Neigungen und Fähigkeiten machten sie besonders geeignet für den Kampf. So entstand eine frühe Arbeitsteilung, in der die einen vornehmlich Bauern waren, und die anderen Krieger. Die Bauern ernährten die Krieger dafür, dass die Krieger die Bauern beschützen, und die Krieger beschützen die Bauern dafür, dass die Bauern sie ernährten. Da haben wir also in der Geschichte das Moment der Staatsbildung, und damit zugleich gegeben das Moment der Steuererhebung.

Wenn Sie nun nichts weiter in das Wort hineininterpretieren, dann können wir sagen: insofern der Bauer das Mitgefühl der Gemeinschaft hatte, und dadurch also ihren Schutz, um den Boden ungestört bearbeiten zu können, hatte er das Recht an dem Boden. Er war eben derjenige, dem die Gemeinschaft durch ihren Schutz die Möglichkeit gab, den Boden frei zu verwalten, und insofern hatte er das Recht. Wir können uns das selbe in die Gegenwart versetzt denken. Wir können uns denken, wie hier der Boden ist, und wie einer in unserer Mitte den Boden durch seine Fähigkeit verwaltet, ihn so bearbeitet, dass ein Wert entsteht, den wir konsumieren können. Und dann kommt einer, und jagt ihn davon. Da kann es sein, dass wir mitfühlen mit dem fähigen Verwalter des Bodens in unserer Mitte, dass wir für dieses Gefühl sogar einstehen, und es nicht zulassen, dass er verjagt wird, sondern ihn schützen. In der deutschen Sprache haben wir dafür das schöne Wort „Rechtsgefühl“. Und wenn Sie wieder nichts anderes darunter verstehen als eben die Tatsache, dass ein Mensch das Gefühl der Mehrheit für das Rechte, das demokratische Rechtsgefühl auf seiner Seite hat, dann können wir diesen Sachverhalt so bezeichnen: er hat das Recht.

Denken Sie sich aber einmal, was auch geschehen ist und noch geschieht. Denken Sie, da kommt einer, der will den fähigen Nutzer zwar nicht mit Gewalt davon jagen, aber er bietet ihm jetzt Geld für das Recht an dem Boden. Der will einen Koffer voll Geld für das Recht geben, damit er dann das Recht hat. Ist das möglich? Nein, das ist natürlich nicht möglich. Wenn Sie unter Recht zunächst nichts anderes verstehen als das, was durch das Rechtsgefühl der Mehrheit gesetzt ist, dann ist es unmöglich, dieses Recht von einem Geldwert herzuleiten, es zu kaufen. Es ist allerdings möglich, dass einer für das Geld den Schutz der Krieger bekommt, dass er mit dem Geld die Staatsgewalt kaufen kann. Aber das Gefühl der Menschen kann er nicht kaufen. Denn dieses Gefühl gilt jenem bestimmten Menschen, der es durch seine spezielle Fähigkeit versteht, den Boden in einer bestimmten Art und Weise für die Allgemeinheit fruchtbar zu machen. Das Mitgefühl mit diesem Menschen, das so stark ist, dass man sogar mit Gewalt dieses Gefühl einstehen will, dieses Gefühl lässt sich nicht ohne weiteres auf einen anderen Menschen übertragen. Aber man kann die Dinge durch eine hinterlistige Verrichtung so einrichten, dass die staatliche Gewalt jeweils bei dem ist, der gerade das Geld gibt. Das bedeutet aber doch nichts anderes, als dass sich die staatliche Gewalt dann von dem demokratischen Rechtsgefühl löst. Die Staatsgewalt ist dann nicht mehr an das demokratische Recht gebunden. Ich will damit gar nicht irgendetwas Allgemeines über den Staat sagen. Ich denke nur logisch. Ich sage: wenn ich das Recht kaufen kann, beruht das Recht eben nicht auf einem demokratischen Rechtsprozess. Und deshalb haben wir es in allen Ländern, wo es so eingerichtet ist, dass der der Schutz des Staates für Geld zu haben ist, in allen Ländern also, in denen Grund und Boden käuflich ist, nicht mit Demokratien zu tun. In diesem Ländern liegt das Gewaltmonopol nicht beim demokratischen Staat. Und deshalb ist Deutschland auch keine Demokratie. Das ist ein Fakt.

Sie können natürlich sagen: wir stimmen demokratisch ab, dass das Recht bei dem liegt, der es gekauft hat. Aber das können Sie eben doch nicht, ohne das Recht aufzuheben. Es ist möglich, alles und jedes zum Gegenstand einer Abstimmung zu machen, aber damit schaffen Sie doch kein Recht. Das ist das, was man heute nicht verstehen will. Es gibt Dinge, die können gar nicht beschlossen werden. Und so ist das auch hier. Denn sehen Sie: Wenn Sie unter Recht das verstehen, was das Rechtsgefühl der Mehrheit spricht, können Sie gar nicht beschließen, dass das Recht bei dem ist, der das Geld dafür bietet. Ein solcher demokratischer Beschluss nimmt sich gegenüber der Demokratie so aus, wie das Kaufladen-Spiel der Kinder gegenüber der Wirtschaft. Der ist gar nicht real. Ich will mich verständlich machen: Die deutsche Bank hat vor einigen Jahren das Grundstück gekauft, auf dem das Theater am Kudamm steht, zusammen mit weiteren Gebäude auf diesem Grundstück. Dann hat sie das Grundstück an Fortress verkauft, einem amerikanischen Investor, der sein Geld mit Pferdewetten machte. Fortress hat das Grundstück wiederum nach Irland an die Ballymore Group verkauft. Und von Irland aus gesehen sieht es jetzt so aus, als ob es in Berlin am Kudamm kein Theater braucht. Die Ballymore Group findet, da braucht es ein Hotel. Die Menschen vor Ort in Berlin sehen das anders, sie gehen auf die Straße und demonstrieren. Ihr Rechtsgefühl liegt bei den Betreibern des Theaters. Aber die Staatsgewalt liegt bei der Ballyomore Group. Das ist die Realität. Sehen Sie, um nichts anderes geht es doch auch bei Stuttgart 21. Ob da jetzt ein Durchgangsbahnhof gebaut wird, oder ob ein Sackbahnhof gebaut wird, darum geht es doch gar nicht mehr. Das ist nur die Oberfläche. Dahinter steht das entsetzliche Erlebnis: die Gewalt liegt nicht beim demokratischen Staat. Es ist das Rechtsgefühl der Menschen, das sich hier zu Wort meldet, und es gerät in einen Konflikt mit der Staatsgewalt, weil die Gewalttäter glauben, etwas anderes als Recht definieren zu können als das, was sich aus dem demokratischen Rechtsgefühl ergibt. Sie haben ja gesehen, wie die Polizei die demokratisch fühlenden Menschen zusammen prügelt. Also, sie können natürlich alles mögliche beschließen und in Bücher schreiben, meinetwegen können Sie auch reinschreiben, dass Rechte käuflich seien. Sie sind es eben trotzdem nicht. Das eine ist die Theorie, das andere ist die Realität des Rechtsgefühls. Und wenn Sie das Recht bloß theoretisch nehmen, wenn Sie theoretisieren, man könne demokratisch festlegen, dass das Recht zu dem wandere, der es kauft, dann ist eben die Realität, dass die Polizei die demokratisch empfindenden Menschen zusammenprügelt. So ergeht es dann dem Recht.

Mit dem Rechtsgefühl ist es wie mit allen Gefühlen: wir verstehen nicht, was das Gefühl zu uns spricht. Undeutlich drängt sich da etwas an uns heran, meist nicht einmal das Gefühl, sondern das verletzte Gefühl. Ich bemühe mich darum, Klarheit in meine Gefühle zu bringen. Sehr klar habe ich mittlerweile, was mein Rechtsgefühl zu mir spricht. Ich will Ihnen sagen, was mein Rechtsgefühl zu mir spricht: Mein Rechtsgefühl lässt sich nicht kaufen. Was ich für Rechtens erachte, ist nicht davon abhängig, ob mir jemand Geld dafür bietet oder nicht. Wenn ich einen Grund dafür angeben soll, warum ich den einen Menschen für den rechtmäßigen Besitzer des Bodens erachte, den anderen dagegen nicht, dann muss ich sagen: Der rechtmäßige Besitzer ist derjenige, der am ehesten über die Fähigkeiten verfügt, die Sache im Interesse der Allgemeinheit zu verwalten. Das spricht mein Rechtsgefühl zu mir. Wie ist es bei Ihnen? Was spricht Ihr Rechtsgefühl?

Wir könnten jetzt darüber abstimmen und sehen, ob sich eine Mehrheit für dieses Gesetz findet, ob das Rechtsgefühl einer demokratischen Mehrheit spricht: Der Boden ist unverkäuflich. Rechtmäßiger Besitzer des Bodens ist immer jeweils derjenige, der ihn am ehesten im Interesse der Gemeinschaft zu verwalten weiß. Es könnte sein, dass sich dann durch die Abstimmung erweist, dass ich soeben das aller richtigste über das demokratische Recht gesagt habe. Möglich wäre trotzdem, dass ich damit das Unsinnigste für die Wirtschaft gefordert habe. Es ist durchaus denkbar, dass dasjenige, was ich aus meinem Rechtsgefühl heraus unbedingt fordern muss, eine unmögliche Forderung für die Wirtschaft ist. Zum Beispiel könnte man glauben: Für die Wirtschaft ist es wichtig, dass Menschen Rechte kaufen können, dass da investiert wird, dass zum Beispiel das schöne Kapital der Ballymore Group nach Deutschland kommt. Das schafft Werte für das Allgemeinwohl! Und es ist doch auch etwas Wert, dass die Ballymore Group ein Hotel bauen will? Das dient der Allgemeinheit! Ja, sie lachen, aber so denkt doch der Durchschnittsbürger. Und gegenwärtig hat er sogar Recht damit. Im Augenblick leben wir schon von der Gnade des Kapitals, sich herabzulassen und unser Rechtsgefühl zu korrumpieren. So ist es. Aber – das möchte ich Sie jetzt einmal fragen – wieso ist die Allgemeinheit dann nicht auf Seiten der Ballymore Group? Wenn es der Allgemeinheit dient, warum ist die Allgemeinheit dann nicht auf Seiten des Kapitals?

Ganz einfach aus diesem Grund: Weil es etwas anderes ist, in ein Theater zu gehen und sich ein Theaterstück anzusehen, oder in ein Hotel zu gehen und sich schlafen zu legen. In ein Theater gehen und sich ein Theaterstück ansehen, oder ins Hotel gehen und sich ins Bett legen, das sind zwei verschiedene Dinge. Oder etwa nicht? Für den Käufer eines Rechtes ist jedoch beides das selbe. Es muss für ihn beides das selbe sein, denn für ihn geht es um die Frage: werde ich das Recht nachher teurer oder billiger verkaufen? Und er wird das Recht an einem Hotel in der Regel teurer verkaufen können als das Recht an einem Theater, denn bei einem Theater, das weiß jeder, zahlt man drauf. Er kennt nur die Quantität, und nicht die Qualität, notwendigerweise - so muss sich ihm die Sache darstellen. Und deshalb sitzt morgen da, wo heute die Kultureinrichtung steht, McDonalds, deswegen macht der Fachhändler dem Shoppingcenter platz, weil das alles das selbe ist, vom Käufer des Rechts her gesehen. Was dem Wohl der Menschen dient, was sie brauchen, das sind jedoch konkrete Werte. Ganz konkrete Dinge sind das. Und es ist schon deshalb einfach furchtbar dumm, wenn einer behauptet, die Käuflichkeit des Rechtes diene dem Allgemeinwohl. Denn was dem Allgemeinwohl dient, dass sind verschiedene, konkrete Werte. Eine zweite Frage ist dann erst die Frage nach dem Preis dieser Werte. Das ist eine ganz andere Frage. Für den Käufers eines Rechtes ist jedoch beides das selbe, denn für ihn ist ja notwendigerweise der „Wert“ identisch mit dem „Preis“. Das ist das Problem. Dieses Gleichsetzen von „Wert“ und „Preis“, das ist nämlich die Finanzkrise.

Wir müssen also noch ein Stück tiefer eindringen in die Wirtschaft. Wir müssen verstehen, wenigstens anfänglich, was der Unterschied zwischen Wert und Preis ist, und wie beide wiederum zusammenhängen. Das müssen wir können, wenn wir die Finanzkrise verstehen wollen. Nun, das erste, der Wert, so hatte ich gesagt, ist zunächst das, was aus Arbeit an der Natur im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen hervorgeht. In dieser Formulierung ist ja eine Zweiseitigkeit drinnen. Denn wenn der arbeitende Mensch selber aufisst, was er an der Natur hervorbringt, findet keine Wertschöpfung statt. Nein, er muss die Natur im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen bearbeiten, wenn diese einen Wert bekommen soll im wirtschaftlichen Sinn. Jetzt können wir uns aber fragen: Was ist denn dazu nötig, dass der arbeitende Mensch das abgeben kann, was er erzeugt, dass er es nicht für sich behalten muss? Dazu ist nötig, dass seine Bedürfnisse in der Zeit, in der er die Bedürfnisse anderer befriedigt, umgekehrt von anderen befriedigt werden. Wenn er das Erzeugnis seiner Arbeit nicht selber aufessen, sondern abgeben soll an andere, muss er umgekehrt dafür von anderen ernährt werden. Mit anderen Worten: der Wert, den er hervorbringt, muss einen Gegenwert bekommen. Und dieses Tauschverhältnis der Werte, das ist zunächst der Preis, von dieser Seite aufgefasst. Wie hoch muss der Preis sein? Das lässt sich ganz exakt bestimmen. Damit jener bestimmte Mensch an jenem bestimmten Ort stehen und jenen bestimmten Wert erzeugen und auch abgeben kann, muss der Wert auch einen ganz bestimmten Gegenwert bekommen. Und zwar muss der arbeitende Mensch von dem Gegenwert seines Erzeugnisses so lange sämtliche Bedürfnisse befriedigen können, bis er ein vergleichbares Erzeugnis erneut anbieten kann. Das muss der Preis ermöglichen. Sie sehen: der Preis einer Ware richtet sich nach der Zukunft. Wenn man das ausspricht, sagen manche, die über eine gewisse Erfahrung im Wirtschaftsleben verfügen: das ist ja ganz selbstverständlich, dass sich der Preis einer Ware nicht nach der Vergangenheit richtet, sondern nach der Zukunft. Andere finden das ganz unverständlich. Sie haben sich daran gewöhnt, jedes mal, wenn sie eine Ware bezahlen, zu denken: ich ersetze dem Produzenten dafür die Kosten, die er gehabt hat. Das ist natürlich Quatsch. Das ist ein richtiger Unfug, so etwas zu denken. Denn der Produzent muss berechnen, was er in Zukunft verbrauchen wird. Er muss den Preis so setzen, dass er konsumieren kann, bis wieder ein vergleichbares Produkt da ist, und wenn er den Preis anders berechnet, kann er den Laden zu machen. Es müssen die zukünftigen Kosten für die Erzeugung eines Wertes ersetzt werden, damit dieser Wert in die Zukunft hinein erzeugt werden kann, damit er morgen wieder da ist, der Wert, damit der Produzent morgen noch an seinem Platz steht und eben jenen konkreten Wert hervorbringt. Höchstens kann es sein, dass etwas scheinbar aus der Vergangenheit hereinragt, sofern der Produzent nämlich etwas schuldig geblieben ist. Aber das ist ja eine andere Frage.

Und jetzt – Sie haben es vielleicht schon gemerkt – hat sich etwas umgedreht. Jetzt haben wir zwei Begriffe, Preis und die Wert, aber das Vorhandensein der Wertes ist plötzlich abhängig von den richtigen Preisen. Die Werte müssen eine Be-Wertung erfahren, die es ermöglicht, dass sie da sein können, wenn sie aufgrund irgendeines Bedürfnisses eben da sein sollen. Und das ist eine der großen, heute noch gar nicht richtig formulierten Fragen des Wirtschaftslebens. Sie ist aber trotzdem da, diese Frage, durch das furchtbare Chaos dieser Wirtschaft wird diese Frage vor uns hingestellt. Sie lautet: Wie erfassen wir die objektiven Wertverhältnisse, und wie erzeugen wir dann im Hinblick auf die objektiven Wertverhältnisse auch diejenigen Preisverhältnisse, welche eben die objektiven Werte treffen? Denn die Werte sind ja durchaus objektiv, je nachdem, was die Fähigkeit, was die Natur, und was das Bedürfnis setzt. Dieses gesetzt, braucht es ein bestimmtes mengenmäßiges Tauschverhältnis zwischen meinetwegen Brot, Textilien und Stahl. Ist das Tauschverhältnis anders, passt es nicht zu dem objektiven Wert dieser Güter, stirbt ein Mensch. Ganz real ist dieser wirtschaftliche Wert.

Lassen Sie mich nachsehen, ich habe hier in meiner Tasche 40 Cent. Ich überlege, was ich mir damit kaufen soll. Ich sehe: der Bäcker will 20 Cent für sein Brötchen, und der Gärtner für eine Blume auch 20 Cent. Sagen wir, ich habe gerade eben gegessen, und bin satt. Ich denke also: Wenn ich mir jetzt die Blume kaufe, dann habe ich jetzt was Schönes zum Angucken, und das Brötchen kann ich mir dann morgen immer noch kaufen, sobald ich wieder Hunger habe. So rechnet jeder von uns für gewöhnlich, nicht war? Jeder haushaltet in dieser Weise. Und deshalb verrechnen wir uns in einem fort. Denn wenn ich jetzt dem Gärtner 20 Cent gebe, gibt der Gärtner diese 20 Cent ja aus, das heisst, der Gärtner konsumiert in dieser Zeit und kann deshalb erneut Blumen bereit stellen. Der Bäcker gibt meine 20 Cent dann nicht aus, der konsumiert dann das Entsprechende nicht. In der einen Branche kann mehr, in der anderen weniger gearbeitet werden. Und deshalb ist das Brötchen morgen teurer, wenn ich heute die Blume kaufe. Wenn ich dagegen heute das Brötchen kaufe, ist morgen die Blume teurer. Natürlich, zuerst muss der Bäcker das Brötchen billiger machen, bevor er es wegschmeisst, aber dass er das tun muss, das wird sich langfristig so auswirken, dass das Brötchen teurer wird. Bei 20 Cent fällt das natürlich nicht ins Gewicht. Ich kann ja nur in einem Bild sagen, worum es geht. Und dann stellt sich doch die Frage: wie steht das objektive Wertverhältnis zwischen Blume und Brötchen, gemessen an meinen Bedürfnissen, zu den Preisverhältnissen, die ich durch meine Handlungen erzeuge, die ich heute eben vollkommen unbewusst erzeuge? Die objektiven Wertverhältnisse müssen erfasst und dann richtig be-wertet werden. Mit „richtig“ meine ich gar nichts moralisches oder so, ich meine nur die banale Tatsache, dass eine Wert in einer ganz bestimmten Weise bewertet werden muss, um überhaupt da zu sein. Im Augenblick hat kein Mensch die Möglichkeit, etwas über das Wertverhältnis der Waren in Erfahrung zu bringen, und deshalb ist heute schon die simpelste wirtschaftliche Rechnung spekulativ. Selbst Ihren eigenen Haushalt können Sie gar nicht realistisch berechnen. Und das erzeugt das Chaos, das erzeugt die Not. Wenn Sie das äußerlich greifen wollen, denken Sie zum Beispiel an die Lebensmittelkrise von 2007. Da haben Menschen Biosprit gekauft. Deshalb haben Energiepflanzen-Erzeuger mehr konsumieren können, aber Nahrungsmittelerzeuger dafür weniger. Die Folge war, dass die Nahrungsmittel in der dritten Welt bis zu 180% teurer wurden. Das hat vielen Menschen das Leben gekostet. Sie mussten sterben, weil die Preisverhältnisse nicht die objektiven Wertverhältnisse getroffen haben. Und da wurden eben zunächst durch die falsche Be-Wertung der Werte Arbeitskräfte an der falschen Stelle gebunden. Das hat die Preisverhältnisse erzeugt, die dann vielen Menschen das Leben gekostet haben, und das hat ja dann erst die Banken auf den Plan gerufen, dahinter auch die vielen kleinen Sparer in Deutschland, die dann die verbleibenden Nahrungsmittel aufkauften und die Hungernden erpressten, was das Elend dann weiter vergrößerte. Aber zunächst wurde das Getreide teuer, bedingt durch das zahlenmäßige Verhältnis der Arbeiter in den Branchen. Durch eine entsprechende Bewegung des Kapitals, durch entsprechende Lenkung der Arbeitskräfte hätte man leicht gegensteuern und die Preisverhältnisse wieder an die Wertverhältnisse anpassen können. Denn die Preisverhältnisse hängen eben ab von dem zahlenmäßigen Verhältnis der Anzahl der Arbeiter in den jeweiligen Branchen zueinander.

Nehmen sie es als Tatsache hin, dass die Preisverhältnisse von der Anzahl der Arbeiter abhängen, und zwar so, dass eine Ware eben nicht teurer, sondern billiger wird, je mehr Menschen diese Ware produzieren. Das ist eine Tatsche, die niemand bestreiten kann, nur wird es eben kompliziert, zu erklären, warum das so ist. So weit müssen wir jetzt nicht gehen. Wichtig ist erstmal nur, dass Sie sehen: es gibt einen Unterschied zwischen Wert und Preis, und wenn man das unterscheiden kann, dann wird man auch das eigentliche wirtschaftliche Problem angehen können, dann gilt es nämlich, den Preis zu finden, der ermöglicht, dass der jeweilige Wert überhaupt da ist. Und dazu ist es dann nötig, in Kenntnis der objektiven Wertverhältnisse, so, wie diese durch Bedürfnis und Fähigkeit gesetzt sind, ganz beweglich mal eine Branche zu vergrößern, und sie dann auch wieder zu verkleinern, also Arbeiter hin- und herzuleiten, sprich: die Einkommensmöglichkeit, das Kapital, nicht nur im Hinblick auf die Statistik der Preise, sondern unter wirklicher Kenntnis des zu erreichenden Preisverhältnisses zu bewegen. Darum geht es in der Wirtschaft, ob bewusst oder unbewusst. Rudolf Steiner wollte dieses Problem ins Bewusstsein heben, und ganz praktisch lösen, nämlich durch Bildung von Konsumentenverbänden, in denen die verschiedenen Interessen sich aneinander „abschleifen“ sollten, wie er das nannte, damit das objektive Wertverhältnis der Waren sichtbar werden könnte – und zwar vor der Produktion. Daran sollten sich Betriebsräte schließen, und zwar ganz besondere Betriebsräte, nämlich keine betriebsinternen, sondern betriebsübergreifende Betriebsräte. Von dieser Seite her sollte die Information kommen, welche Preise in welcher Branche überhaupt möglich sind. Und da wird es natürlich wieder kompliziert. Denn was ist dazu nötig, um den möglichen Preis einer Ware zu kennen? Dazu braucht es zunächst das, was nur der jeweilige Produzent selber beurteilen kann. Es braucht sein ganz individuelles Urteil darüber, wie sich die natürlichen Bedingungen der Produktion ändern, welche Bedürfnisse er zu befriedigen hat, und wer weiß, vielleicht hat sich ja auf der Fähigkeitsseite auch etwas verändert, vielleicht wurde eine Erfindung gemacht, die Kosten spart? Jedenfalls, der Produzent muss sagen: zu diesem und jenem Preis werde ich die Ware anbieten können. Dieses individuelle Urteil des Produzenten braucht es, und zwar braucht es dieses Urteil von jedem Produzenten an seinem Platz, also von jedem Menschen. Es braucht das individuellen Urteil jedes Einzelnen darüber, was er vor Ort wahrnehmen, was er für Bedürfnisse befriedigen will, wie er die Möglichkeiten der Produktion einschätzt. Aber alle diese Urteile sind falsch. Es braucht sie trotzdem, aber sie sind alle falsch. Denn wenn der Produzent sagt: die Ware werde ich morgen zu diesem und jenem Preis anbieten können, dann kann er das ja nur deshalb behaupten, weil er mit den Preisen der Waren rechnet, die er seinerseits kaufen muss, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Und diese Preise hängen nicht von seinem Urteil, sondern von den Urteilen der Produzenten jener anderen Waren ab, die er ja kaufen muss. Wenn einer also behauptet: zu diesem oder jenem Preis werde ich die Ware anbieten können, dann ist das nur wahr, insofern alle anderen Urteile integriert sind. Das ist das Problem. In der Wirtschaft brauchen wir die Rechenmethode der Integration, noch in einer ganz anderen Weise, als wir das heute ausgebildet haben, nämlich nicht theoretisch, sondern real durch kommunikative Zusammenfassung der Produktionsbereiche, der Konsumentenverbände, der Händler. Denn es ist doch klar: wenn sich das Urteil desjenigen ändert, von dem ich kaufe, muss sich auch mein eigenes Urteil ändern, und das ändert dann alles. Da kommen wir eben in ein Gebiet hinein, das heute noch kaum verstanden werden kann, das sich deshalb heute unbewusst vollzieht, wie eine Kettenreaktion abläuft, so dass dann jedes mal ein Glied einfach weg bricht, ohne dass man das kommen sieht. Man wird es in Zukunft kommen sehen, und man wird dann auch gegensteuern können, wenn man nicht mehr nur den Einzelnen mit seinem Individualurteil hat, sondern wenn man die Möglichkeit schafft, dass die Individualurteile zusammengefasst werden können zu einem Kollektivurteil, vernetzt werden, so dass sie in ihrer Bedingtheit erfasst werden können.

Die gegenwärtige Wirtschaftswissenschaft will nur zu gucken, will auf die Preise von außen drauf gucken, und anhand der Preisentwicklungen an irgendeiner Stelle Prognosen für das Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft erstellen. Sie spüren ja am eigenen Leib, was dabei heraus kommt. Das geht eben gar nicht, und zwar deshalb nicht, weil es auf wirtschaftlichem Gebiet keine theoretischen Urteile gibt, sondern hier sind die Urteile der Menschen real wirksam. Wenn der Einzelne urteilt: dies und jenes muss es kosten, dann ist es irrelevant, ob das theoretisch richtig ist. Es ist auch egal, wie wir das moralisch finden, was einer nachfragt. Das wirkt dann nämlich. Die Urteile der Menschen wirken hier zusammen, und zusammen bewirken sie unsere Existenz, oder eben unsere Nicht-Existenz. Und wie die Urteile sich bedingen, das muss erfasst werden. Das kann aber ohne eine entsprechende Organisation nicht erfasst werden, der Einzelne müsste dafür ja aus seiner Haut fahren und in jedem anderen Menschen drinnen stecken, müsste deren Bedürfnisse und Fähigkeiten alle zugleich selber sein. Das geht nicht. Hier kann nur das Kollektivurteil überhaupt etwas richtiges sagen. Und soll eines Tages irgendwie eine Entscheidung möglich werden, welcher Schritt zu einem bestimmten Zeitpunkt der volkswirtschaftlich richtige Schritt ist, dann muss die Wechselwirkung der Urteile sichtbar werden können. Heute urteilen wir einfach ins Blaue hinein, weil wir die Prämisse für die Richtigkeit unseres eigenen Urteils, nämlich die Urteile der anderen Marktteilnehmer, nicht kennen. Rudolf Steiner wollte das ändern, er wollte der Urteilskraft jedes Einzelnen eine sichere Grundlage geben. Dazu sollten sich zunächst die Betriebe vernetzen, es sollten betriebsübergreifende Betriebsräte entstehen, und diese Betriebsräte sollten sich wiederum zu branchenübergreifenden Räten zusammenschließen, so dass die gesamte Wirtschaft eines bestimmten Gebietes miteinander vernetzt wäre, vernetzt wäre durch den Austausch von Informationen. An dieses Netzwerk sollten sich wiederum Konsumentenverbände schließen, sodass jeder Produzent, ja auch jeder Kreditgeber wissen würde, was gebraucht, was zu welchem Preis gekauft werden wird. Eine „Assoziation“ nannte Rudolf Steiner ein solches Wahrnehmungsorgan für die Wirtschaft. Es sollte jeder Mensch an seinem Platz bewusstseinsmäßig verbunden sein mit dem anderen, damit er richtige Urteile über den Wirtschaftsprozess fällen kann, damit jeder wissen kann: wenn ich dieses oder jenes arbeite oder konsumiere, zu diesem oder jenem Preis, hat es gesamtwirtschaftlich exakt diese und jene Auswirkungen. Ab 1919 versuchte Rudolf Steiner, das ganz praktisch umzusetzen, als Rädelsführer der Betriebsrätebewegung, als Gründer der Holding „Der kommende Tag“, die ganz gegensätzliche Branchen vereinte, und auf verschiedenen anderen Wegen.

Das ist natürlich schwierig. Man kann und muss hier weiterdenken, aber was ich gesagt habe, reicht doch schon, damit Sie verstehen können, wie kompliziert es wird, wenn wir in das wirtschaftliche Gebiet tiefer hinein gehen mit unserem Denken. Da brauchen wir einen klaren, kalten Verstand. Da darf nicht der Hauch eines Gefühls den Verstand trüben. Wenn wir hier ein Ideal formulieren wollen, dann das Ideal der Gerechtigkeit, das Ideal der Brüderlichkeit. Daran kann man natürlich auch wieder wunderbar sein Herz erwärmen. Wirklich vorhanden ist die Brüderlichkeit jedoch nur in dem Maß, in dem der kalte Sachverstand hinzutritt, und Wege findet, sich im Wirtschaftsleben zu betätigen. Aber auf gar keinen Fall dürfen wir irgendwie mit dem Gefühl hineinschlagen in das Wirtschaftsleben! Das wissen die Praktiker, das wissen die Menschen, die unternehmerisch tätig sind im Wirtschaftsleben, und deswegen zieht es denen alles zusammen, wenn ich ihnen mit dem Rechtsgefühl komme. Das können wir verstehen! Es ist sogar ganz richtig, wenn der Unternehmer erstmal sehr skeptisch ist gegenüber dem, was ich über die Gefühle ausgeführt habe. Und doch beruht das dann auf einem Missverständnis. Denn was habe ich eigentlich gesagt? Ich habe nicht gesagt, wir sollen hineingehen mit dem Gefühl in die Wirtschaft, sondern ich habe das Gegenteil gesagt! Ich sagte: Wir müssen endlich heraus mit dem Gefühl aus der Wirtschaft, wir müssen uns gefühlsmäßig herausziehen, denn das Gefühl hat mit dem Wirtschaftsprozess gar nichts zu tun. Das Rechtsgefühl ist hineingeraten in die Wirtschaft, wir müssen es herausholen und auf seinen eigenen, selbständigen Boden stellen, denn da gehört es hin. Heute ist mit dem Recht etwas hineingemischt in den Wirtschaftsprozess, das gar nicht dem Wirtschaftsprozess entspringt, sondern auf einem Gefühl beruht. Im Wirtschaftsprozess wird das Gefühl aber verletzt. Und diese Gefühlsverletzung ruft dann das Hineinschlagen-Wollen in die Wirtschaft hervor, das Hineinschlagen-Wollen mit der Staatsgewalt in die Wirtschaft. Und die ganzen Fragen, die endlich einmal rein wirtschaftlich gestellt werden müssen, weil davon das Leben und Überleben der Menschen abhängt, die können dann nicht mehr gestellt werden, wenn das Gefühl hineinpfuscht. Gerade weil heute mit dem Recht gewissermaßen Gefühlswerte mit den Waren mitzirkulieren, ebenso gehandelt, ebenso verkauft werden, als wären sie selbst auch Waren, schlägt das Gefühl blind in die Wirtschaft hinein. Daher kommt der Aufruhr, daher kommt die Revolution. Das Gefühl schlägt nicht mehr stümperhaft in die Wirtschaft hinein, wenn es bei sich selber sein darf. Und es muss bei sich selber sein, wenn der Verstand in der Wirtschaft arbeiten soll. Sie haben gesehen, was für einen Verstand wir eigentlich heute in der Wirtschaft brauchen. Dieser Verstand kann eben nicht arbeiten, wenn er dauernd vom Gefühl vernebelt ist. Und das dauernde Vernebelt-werden von einem Gefühlswert, so will ich es jetzt mal nennen, weil ich keine andere Worte dafür habe, das ist der Scheinwert. Der Scheinwert entsteht immer da, wo etwas im Warenverkehr mitgetauscht wird, was aber gar nicht getauscht werden kann, weil es lediglich auf einem Gefühl beruht. Ich will Ihnen das an einem Bild verständlich machen.

(Johannes Mosmann malt mit weißer Kreide einen großen, leeren Kreis an die Tafel).

Das ist der Mond. Er ist schön dieser Mond, denn es ist Vollmond heute Abend. Hier unten auf der Erde stehen zwei Menschen, denen gefällt er auch. „Schön, der Mond heute Abend“ sagt der eine zum anderen. Der andere sagt: „Stimmt, schön ist er. Wusstest Du übrigens, dass es mein Mond ist, dass er mir gehört, der Mond?“ „Nein, das ist aber schade, so ein schöner Mond. Ich will ihn auch haben. Hier, ich gebe Dir Geld für den Mond, 20 Millionen.“ Und so wechselt eine große Summe Geld den Besitzer, und der andere bekommt dafür – ja, was bekommt er dafür? Sehen Sie, hier ist ein Bruch. Ein Teil des Prozesses, den ich eben beschrieben habe, kann wirklich stattfinden, findet auch so, in abgewandelter Form, wirklich statt, ein anderer Teil aber findet nur im Kopf statt, kann niemals real passieren. Das ist ein bloßes Gedankenspiel. Und dass die wenigsten Menschen heute diese Grenze fassen können, die Grenze zwischen Wirklichkeit und bloßem Gedankenspiel, das ist die Finanzkrise.

Versuchen wir einmal, zu erfassen, was hier wirklich geschehen ist. Sehen wir zunächst auf die Seite desjenigen, der das Geld bekommen hat für den Mond. Was macht der jetzt mit dem Geld? Er konsumiert. Aber was tut er in der Zeit, in der er konsumiert? Ja, das ist im Grunde genommen ganz egal. Er kann tanzen gehen. Da ist er ganz frei. Etwas anderes ist es, wenn er das Geld nicht für das Recht an dem Mond bekommt, sondern zum Beispiel für einen Schuh, weil er Schuster ist. Dann konsumiert er ebenfalls. Aber er muss dann etwas ganz bestimmtes tun in der Zeit, in der er konsumiert: er muss einen neuen Schuh machen. Sonst ist er morgen eben kein Schuster mehr, und muss hungern. Daran misst sich sogar die Höhe des Betrages, den er für den Schuh bekommt: der Schuster muss mit Hilfe dieses Betrages als Schuster leben können, muss morgen auch wieder Schuhe anbieten können. Wenn also der Schuster Geld für einen Schuh bekommt, dann ist das nicht freilassend, denn der Schuh ist nicht ohne den Schuster da, und der Schuster nicht ohne den Schuh. Der aber, der jetzt das Geld „für“ das Recht an dem Mond bekommt, der hat mit dem Mond nichts zu schaffen. Er muss für das Vorhandensein des Mondes ja nichts weiter tun, denn der Mond ist auch ohne ihn da. Es gibt hier schlicht keinen wirklichen Zusammenhang zwischen der Sache und dem Menschen, der Geld „für“ die Sache verlangt. Der Konsum des Geldempfängers ist geschenkt, so muss man es sagen, das ist geschenkt, denn es ist ja egal, was der für das Geld tut, für den Mond kann er jedenfalls nichts tun.

Sehen wir auf die andere Seite, sehen wir auf die Seite dessen, der vermeintlich Geld „für“ etwas gegeben hat. Was hat er für sein Geld bekommen? (Johannes Mosmann weist auf den Kreis an der Tafel). Was hat er für sein Geld bekommen? Na, nichts hat er bekommen. Das Recht an dem Mond. Was ist das denn? Das ist selber nichts wert. Einen Warenwert bekommt der Mond ja erst wieder durch Arbeit im Hinblick auf ein Bedürfnis, wenn der Rechteinhaber also zum Beispiel da hinauffliegt und arbeitet, den Naturwert für irgendein vorhandenes Bedürfnis verändert. Aber das Recht selber beruht ja bloß auf dem Schutz der Gemeinschaft. Es ist an sich gar nichts wert. Erst das, was der Rechteinhaber durch Arbeit an der Natur vielleicht hervorbringt, weil er das Recht hat, weil seine Arbeit vom Staat geschützt wird, das ist dann erst wieder ein wirtschaftlicher Wert, sofern natürlich von der anderen Seite ein entsprechendes Bedürfnis entgegenkommt. Insofern kann man dann natürlich behaupten, das Recht habe einen abgeleiteten Wert. Aber an sich ist das Recht niemals etwas wert. Wer für das bloße Recht Geld bezahlt, der kauft nicht, sondern der verschenkt sein Geld. Nur - das weiß jetzt derjenige nicht, der hier Geld für den Mond gegeben hat. Der glaubt, er habe etwas gekauft. Und er will, dass es etwas wert ist, was er gekauft hat. Er weiß nicht, dass er sein Geld bloß verschenkt hat. Und deshalb gibt er dem Recht jetzt einen Preis. Und dieser Preis ist dann der Ausdruck seiner Erwartungshaltung. Sehen Sie, genau das ist der Scheinwert. Denn dieser Preis, der ist jetzt etwas ganz anderes als der Preis einer Ware. Das ist nur Ausdruck eines Wunsches, etwas geschenkt zu bekommen, aber dahinter steht nichts. Es gibt nichts, auf das sich der Preis beziehen könnte. Der hängt in der Luft. Er ist bloß Ausdruck einer Täuschung, Ausdruck des Nichtwissens, dass man sein Geld soeben verschenkt hat. Das Geld ist weg. Und der Rechteinhaber kann nur wieder Geld „für“ sein Recht bekommen, indem er sich seinerseits etwas schenken lässt. Er muss einen finden, der ihm auch wieder schenkt, und der muss wieder einen finden, und der wieder einen, und so weiter. Das ist ein Schenk-Kreis. Überall da, wo Rechte, ob an Grundstücken, Patenten, Unternehmen oder was auch immer, gehandelt werden, haben wir es in Wahrheit mit Schenk-Kreisen zu tun. Und irgendwann hat dann natürlich einer sehr viel Geld verschenkt und möchte gerne auch beschenkt werden - aber da kommt keiner mehr. Da wird für einen Augenblick sichtbar, was der Preis für das Recht in Wahrheit ist.

Die wenigsten Menschen können heute auseinanderhalten, was bloß in ihrem Kopf stattfindet, was sie sich bloß einbilden, und was im sozialen Leben wirklich geschieht. Wirklich findet in dem Augenblick, da irgendein Recht bezahlt wird, da Grund und Boden, Aktien, Patente, Gene usw. gehandelt werden, keine Wertschöpfung statt, sondern nur eine Umbuchung der vorhandenen Werte. Das Recht fungiert als eine Art Münze, über die das, was schon da ist an Werten, was auf menschlicher Arbeit beruht, einfach neu zugeordnet wird. Es werden einfach die Ansprüche auf die vorhandenen Werte vermehrt und umverteilt, ohne dass die Werte selber vermehrt werden. Deshalb ist es auch Unfug, wenn einer sagt, er habe zum Beispiel Aktien gekauft. Da wird nicht gekauft, auf dem Aktienmarkt, da wird nur geschenkt. Aber das wissen die wenigsten. Goldman Sachs weiß das, JP Morgan weiß das. Die deutschen Banken, die deutschen Wirtschaftswissenschaftler wissen das nicht. Die rechnen mit den Preisen für Rechte genau so wie mit den Preisen für Waren, die glauben wirklich, der Boden zum Beispiel, dieser Boden sei auch eine Ware. Und so zählen die einfach zusammen, Spanien verkauft Oliven, Spanien verkauft Grundstücke, ist zusammen viel Geld, ist zusammen viel Wert! „Wirtschaftliche Kennzahlen“ nennen sie das dann und bauen darauf. Aber das ist eben eine Illusion, denn das eine ist ein Warenwert, das andere aber ist ein Recht. Beides lässt sich nicht addieren, lässt sich auch überhaupt nicht irgendwie miteinander vergleichen.

Wie kann das Recht selber einen Wert bekommen? Es kann nur indirekt einen Wert bekommen, dadurch, dass einer das Recht ausübt, dass einer das Recht an dem Boden nutzt, um den Boden zu bearbeiten. Daher, von der Arbeit an der Natur im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen, da muss es letztendlich herkommen, und da kommt letztendlich auch alles her. Und deshalb ist es so furchtbar, wenn die Blase platzt, auch wenn sie nur ein Schein ist, denn dann drückt der Schein schwer auf die Schultern der tatsächlich arbeitenden Menschen, auf deren Arbeitserzeugnisse sich die Wünsche der Rechteinhaber beziehen. Wenn die Blase platzt, wenn der letzte Käufer des Rechts keinen Nachfolger mehr findet, dann kann dieser ja nur noch dem etwas abnehmen, der tatsächlich auf dem Boden drauf ist und ihn bearbeitet. Der muss dann schenken. Zuletzt schenken also die arbeitenden Menschen. Von da kommt es immer her. Denn jeder Mensch muss ja den Boden nutzen, um Werte zu erzeugen, um zu arbeiten, muss den Boden dafür wenigstens bewohnen. Dazu ist jeder Mensch einfach gezwungen, weil er nunmal auf der Welt ist. Und wenn jetzt nicht der, der wirklich drauf ist auf dem Boden, die Staatsgewalt auf seiner Seite hat, sondern ein anderer, der bloß theoretisch drauf ist, der das abstrakte „Eigentum“ hat, dann kann dieser den wirklichen Besitzer des Bodens erpressen. Der wirkliche Besitzer muss dann etwas hergeben, ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen, sondern eben dafür, dass der andere sonst die Polizei rufen kann. Man zwingt die Menschen zum Schenken, indem man den militärischen und polizeilichen Schutz der Demokratie entreisst und zu einer Ware macht. Und deshalb müssen die arbeitenden Menschen mehr Miete zahlen, müssen länger am Arbeitsplatz stehen, dürfen weniger konsumieren, müssen schenken, schenken und noch mal schenken. Wenn das nicht wäre, bräuchte uns der Finanzmarkt ja nicht weiter interessieren. Dann wäre der ja rein virtuell und könnte die Privatsache dieser Träumer bleiben. Die ganze Träumerei bekommt aber Realität durch die staatliche Gewalt. Die Träumer haben die staatliche Gewalt. Machen Sie sich das ganz klar: was gehandelt wird auf dem Finanzmarkt, das ist der staatliche Schutz, das ist letztendlich das Militär, die Polizei, die da verkauft wird. Die gegenwärtige Verschmelzung des Kapitals mit dem Staat über das Mittel der Staatsanleihe ist nur die letzte Konsequenz. Und deshalb ist das jetzt keine Privatangelegenheit mehr. Es ist keine Privatangelegenheit, wenn irgendeiner mit Hilfe der staatlichen Gewalt dem anderen die Arbeitserzeugnisse einfach wegnimmt, sondern das ist ein Verbrechen.

Das hat noch eine andere Seite. Denn dieses ständige, unfreiwillige Herschenken der Werte macht es unmöglich, jemals richtig zu rechnen in Bezug auf die Wirtschaft, weil die Preise ja dadurch, dass die Schenkungen eingeschaltet sind, keine Aussagekraft mehr haben. Wir gehen in ein Restaurant und essen eine Suppe. Wann bezahlen wir zu viel, wann zu wenig? Wie viel darf die Suppe kosten, 3, 7, oder 5 Euro? Das wissen wir nicht. Wir bezahlen ja nicht nur den Koch, wir bezahlen nicht nur die Menschen, die das betreffende Produkt erzeugen, sondern wir bezahlen auch dafür, dass der Koch die Forderungen irgendeines Immobilienspekulanten bedienen muss, weil der das Recht hat. Das ist aber nicht Teil des eigentlichen Kaufvorganges. Es ist genau so wenig Teil des Kaufaktes, wie es die Mehrwertsteuer ist. Die Mehrwertsteuer ist ja bloß an den Kaufakt gekoppelt, hat aber mit dem Leistungstausch nichts zu tun. Da wird nicht die Produktion der Ware bezahlt, sondern das fliesst woanders hin. Und so sind über die verschiedensten Rechte Abzweigungen in die Wertschöpfungskette eingeschaltet, über die das Geld eben nicht der Produktion der gekauften Ware zufliesst, sondern woanders hingeht, wo es dann keiner Verantwortung mehr unterliegt, wo es egal ist, was gearbeitet wird, wo einfach konsumiert werden kann. Und so lange das so ist, kann auch eine Assoziation unmöglich zu einem wirtschaftlichen Urteil kommen. Solange Zwangsschenkungen in die Kaufpreise eingeschaltet sind, und solange die Wirtschaft von Gefühlswerten vernebelt ist, weil Rechte wie Waren gehandelt werden, die aber doch keine Waren sind, sondern nur auf dem Rechtsgefühl der demokratischen Mehrheit beruhen können, solange sind wirtschaftliche Urteile grundsätzlich nicht möglich. Vor diesem praktischen Problem steht die Wirtschaftswissenschaft. Die Wirtschaftswissenschaft betrachtet den Boden und sonst irgendwelche Rechte als Waren, und schafft sich damit selbst ab. Sie löst sich damit einfach auf in jene Hilflosigkeit, die ich Ihnen Eingangs vorgelesen habe.

Wir schenken, und auf der anderen Seite lassen wir uns auch beschenken. Wir kaufen Waren, die zu billig sind. Das ist auch eine Schenkung. Wenn einer eine Ware hergeben muss, ohne die Gegenleistung dafür zu bekommen, die er doch eigentlich haben will, weil er in eine rechtliche Abhängigkeit gebracht wird, dann ist das auch eine Schenkung. Von Afrika, von Asien, von Südamerika her werden die Deutschen beschenkt, da wirkt das Recht an dem Boden dann zu Gunsten der deutschen Staatsbürger, weil zum Beispiel ein deutscher Staatsbürger das Recht am afrikanischen Boden hat, und von daher wird so viel geschenkt, dass die Menschen dabei umkommen. Über 30 Millionen Menschen sind letztes Jahr deshalb umgekommen, sind qualvoll verhungert, weil sie uns im Norden und Westen mehr schenken mussten, als sie überhaupt besitzen. Es ist unfassbar. Das sind Menschen, die mit uns ganz real verbunden sind, durch Arbeit und Konsum. In der Zeitung steht aber: die verhungern wegen dem Wetter. Es ist nicht auszuhalten. Und auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums steht gleichzeitig: die Bundesregierung garantiert Deutschen, die im Ausland Boden oder Unternehmen kaufen, den Ausfall, falls sich dort die Rechtsverhältnisse ändern, falls dort also ein Rechtsstaat entsteht, der verbietet, dass die Menschen die Erzeugnisse ihrer Arbeit herschenken müssen. Lesen Sie es nach. Überlegen Sie mal, was das für die deutsche Außenpolitik bedeutet. Und studieren Sie das Investitionsschutzabkommen, das der deutsche Staat den afrikanischen Staaten aufgezwungen hat, oder das Cotonou-Abkommen. Der deutsche Staat erpresst die afrikanischen Staaten. Die Afrikaner brauchen nämlich Technologie, brauchen Wissen, brauchen Medizin aus dem Westen. Das bekommen sie jedoch nur, wenn sie das Recht preis geben. So will es die Bundesregierung. Und deshalb sitzen von Tag zu Tag mehr Deutsche, Saudis, Inder oder Israelis auf Kenianischen oder Äthiopischem Boden und lassen Kenianer und Äthiopier für den deutschen Markt produzieren – für einen Euro Tagesgehalt.

Nun, ich weiß wie schwierig das alles ist, und ich würde Ihnen deshalb gerne zum Schluss noch schildern, wie das überhaupt passieren konnte, dass wir in diese furchtbare Zwangslage hineingekommen sind, wie auch dieses entsetzliche Verbrechen der Europäer an den Afrikanern möglich wurde, denn ich glaube, dadurch sind die Zusammenhänge dann leicht zu durchschauen. Wo kommt sie also her, die Zwangsschenkung? Wie ist es entstanden, dass Menschen heute schenken, wo sie zu kaufen glauben? Wer dieser Frage ernsthaft nachgeht, der stößt schnell darauf, dass es gar nicht wahr ist, wenn manche behaupten, die staatliche Gewalt werde zunehmend privatisiert. Es ist umgekehrt: die staatliche Gewalt ist niemals von der Demokratie ergriffen worden. Sie ist von Anfang an privat gewesen. Als die Deutschen die Demokratie entdeckten, haben sie zwar angefangen, mit ihrer Demokratie in die Bildung hineinzupfuschen. Die Schäden sehen Sie in unserem Bildungswesen. Auf der anderen Seite haben sie auch in die Wirtschaft hineingepfuscht. Aber das Recht haben sie mit der Demokratie nie angefasst. Das steht noch aus. Ausgerechnet das Gesetz, das Einzige, worüber demokratisch abgestimmt werden kann, worüber auch dringend demokratisch abgestimmt werden muss, ist von der Demokratie unberührt geblieben. Sie wissen ja, dass das deutsche Volk keinen Einfluss auf seine Verfassung nehmen darf. Das deutsche Volk hat eine Verfassung, die es sich nicht selber gegeben hat und die es sich auch niemals geben wird, wenn es nach den heutigen Machthabern geht. Das ist aber nicht einmal das größte Übel. Unser alltäglicher Verkehr wird nämlich weniger von der Verfassung, sondern mehr noch von dem BGB, dem Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt. Und dieses Gesetzbuch stammt aus einer Zeit, als die Deutschen noch einen Kaiser hatten. Es ist entstanden, bevor die Deutschen beschlossen, mit ihrer Demokratie in die Bildung und in die Wirtschaft hineinzupfuschen, und ist dann auch nachher nicht in Berührung mit einem demokratischen Prozess gekommen.

Im Jahr 1873 beauftragten gewisse Kreise einige Fachleute damit, den Deutschen ein Gesetzbuch zu schaffen. Diese Kreise, Sie werden es ahnen, waren Mitglieder der Nationalliberalen Partei, Grundbesitzer, das Besitzbürgertum und das industrielle Großbürgertum. Seither ist das Bürgerliche Gesetzbuch in manchen Teilen zwar verändert worden, doch wiederum nur von „Fachleuten“, von Rechtstheoretikern. Aber einem demokratischen Prozess ist unser heutiges Recht tatsächlich niemals unterworfen worden. Nun, diese Fachleute, die mit der Schaffung eines Gesetzes für die Deutschen beauftragt wurden, das waren jetzt ganz besondere Fachleute. Das waren nämlich so genannte „Pandektenforscher“, die erforschten also die Pandekten. Und sie gingen nun bei der Schaffung des BGB so vor, dass sie eben diese Pandekten übersetzten in eine modernere Sprache. Obwohl wir heute natürlich bei der Lektüre des BGB trotzdem dauernd darüber stolpern, dass da plötzlich eine Formulierung steht, die sich selbst aus den Denkgewohnheiten von 1873 nicht erklären lässt. Da muss man noch weiter zurückgehen, um das BGB zu verstehen, eben zurück zu der Entstehung der Pandekten, bis zurück zum Jahr 533 nach Christus. 533 nach Christus ließ der römische Kaiser Justinian nämlich das tradierte römische Recht schriftlich festhalten und veröffentlichen. Und die Gesetzesbücher des Justinian, das sind die so genannten Pandekten. Daraus hat das Besitzbürgertum unser Recht gebastelt. Auf einen Begriff hat es dabei besonderen Wert gelegt: das Eigentum. Wo hat es dieses Eigentum hergenommen? Von dem Wort dominium. Die Pandektenforscher haben einfach das dominium aus den Pandekten übersetzt mit „Eigentum“. Und so macht man es noch heute. Wenn Sie einen Duden aufschlagen, dann steht da: dominium ist gleich Eigentum. Sehen wir einmal, wie in den Pandekten das dominium definiert ist. Ich lese aus den Pandekten:

„Potestas hat mehrere Bedeutungen: für den magistratus ist sie imperium, auf die Kinder angewendet, ist sie patria potestas, und in Bezug auf die Sklaven ist sie dominium.“ Auf Deutsch heisst das: „Macht hat mehrere Bedeutungen: für den Beamten ist sie das Reich, auf die Kinder angewendet, ist sie die väterliche Gewalt, und in Bezug auf die Sklaven ist sie das Eigentum.“

Nun, wenn man das weiß, wird natürlich auch verständlich, warum sich das im 19. Jahrhundert erstarkende Besitzbürgertum so romantische Vorstellungen von dem römischen Recht machte, warum es Pandektenforscher beauftragte, dieses dominium in die Zukunft hinein zu konservieren. Sie können wegen der Romantisierung des römischen Rechts übrigens kaum die wissenschaftliche Literatur des späten 19. Jahrhunderts verwenden, und dieses Problem wirkt ja fort bis in die gegenwärtige Wissenschaft. Wenn Sie zum Beispiel heute an der Universität lernen, dass es im Mittelalter eine „Grundherrschaft“ gegeben habe, dann müssen sie als Information hinzunehmen, dass das Wort „Grundherrschaft“ eine Erfindung der Schichten ist, welche die Herrschaft später romantisiert haben, dass es in der fraglichen Zeit aber gar nicht die Bezeichnung für die gemeinte Sache war, da hieß es ganz anders, nämlich einfach „dominium“ oder auch „familia“. Aber das nur nebenbei. Man muss eben immer wissen, wessen Brille man gerade aufhat. Und man kann aus den Besitzverhältnissen heraus verstehen, warum sich die Besitzer so sehr mit dem römischen Recht befreundet haben, und warum sie dem deutschen Volk dieses Recht dann stiften wollten. Das können wir sehr gut verstehen. Vollkommen unverständlich ist jedoch, wenn auch wir uns solche romantischen Vorstellungen von dem römischen Recht machen. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist. Ich habe jedenfalls in der Schule gelernt: das römische Recht ist die Wiege der Zivilisation, da entsteht er, der Bürger. Und ich war auf einer Waldorfschule! Das ius civile, das 12tafelgesetz, ist die Wiege der zivilisierten Menschheit, so habe ich es gelernt. In gewisser Weise stimmt es natürlich auch. Denn, wie gesagt, in den Pandekten hatte Justinian das tradierte römische Recht festgehalten, also das ius civile, und damit auch das 12tafelgesetz, das etwa 450 vor Christus entstanden ist. Und insofern die Grundbesitzer dieses ius civile mit der Übertragung der Pandekten dann zu unserem heutigen BGB gemacht haben, ist das, was die Menschen 450 vor Christus im heutigen Italien einmal gedacht und empfunden haben, natürlich schon der Bürger, der heute da draußen herumläuft. Nur – das ist ja das Schreckliche, das ist ja das Entsetzliche!

Haben Sie sich einmal die Mühe gemacht, in den berühmten 12 Tafeln zu lesen? Nein? Dann holen wir das jetzt nach. Ich möchte Ihnen gerne 2 der 12tafelgesetze vorlesen. Ein Gesetz lautet: „Jemand, der eines anderen Knochen mit der Hand oder dem Prügel bricht, muss 300 Sesterzen zahlen. Für einen Sklaven 150.“ Sehr seltsam. Was denken Sie darüber? Und auf einer anderen Tafel steht: „Verkauft ein Vater seinen Sohn drei mal in die Sklaverei, so soll der Sohn frei von seinem Vater sein.“

Sie haben ganz Recht, wenn Sie mich so verständnislos anblicken. Das ist auch nicht zu verstehen. Für die Seelenverfassung eines heute lebenden Menschen ist das römische Recht absolut unverständlich. Das römische Recht wird erst wieder verständlich, wenn wir ihm auch die römische Seelenverfassung zu Grunde legen. Ich habe das gemacht, ich habe die Geschichtsbücher gewälzt und versucht, ein Bild davon zu bekommen, wie die Römer gedacht und empfunden haben, damit ich diese kryptischen Formulierungen verstehen kann, die ich Ihnen eben vorgelesen habe. Und dadurch konnte ich sie dann in der Tat etwas besser verstehen. Es war nämlich so: Mit dem Wort "potestas", anfänglich auch mit dem Wort "dominium", bezeichnete der Römer einfach den Machtbereich des stärksten, ältesten und weisesten Römers, des männlichen Oberhauptes des Patriarchen. Der Patriarch sagte: Mein Haus, meine Frau, meine Kinder, meine Sklaven. Das war alles das selbe, das gehörte alles irgendwie zu ihm. Die Sklaven, das waren die Bauern, aber auch die Gewerbetreibenden in den Städten. Also, wir haben da einmal den Patriarchen, das ist der Kopf, und dann die Existenzgrundlage, die wirtschaftliche Versorgung des Patriarchen, die Menschen, die den Kopf durch die Arbeit ihrer Hände mit Nährstoffen versorgen. Sie können wirklich dieses Bild eines einzelnen menschlichen Körpers auf eine Gruppe von Römern übertragen, dann verstehen Sie, wie der Römer sich fühlte. Er fühlte sich zusammengeschmiedet mit anderen Menschen in der Sippe, und in dieser Sippe war eben einer der Kopf, und die anderen waren die unselbständigen Arbeiter. Wie real das war, das können Sie sich am besten daran verdeutlichen: wenn nun ein körperlich arbeitender Mensch etwas kaufte, dann kaufte er es gar nicht tatsächlich. Er konnte zwar etwas bezahlen, aber was er bezahlte, das ging unmittelbar in den Besitz seines Patriarchen über. Das ging gar nicht, dass ein Mensch etwas für sich kaufte, weil man den Einzelnen eben nicht als die kleinste Zelle des sozialen Lebens auffasste, sondern die kleinste Zelle, das war ein Gesamtorganismus aus mehreren Menschen, dessen Lenker eben der Patriarch war. Und wenn jetzt der Handarbeiter etwas in die Hand nahm, dann unterlag das automatisch der Verwaltung des Kopfes, des Patriarchen. Etwas erwerben, das konnte nur der Patriarch, aber er erwarb durch die Hand des anderen hindurch. Sogar die leiblichen Kinder waren erst in dem Augenblick zum Eigenerwerb fähig, in dem der Patriarch starb. Überlegen Sie sich, was das bedeutet, was das für eine Bewusstseinsverfassung ist! Das ist wie ein einzelner Mensch, aber geformt aus mehreren Menschen. Und auf diesen Gesamtorganismus bezieht sich das römische Recht. Der römische Bürger ist niemals das Individuum, denn dieses Individuum macht sich erst in der Neuzeit geltend, sondern der römische Bürger, das ist immer der Patriarch mit seinem ganzen unselbständigen Anhang. Die kleinste Einheit, der Bürger, das sind mehrere Menschen zusammengefasst, das ist die Sippe, nicht der einzelne Mensch. Und aus Streitereien zwischen den Sippen heraus erwächst dann das römische Recht. Dieses Recht regelt die Beziehungen der Sippen zueinander. Es greift aber nicht in die Sippe ein. Der Patriarch konnte die Menschen, die für ihn arbeiteten, zum Beispiel auch töten, wenn ihm danach war. Das ging das Gesetz nichts an. Wenn er den Handarbeiter eines anderen Patriarchen verletzte oder tötete, dann erst war das eine Straftat, allerdings nicht am Handarbeiter, sondern an dessen Besitzer. Das war dann nämlich eine Sachbeschädigung, und musste eben mit 150 Sesterzen vergütet werden. Denn die Beschädigung der Sache eines anderen Patriarchen ging das Gesetz natürlich etwas an. Zwischen den Patriarchen galt das Gesetz. Innerhalb des Verhältnisses zwischen Geistesarbeiter und Handarbeiter jedoch war der Geistesarbeiter, der Patriarch, selber das Gesetz. Und erst, wenn Sie das zu Grunde legen, können Sie auch das römische Recht verstehen. Zum Beispiel dieses Gesetz, das ich vorgelesen hatte: „Verkauft ein Vater seinen Sohn drei mal in die Sklaverei, so soll der Sohn frei von seinem Vater sein.“ Was bedeutet das denn? Das bedeutet: die Patriarchen waren sehr fruchtbar, sie zeugten viele Kinder, und mit dem Erzeugnis ihrer Lenden trieben sie Handel. Sie verkauften die eigenen, leiblichen Kinder und kauften dafür die Kinder anderer Patriarchen, die sie dann allerdings, wenigstens in ganz früher Zeit, als ihre leiblichen Kinder betrachteten. Sie haushalteten gewissermaßen durch den Kauf und Verkauf von Menschen und leiteten so den Organismus, der sie ernährte. Gegen 450 vor Christus erfährt dann das leibliche Kind eine Aufwertung gegenüber den geraubten Handarbeitern. Und das kommt in jenem Gesetz zum Ausdruck. Das leibliche Kind darf nur noch drei mal in die Sklaverei verkauft werden.

So kann man sich also das römische Recht zu erklären versuchen, indem man sich in die römische Seelenverfassung hineindenkt. Und das Schlimme ist, dass man sich auch nur so das heute geltende Recht erklären kann, obwohl ja heute, 2500 Jahre später, ganz andere Menschen da sind. Allerdings sind diese, im wahrsten Sinn des Wortes ver-rückten Verhältnisse, nicht erst mit dem BGB geschaffen worden. Das BGB ist bloß die Spitze des Eisbergs. Das römische Recht fließt in mehreren Etappen in die soziale Ordnung der nachrömischen Welt ein, und setzt sich dort fest, wird zur unbewussten Voraussetzung aller Sozialgestaltung, vor allem aber für die Wirtschaftsordnung. Aus der Vergangenheit kommt das römische Recht, aus der Zukunft kommt die Globalisierung, die fortschreitende arbeitsteilige Wirtschaft. Und beide treffen sich im Mittelalter. Da stößt das römische Recht auf das sich allmählich bildende Handelskapital, das aus der Zukunft kommt, und beide verbinden sich zu jener unsäglichen Ehe, zum Finanzkapitalismus.

Anfangs gab es ja im Mittelalter, auch an diesem Ort, hier in Heidelberg, nur eine einfache, überschaubare Arbeitsteilung. Die Menschen waren Bauern oder Handwerker, und je weiter wir zurückgehen, desto mehr waren sie Bauern. Da gab es noch kaum Handwerk, das Handwerk löst sich ja erst allmählich aus der Heimarbeit heraus zu einem selbständigen Stand, mit seinen selbständigen Berufszweigen. Aber zunächst waren die Menschen Bauern. Und ich habe Ihnen ja Anfangs schon geschildert, wie dann eine erste Arbeitsteilung entstanden ist, einfach aus der Not heraus, weil nämlich die Bauern überfallen wurden. Da wurde es nötig, sich die Arbeit zu teilen, dass also die einen Bauern blieben, aber andere, die dafür am ehesten geeignet waren, die Bauern beschützten. Es bildete sich ein Kriegerstand neben dem Bauernstand. Und Bauern und Krieger verstanden auch, was das bedeutete. Sie verstanden, dass sie eine wirtschaftliche Einheit bildeten, in der sich die Menschen die Arbeit bloß teilten, je nach Fähigkeiten, dass aber der eine nicht ohne den anderen leben konnte. Und ihr Verhältnis zueinander definierten Bauern und Krieger deshalb als Leistungstausch. Noch im Schwabenspiegel, ein Gesetzbuch, das erst viel später auch das germanische Recht festhielt, klingt das nach: „Wir sollen den Herren dafür dienen, dass sie uns beschützen, beschützen sie uns nicht, sind wir ihnen von Rechtswegen keinen Dienst schuldig“ heisst es da sinngemäß.

Jetzt waren die Germanen aber fasziniert von Rom, sie saugten alles auf, was aus Rom kam, natürlich auch das Christentum, aber auch alles andere, und eben auch das römische Recht. Die Germanen wurden Studenten des römischen Rechts, und verklärten die römischen Pandekten als die ratio scripta, als die „geschriebene Vernunft.“ So entstand die Rechtswissenschaft. Und die Rechtswissenschaftler schauten sich das Verhältnis von Bauer und Krieger an und sagten sich: der Krieger bekommt die Abgabe also, weil er das dominium hat. Bauer und Krieger betrachteten ihr Verhältnis zwar nach wie vor als einen Leistungstausch, aber der Gelehrte des römischen Rechts sagte: nein, die geschriebene Vernunft sagt: was der Bauer dem Krieger gibt, das ist eine Abgabe, die der Krieger bekommt, weil er das dominium hat. Also, das ist jetzt eine theoretische Begründung. Es ist ganz wichtig, das Sie das bemerken. Da wird das Recht plötzlich zu einer Kopfsache, wird theoretisch, wird zu einem leeren Formalismus. Anfangs stört das allerdings niemanden. Sollen die Rechtsgelehrten doch denken, was sie wollen, solange das wirkliche Recht davon unberührt bleibt! Und tatsächlich war die Abgabe der Bauern eben keine Abgabe für irgendeine Theorie, sondern damit begründet, dass sie die Krieger ernährten, weil sie den Schutz der Krieger brauchten. Das war nicht mit einer abstrakten Formel, sondern mit der Wirklichkeit, mit einem wirklichen Leistungstausch begründet. Und so blieb es zunächst auch.

Dann vergrößerten aber einzelne Fürsten ihr Einflussgebiet. Dazu musste der jeweilige Fürst dann Stellvertreter vor Ort einsetzen. Es entwickelte sich ein staatlicher Verwaltungsapparat, und der Territorialstaat breitete sich aus. Die militärische Gewalt ging natürlich über auf den Territorialfürsten. Der Territorialfürst musste nun das Geld ausgeben für den Schutz der Bauern. Und die Bauern zahlten, sie zahlten jetzt Steuern an den Territorialfürst. Die ehemaligen Krieger verloren damit ihre Aufgabe. Nur – die nun arbeitslos gewordenen Herren wollten die Abgabe der Bauern gerne weiterhin haben. Sie wollten weiter ernährt werden von den Bauern, obwohl sie dafür keine Gegenleistung mehr erbrachten. Und so lernten sie von den Rechtsgelehrten, so lebten sich ein in die römische Seelenverfassung ein und sagten: wir müssen von den Bauern ernährt werden, weil wir das dominium haben. Das steht in der geschriebenen Vernunft! Die Bauern wehrten sich mit Leibeskräften, aber auch der Territorialfürst hielt sich an die Rechtswissenschaft. Mit brutaler Gewalt setzte er die Interessen der ehemaligen Krieger durch, gegen die Interessen der Mehrheit im Land, gegen die Bauern. Fortan mussten die Bauern an zwei Stellen Abgaben bezahlen: einmal die Steuer an den Staat, und einmal noch eine Steuer an irgendjemanden, der weder Staat war noch Leister, sondern dem bloß theoretisch die Abgabe zugesprochen wurde. Dafür sorgte der Staat, teils weil er selbst an das römische Recht glaubte, teils weil er abhängig war von der Unterstützung der ehemaligen Krieger. Da stellte sich also zum ersten mal der Staat gegen das Rechtsgefühl und auf die Seite partikulärer Einzelinteressen. Das war gleich bei der Entstehung des Staates, und so konserviert der moderne Staat von Anfang an das Unrecht.

Aus der Zukunft kommt dem römischen Gespenst dann die fortschreitende arbeitseilige Wirtschaft entgegen. Die Produktion einzelner Waren wird zerlegt in Teilprozesse, es werden zum Beispiel den Bauern Stoffe geliefert, die sie zu Hause weiterverarbeiten zu Kleidung, und die werden dann wieder abgeholt, und dieser Prozess schreitet eben fort. In der einen Region wird der Rohstoff angebaut, in einer anderen wird er weiterverarbeitet, und wieder in einer anderen Region wird das Produkt konsumiert. Und die Folge ist, das die Händler, die ja in diesem Prozess vermitteln, sehr, sehr mächtig werden. Einzelne Händler werden plötzlich unfassbar reich, so reich, dass sie gar nicht mehr wissen, wo sie das viele Geld hin packen sollen. Das ist dann die Situation im 16. Jahrhundert, im so genannten Frühkapitalismus: einzelne Händler wissen nicht, wohin mit dem vielen Geld. In die Produktion kann es nicht, weil der Markt gesättigt ist. Was also tun? Jetzt kaufen die Händler den ehemaligen Kriegern das dominium ab. Das Geld ergreift das Skelett der römischen Familie, und damit zieht es zum erstenmal den Staatsschutz hinein in den Kreislauf der Waren. Die Händler kaufen sich die Möglichkeit, die arbeitenden Menschen in Zukunft mit staatlicher Gewalt zu einer Abgabe zwingen zu können. Warum machen die Händler das? Nun, so konservieren sie ihr Geld, das ja sonst wertlos werden müsste. Sie wandeln den Geldbetrag um in die Möglichkeit, anderen Menschen in der Zukunft etwas wegzunehmen, was dann jeweils aktuell etwas wert ist. Das ist die Geburtsstunde der Anlage, der Augenblick, in dem das moderne, käufliche Eigentum entsteht.

Das dominium ist heute da drinnen in der Wirtschaft, die römische, antidemokratische Verfassung, sie zirkuliert unter dem Namen Eigentum, unter dem Namen Aktienbeteiligung, unter dem Namen Grund und Boden, unter dem Namen Genussrecht. Deshalb leisten wir heute, fast zwei Jahrtausende nach Rom, immernoch die Abgabe. Jeder von uns leistet heute die Abgabe an seinen dominus. Wir leisten die Abgabe, wenn wir das Erzeugnis unserer Arbeit bei unserem „Arbeitgeber“ lassen, wir leisten die Abgabe, wenn wir Miete zahlen, und wir leisten die Abgabe, wenn wir konsumieren und mit dem Preis der Ware auch das bezahlen, was für irgendwelche Rechte abfliesst. Es ist wirklich so: Historisch gesehen ist Ihre monatliche Mietzahlung der Fortbestand der Zwangsernährung des Patriarchen. Und das beherrscht heute den Staat, beherrscht heute die Politik. Worum geht es auf der Weltbühne? Die Griechen müssen jetzt länger arbeiten. Wofür? Dafür, dass einer konsumieren kann ohne etwas dafür zu bezahlen. Darum geht es. Es dreht sich alles um eine Zwangsschenkung. Deshalb wird das Rentenalter hochgesetzt, deshalb werden die Löhne gesenkt, deshalb wird das Staatseigentum auf den Markt geworfen. Und das verletzt natürlich die Gefühle der Menschen.

Wir verschenken unsere Lebenszeit. Aber wo schenken wir hin? Was entsteht denn da, wo wir hin schenken? Was dort immer entsteht: Kultur. Denn derjenige, der etwas geschenkt bekommt, muss ja nichts tun, wenigstens dafür nicht. Der kann ganz frei entscheiden, was er tun will. Und da entsteht eben Kultur. Es entsteht Geistesleben. Aber welcher Geist hat es nicht nötig, zu fragen, ob man ihn auch beschenken will? Was ist das denn für ein Geist, der den Leistungstausch manipulieren, der sich aufzwängen, der stehlen muss, weil man ihn nicht ansehen mag, weil er verschwindet, sobald man ihn ansieht? Dieser Geist hat allen Grund, nicht zu fragen. Sehen Sie ihn sich an! Das ist unser Geist, der Kunstmäzen, Hollywood, der Horrorfilm, die Fussballweltmeisterschaft, der moderne Mensch, in jedem Ohr ein Ipod-Stöpsel, dieser Depp. Dieser Geist kommt über das Eigentumsrecht, über die Zwangsschenkung im Warenpreis, ins Dasein. Mit wem haben wir es da zu tun?

Wir werden Sachverstand in die Wirtschaft hineinbringen müssen, dazu werden wir uns aber assoziieren müssen, werden anfangen müssen, uns dafür zu interessieren, wie es dem anderen an seinem Platz geht, zu welchem Urteil dieser andere kommen muss über die Bedingungen seiner Arbeit, über seine Bedürfnisse. Dann erst, wenn wir eine solche, aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus gebildete Verwaltung haben, können wir richtig rechnen, können wir Leistung und Gegenleistung in das real mögliche Verhältnis zueinander bringen. Und wenn dann einer nichts leisten will an der Natur, wenn er etwas geschenkt haben will, vielleicht, weil er 2 Jahre lang nur denken möchte, irgendeiner Forschung nachgehen, ein Bild malen, oder auch zum Beispiel Kinder unterrichten möchte, oder was auch immer, dann wird er die Menschen, die in dieser Zeit ja für ihn mitarbeiten müssen, länger auf dem Feld stehen müssen, die wird er dann zu fragen haben. In Zukunft wird jeder, der sich selber für so schlau hält, dass er glaubt, nicht mit den Händen arbeiten zu müssen sondern mit dem Kopf, zu fragen haben, ob andere ihn auch für schlau halten. Er wird das Verständnis der Menschen bekommen oder nicht, und wenn nicht, wird er arbeiten müssen wie jeder andere auch. Und so wird sich neben der Wirtschaftsverwaltung eine ganz andere Verwaltungsform herausbilden, nämlich eine, in der sich die Menschen allein aufgrund des Verständnisses miteinander verbinden, das sie füreinander haben. Und aus diesem Verständnis heraus wird sich der geistig arbeitende verschenken, er wird seine Ideen verschenken, statt sie zu privatisieren, und er wird sich umgekehrt davon abhängig machen, dass er seinerseits beschenkt wird, statt zu stehlen. Die Zwangsversorgung des römischen Patriarchen werden wir verwandeln müssen in das freiwillige Geben dahin, wo wir Grund dazu haben, etwas herzuschenken, weil wir finden: der soll besser etwas anderes tun als die Natur für Bedürfnis anderer Menschen zu veredeln, der soll heraus aus der Wirtschaft, der soll bloß konsumieren, und ansonsten ganz frei denken, malen, tanzen oder was auch immer. Das ist die Kultur des modernen Menschen, die wird überall da entstehen, wo Menschen freiwillig schenken, aus Einsicht, aus Interesse heraus einen bestimmten Geist ernähren. Nur da ist aber der wirklich menschliche Geist überhaupt in der Welt anwesend, alles andere ist tot, alles andere ist schon Gespenst. Und so wird sich neben die Assoziation das freie Geistesleben stellen. Beides wird jedoch nur möglich sein, wenn sich als drittes Glied daneben stellt ein echtes Rechtsleben, eines, das aus dem Rechtsgefühl herauswächst, und gerade nicht aus dem Geistesleben, das gerade nicht von irgendeinem Verständnis abhängig ist. Die Römer haben ihre Gefühle in dem römischen Recht zum Ausdruck gebracht, wir müssen unsere Gefühle, die Gefühle von uns heute lebenden Menschen, bloß zum Ausdruck bringen. Wir müssen uns verbinden mit allen Menschen, ganz gleich, ob wir Verständnis für sie haben oder nicht, ganz gleich, ob wir auf geistigem Gebiet sogar vielleicht Gegner sind. Denn es kann dem Menschen ganz allgemein zugestanden werden, dass sich seine Seelenverfassung in zweitausend Jahren entwickelt hat!

Jeder Mensch wird in allen drei Verwaltungen drinnen stehen, die Menschen werden nur eben das Recht nach rechtlichen Gesichtspunkten, die Wirtschaft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, und die Kultur nach kulturellen Gesichtspunkten verwalten, und nicht mehr umgekehrt. Ja bitte, Sie haben eine Frage?

Frau B: Sie sagen also, wer geistig arbeiten will, muss die körperlich arbeitenden Menschen fragen, ob diese ihm etwas schenken wollen. Ich finde das richtig, aber es ist so schwer, so zu denken. Wie soll ich mich trauen, zu fragen, wie kann ich so anmaßend sein? Und wer sagt, ob ich das Recht habe, etwas geschenkt zu bekommen, wer soll das entscheiden?

Johannes Mosmann: Nun, wer kann zum Beispiel entscheiden, ob das, was ich heute Abend ausgeführt habe, Sinn macht, ob es das wert ist, weiterentwickelt zu werden, und ich fähig bin, es weiterzuentwickeln? Kann das irgendein Gremium oder so, soll der Staat Ihnen einfach in die Tasche greifen und mir dann Ihr Geld aushändigen, oder wie kann das gehen? Wer kann entscheiden, ob ich das weiterdenken darf, was ich heute Abend zu Ihnen gesagt habe?

Herr Z: Sie haben vollkommen recht. Ich bin Richter im Ruhestand und habe hier in Heidelberg bei Wolfgang Kunkel gelernt. Ich kenne das römische Recht. Das Problem ist in der Tat, dass das römische Recht überall drinnen steckt, und Sie haben das ja an diesem Beispiel sehr schön ausgeführt. Dafür danke ich Ihnen. Aber ich sehe nicht, wo der Anfang gemacht werden kann für ein modernes Recht. Es wird ja nirgendwo so gedacht.

Johannes Mosmann: Wirklich? Sie sehen nicht, wo anders gedacht wird? Aber wo soll es denn anfangen, wenn nicht hier, heute Abend, wer soll den Anfang machen, wenn nicht Sie und ich?

Herr P: Kommt denn der Kapitalismus nicht eigentlich aus England?

Johannes Mosmann: In England ist es der selbe Prozess, nur in anderer Gestalt, radikaler, und etwas früher. Da bilden die Grundbesitzer gleich das Parlament und nehmen die Staatsgewalt in die Zange, so dass der Staat dann das ausführende Organ des dominiums wird, Absatzmärkte und Rohstoffquellen für dieses erobert, und eben das weitere. Man ist da also nicht den Umweg über die Verklärung eines römischen Textes gegangen, sondern hat dessen Inhalt gleich umgesetzt. Es dringt jedenfalls, in Deutschland wie in England, der tote Geist einer längst vergangenen Gesellschaft ein, in Deutschland vor allem über den Kopf, über die Wissenschaft, die sich mit der militärischen Gewalt verschwistert. Der Vorgang ist der selbe, im englisch-sprachigen Raum hat man es nur nicht nötig, sich mit Hilfe des Denkens über die Wirklichkeit zu täuschen, da geht es direkt in die Wirklichkeit.

Frau B: Entschuldigung, aber ich will das noch mal sagen: ich kann mir das nicht denken, wer jetzt das Recht haben soll, ein geistiger Arbeiter zu sein?

Johannes Mosmann: Was ich hier ausgeführt habe, war ja sehr brutal. Ich sagte zunächst: wer geistig arbeiten will, darf nicht die anderen zwingen, für ihn zu arbeiten. Denn die können ja dann weniger geistig sein, wenn sie für den Geistesmensch mitarbeiten müssen. Und dennoch: wenn einer reiner Geistesarbeiter sein soll, muss er essen, muss er konsumieren, muss er das also irgendwie von den Menschen bekommen, die das mit ihren Händen erzeugen. Heute nimmt sich der Geist einfach mit Gewalt, was er braucht, über das Eigentumsrecht, und auch über die Steuer. Das ganze Bildungswesen beruht ja letztendlich auf Gewalt, darauf, dass jeder arbeitende Mensch gezwungen ist, dafür etwas abzugeben. Deshalb sieht das Bildungswesen so aus, wie es aussieht, deshalb haben Menschen 21 Milliarden Euro in der Entwicklung der Atomenergie konsumiert, und im gleichen Zeitraum nur 6 Milliarden in der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien. Das will ich ändern. Ich will, dass der Geist sich nicht über das Recht ernähren darf, denn das Recht ist ja immer zwingend, so muss es auch sein, wenn es Recht ist. Ich will deshalb, dass die Ernährung des Geisteslebens eben keine Rechtsangelegenheit mehr ist, sondern eine individuelle, dass der Denker sich also dem Handarbeiter in Zukunft zu verantworten hat, dass er abhängig ist davon, dass einzelne Menschen seine Forschung, seine Kunst als sinnvoll erleben und ihm gegebenenfalls freiwillig geben, was er zum Leben braucht, oder eben auch nicht. Brutal ist das, wenn Sie sich das nun so vorstellen, dass da auf der einen Seite der Geistesarbeiter steht, der den eigenen Intuitionen nachgehen darf und dafür auch noch beschenkt wird, und auf der anderen Seite der Handarbeiter im Wirtschaftsleben, der natürlich nicht den eigenen Intuitionen, sondern den Bedürfnissen anderer Menschen nachzugehen hat. Das wäre dann ebenso eine Zweiklassengesellschaft wie die gegenwärtige, nur dass die obere Klasse sich nicht mehr aufzwängen könnte, sondern abhängig wäre von der unteren. Aber für den Einzelnen wäre auch das brutal. Er müsste entweder schuften, oder die Anerkennung der Menschen bekommen. Aber davon rede ich ja gar nicht. Das ist ein sehr verkürztes Bild, dass sich nur ergeben kann, wenn Sie Ihr Gefühl missachten, wenn Sie missachten, wie sich Ihr Gefühl, auch jetzt gerade, in diesem Augenblick, äußert. Was sagt Ihr Gefühl? Es sagt: jeder Mensch hat ein Recht darauf, ein geistiger Arbeiter zu sein. Denken wir an den Bauern, wie er auf dem Boden steht und die Natur bearbeitet im Hinblick auf das Bedürfnis eines anderen Menschen, damit ein anderer Mensch leben kann. Stellen Sie sich vor, wie er schuftet, Stunde um Stunde, tagein tagaus. Da regt sich doch Ihr Gefühl. Da kann sich das Gefühl regen und sagen: Wir wollen zwar das Brot essen, aber nicht den Menschen mitessen, der das Brot für uns macht. Der Bauer muss doch etwas für sich zurückbehalten. Er darf sich nicht ganz hingeben, er darf nicht mit aufgefressen werden von der Wirtschaft. Denn der Bauer ist nicht nur ein Bauer, sondern auch ein Mensch. Und als Mensch hat er rein menschliche Interessen, hat er ganz individuelle Fragen ans Leben, hat er Freunde und Familie, und vielleicht ist er eine Künstlernatur und will der Kunst nachgehen, außer dem, dass er Bauer ist. Und wenn wir dieses Gefühl richtig verstehen, kann es sich nur ausdrücken in einer gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit. Wir haben ja schon an manchen Stellen die 40 Stunden Woche, aber was bringt das, wenn der Mensch nach 40 Stunden Arbeit keine Kraft mehr hat, ein geistiges Wesen zu sein, sondern nur noch für eine Flasche Bier? Und was bringt das, wenn selbst diese Arbeitszeitbeschränkung doch umgangen werden kann? Hier haben wir schon einen zaghaften Ansatz, den müssen wir ergreifen und konsequent umsetzen. Das muss auf demokratischem Boden geschehen, nicht wirtschaftlich, nicht in Tarifverträgen, und auch nicht im freien Geistesleben, denn das ist eine reine Rechtsangelegenheit. Da geht es nicht um Freiheit, sondern darum, einen Zwang zu schaffen. Demokratisch müssen wir festsetzen: es ist verboten, dass ein Mensch täglich mehr als 5 Stunden unter Tag arbeitet, weil er sonst kein ganzer Mensch mehr sein kann. Ich will die Stundenzahl natürlich nicht diktieren, sondern da muss sich eben auf demokratischem Weg die Arbeitszeit finden, aus dem Gefühl der Menschen für das Menschenwürdige heraus. Das ist dann gesetzt, und die Wirtschaft hat das hinzunehmen wie die Schwankungen der Natur. Die entsprechenden Produkte werden dann natürlich teurer, wenn weniger für sie gearbeitet werden darf, so wie sie teurer werden, wenn die Natur weniger hergibt. Aber das Recht muss in der Gesellschaft stehen wie ein Felsen in der Natur. Da wird der Grundsatz der Gleichheit herrschen müssen. Und das ist ein Grundsatz der Gleichheit, wenn ich sage: Jeder Mensch ist ein geistiges Wesen, und deshalb muss jeder Mensch die gleiche Zeit haben, in der er nicht einseitig irgendein spezielles Bedürfnis eines anderes Menschen befriedigen muss. Die Wirtschaft wird hinnehmen müssen, was außerhalb der Wirtschaft, auf rein rechtlichem Boden geregelt ist. Innerhalb der Wirtschaft muss allerdings das Ideal der Brüderlichkeit herrschen, da müssen wir gemeinsam und solidarisch die Arbeit tragen, müssen gerade jeweils das tun, was der andere zum Leben braucht. Aber die Brüderlichkeit selbst schlägt ins asoziale um, wenn die ganze Sphäre, in die wir Brüderlichkeit hineinbringen müssen, nicht selbst wiederum begrenzt ist durch einen Bereich, in dem die Menschen sich nicht durch brüderliches Leisten und Gegenleisten verbinden, sondern in dem sie sich einfach als Gleiche unter Gleichen gegenüberstehen. So wird dann auch jeder Mensch an dem dritten Bereich, an dem Kulturleben, mitwirken können, innerhalb dessen er dann ganz frei sein kann, einfach deshalb, weil er dann auch die Zeit dafür hat. Und das andere, was ich ausgeführt habe, dass einer beschenkt werden muss, das entsteht ja nur dann, wenn sich zeigt: es ist für uns alle das beste, wenn dieser da auch keine 4 Stunden in der Fabrik oder am Boden arbeitet, sondern wenn der den ganzen Tag zum Beispiel nur über etwas nachdenkt, nur forscht, dann kommt da was bei raus, was für uns gut ist, denn so schätzen wir seine Fähigkeiten ein. Wir schenken also einem Menschen, den wir wahrnehmen, dessen Fähigkeiten wir selbst erleben, etwas, was dann selbstverständlich unseren Wohlstand zunächst verringert, damit er Wissenschaftler, Künstler und so weiter sein kann. Die Übergänge werden fließend sein: jeder Mensch steht zunächst im freien Geistesleben. Dafür hat er Zeit, weil er nur wenige Stunden auf dem Boden stehen, nur wenige Stunden an der Kasse eines Supermarktes sitzen muss. Und in seiner Freizeit, innerhalb des Geisteslebens ist er schöpferisch tätig, wenn er will. Und dann kann es ein, dass andere, die mit ihm in der selben Initiative, in dem selben Geistesleben verbunden sind, sagen: Du setzt Dich mal besser 2 Jahre gar nicht mehr an die Supermarktkasse, sondern arbeitest das gründlich aus, was Dich gerade bewegt, denn das wird was, das sehen wir. Und damit Du in der Zeit leben kannst wie alle anderen auch, spenden wir Dir, schenken wir Dir von unserem Gehalt, das wir in unserer demokratisch festgesetzten Arbeitszeit verdienen. Wenn das nicht eintritt, ist das auch egal, es wird niemand einen besonderen Ehrgeiz entwickeln, nicht zu arbeiten, sobald die Arbeitszeit begrenzt ist, sondern nur eben, wenn das sachlich begründet ist. Und da, wo es sachlich begründet ist, wird dann einer Forscher, Künstler, Lehrer oder Professor sein. Das Geistesleben wird dann abhängig sein von dem Verständnis der Menschen, und es wird deshalb in Zukunft auch das Geistesleben den Menschen etwas Wert sein müssen. Denken Sie nur einmal daran, wie viele Studenten jetzt im Augenblick eine Arbeit schreiben über ein Thema, das niemanden interessiert, das auch sie selber einen Dreck interessiert, das sie nur schreiben, weil sie dem Professor gefallen müssen, weil sie rechtlich abhängig sind, weil das Geld zum Studieren über das Recht da ist. Sehen Sie, wie man heute denken kann, weil das Geld einfach da ist, wenn das Denken sich dem Individuum nicht verantworten muss. Dann kann man denken: Das ist alles unscharf, die Wirtschaft hat halt Krisen, mal trifft einen der Blitz einmal, manchmal auch zweimal. Was in dieser Zeit gegessen wird, was andere Menschen dafür in den Fabriken schuften müssen für diese unzähligen künstlichen Fragen, die kein Mensch stellt, die niemand wissen will? Das Denken, das dabei entsteht, bestimmt dann aber unser Zusammenleben. Und deshalb ist es schon richtig, dass wir zuerst die richtigen Gedanken brauchen. Das spüren ja viele. Aber man weiß nicht, wie man zu den richtigen Gedanken kommt. Man kommt eben nicht durch Denken zu den richtigen Gedanken, sondern durch Schaffung von Verhältnissen, innerhalb derer ein lebenswirkliches, ein verantwortliches Denken möglich sind. Man kommt niemals innerhalb der bestehenden Verhältnisse zu richtigen Gedanken. Wir müssen den Geistesarbeiter erst abhängig machen von der freiwilligen Zuwendung des Individuums, damit der nicht mehr abhebt, damit der wirklichkeitsgemäß denken lernt. Das ist das Qualitätsmanagement, das unser Kultur- und Geistesleben, das auch unser Bildungswesen jetzt so dringend braucht. Das geht niemals über ein neues Zwangsprogramm eines Ministeriums für seine zwangsfinanziertes Zwangskultur.

Im Kultur und Geistesleben muss nicht Unabhängigkeit herrschen, sondern Freiheit, im Wirtschaftsleben die Brüderlichkeit, und im Rechtsleben die Gleichheit, und alles drei muss sich gegenseitig befruchten, denn das eine wird nicht ohne das andere da sein. So müssen die drei Glieder des sozialen Lebens in gesunder Weise zusammenwirken, wenn die nächste Krise verhindert werden soll. Von rechtlichem Gebiet aus müssen wir deshalb das rechtliche Gebiet überhaupt erst einmal schaffen, denn das ist am allerwenigsten da. Wir müssen Recht schaffen, indem wir für unser Rechtsgefühl einstehen. Das wollte ich Ihnen heute Abend vor allem sagen, das Rechtsgebiet war mir das Wichtige heute Abend. Ich wollte Ihnen im Grunde genommen nur sagen: Wenn Sie in einer Expertenrunde sitzen, und Sie sagen laut und deutlich: Die Finanzkrise kommt daher, dass die Menschen für das, was ihre Gefühle sprechen, nicht einstehen, dann sagen Sie das schlaueste, was man überhaupt sagen kann zur Finanzkrise, aber diese Experten der Unschärfe lachen Sie dann aus. Aber wenn Sie nur erst für Ihre Gefühle einstehen, werden Sie trotzdem recht behalten, obwohl Sie sich erstmal lächerlich machen. Und das wird dann eine praktische Antwort auf die Finanzkrise sein, dann lässt sich das lösen, dann können wir wissen, statt zu glauben.

Das war's von meiner Seite, jetzt können wir ins Gespräch gehen. Vielleicht sprechen wir darüber, wie das konkret gehen kann, wo Anknüpfungspunkte in der Praxis zu sehen sind?

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