Die Rechtsform ist ein Kuckucksei

Spätestens mit der "Gründung" einer sozialen Initiative wird in ihr selbst genau das Antisoziale wirksam, was sie draußen in der Welt bekämpfen möchte. Wie also ist eine soziale Unternehmung überhaupt möglich? Und was ist nötig, um eine Initiative zu "gründen"? Ein Kommentar von Johannes Mosmann anlässlich der "Gründung" des Instituts für soziale Dreigliederung (News siehe hier)

Dass die Schaffung einer Rechtsform für das Institut für soziale Dreigliederung aufgrund der äußeren Verhältnisse nun doch notwendig war, bedeutet nicht, dass sie auch gut ist. Zwar haben wir bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags darauf geachtet, den gröbsten Unsinn möglichst unschädlich zu machen, der mit einer Rechtsform inauguriert wird. Die "freiheitliche" Gestaltung des Gesellschaftsvertrags ist aber letztendlich gar nicht entscheidend für ihre Wirkung. Entscheidend ist vielmehr, dass sich alle Beteiligten voll bewusst sind, dass diese Rechtsform notwendig eine schädliche Wirkung entfalten wird, und die genauen Gründe dafür benennen kann. Denn nur solange wir uns bewusst sind, dass wir uns mit der äußerlichen "Gründung" nun gewissermaßen ein Kuckucksei ins Nest gelegt haben, können wir den Kuckuck im Blick behalten und uns wenigstens gleich stark entwickeln, indem wir ihm das Prinzip einer zeitgemäßen Gemeinschaftsbildung aktiv entgegenstellen.

Dass dieser Gedanke in aller Schärfe gefasst wird, scheint mir die notwendige Voraussetzung jeder "Gründung" einer sozialen Initiative zu sein. Deshalb möchte ich das grundsätzliche Problem anlässlich der "Gründung" der "Institut für soziale Dreigliederung gemeinnützige UG" an einigen Stellen beleuchten, und zeigen, welche Massnahmen der Rechtsform entgegengestellt werden können.

1. Das Skelett der "juristischen Person"

Das gemeinsame Merkmal aller Rechtsformen ist die Tatsache, dass durch sie nicht der einzelne Mensch, sondern eine Menschenverbindung als "Person" der staatlichen Gewalt gegenübertritt. Gleichzeitig sind die Art der Menschenverbindung, ihre gemeinschaftsbildenden Mittel und Prinzipien, durch diese fiktive Person definiert, so dass wir es gewissermaßen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun haben: GmbH, Verein, Genossenschaft und andere.

Wenn der Ursprung der so genannten "juristischen Person" von manchen Nachschlagewerken ins 19. Jahrhundert verlegt wird, so ist dies nur eine Viertelwahrheit: die Rechtsgelehrten des 19. Jahrhunderts waren so genannte "Pandektenforscher", das heisst, sie verbanden die römischen Rechtsgebräuche mit den ökonomischen Neuerungen ihrer Zeit. Das Kernelement der juristischen Person, also die Eigentümlichkeit, nicht den individuellen Menschen, sondern eine Menschengruppe (auch in Verbindung mit Sachwerten) als "Person" zu betrachten, hat seinen Ursprung letztendlich im "dominium" des römischen Patriarchats:

Anders als manche naive Lobhudelei römischer Errungenschaften glauben machen will, ist die mit Bürgerrechten ausgestattete "Person" nach römischem Recht niemals ein individueller Mensch. Das römische Recht kennt das menschliche Individuum überhaupt nicht, und damit auch nicht den Begriff der Person in unserem heutigen Sinn. Die römische Gesellschaft besteht aus kleinen, durch die Gewalt des Familienoberhaupts geeinten Clans oder Sippen. Der so genannten "väterlichen Gewalt" unterstehen unterschiedslos Menschen und Sachen. Alles zusammen heisst "dominium", was die "Pandektenforscher" des 19. Jahrhunderts dann mit "Eigentum" übersetzten. Die Führer dieser Gruppen treten in Verkehr miteinander, und sie alleine genießen in diesem Verkehr die vollen Bürgerrechte. Mit jeder "Person" im eigentlichen Sinn sind also eine ganze Anzahl von Menschen verbunden, die ihrerseits gegenüber der staatlichen Gewalt nicht als vollwertige Personen gelten. Sie werden als der unselbständige Anhang des Patriarchen betrachtet, und sind dessen Willkür ausgeliefert. Das heisst, die Person des Patriarchen agiert stellvertretend für eine ganze Gruppe von Menschen, deren Mitglieder selbst nicht geschäftsfähig, und in diesem Sinn eigentlich Un-Personen sind. Man kann auch sagen: es gibt in Rom verschiedene Arten von Personen, die einen Personenarten sind mehr, die anderen weniger "Menschen".

Dieses Merkmal hat die römische Gesellschaft mit der griechischen gemein. Das Fortschrittliche des römischen Rechts liegt darin, dass der Status des Vollmenschen zum ersten mal prinzipiell für Angehörige verschiedener Volksgruppen erreichbar wird, dass also gewissermaßen der hellenische Rassismus überwunden wird. Den Status des Bürgers zu erreichen, bedeutet aber eben nichts anderes, als Patriarch werden können, das heisst, Nicht-Bürger unter die eigene Gewalt bringen zu dürfen. Der so genannten "väterlichen Gewalt" des Vollbürgers unterliegen Frauen, Bauern, Kinder und Handwerker. Im Grunde genommen wird also die ganze Wirtschaft von denjenigen getragen, die im Rechtsverkehr nicht als selbständige Personen gelten, sondern unter das Sachenrecht fallen. Der mit Bürgerrechten ausgestattete Patriarch dagegen spielt mehr die Rolle des geistigen Leiters dieser Un-Personen. Wir haben es in der römischen Gesellschaft also mit zwei Verfassungen zu tun: die erste regelt den Verkehr der echten "Personen" untereinander, die zweite den Verkehr zwischen diesen Personen und ihrem Besitz, den Un-Personen.

Die Ordnung der zweiten Verfassung, der Sippe, wird dabei nicht willentlich durch ihre Mitglieder hervorgebracht, sondern gewissermaßen von der Natur empfangen. Es ist nicht ein soziales Gesetz nach unserem heutigen Verständnis, sondern der Ausdruck einer Naturtatsache: Wer oben ist, das bestimmt das Lebensalter, und nicht etwa individuelles Können oder Ähnliches. Diese Verfassung hat also den Charakter eines echten Naturgesetzes. Das kann man sich anhand jeder beliebigen römischen Rechtsgepflogenheit vor Augen führen. Zum Beispiel: Der leibliche Sohn eines Patriarchen konnte nichts für sich kaufen, da alles, was er kaufte, rechtlich seinem Vater zugeordnet wurde. Der Sohn war somit erst nach dem Tod seines Vaters überhaupt zum "Eigenerwerb" einer Sache fähig, und erst dann ein Bürger im vollen Sinn des Wortes. Verständlich ist das nur, wenn man weiß, dass der Römer sich eben noch nicht als Individuum sah, sondern als Teil eines Wesens, das über mehrere Generationen lebte, und dem der Älteste am nächsten stand.

Heute stehen wir vor der Schwierigkeit, wiederum etwas zu finden, das über das Einzeldasein des Individuums hinausgeht, nun aber so, dass es dieses Individuum nicht negiert, sondern selbst nur als der Ausfluss der freien, vollbewussten Tat des Individuums erscheint. Was macht eine Summe von Menschen zu einer Gemeinschaft, so, das dabei das Spezifische des modernen Menschen, nämlich die geistige Individualität, nicht überwältigt, sondern gerade gefördert wird? Das ist die Grundfrage des Instituts für soziale Dreigliederung. Ziel des Instituts ist es, Raum zu schaffen für ein Ringen um moderne, zukunftsfähige Beziehungsformen. Deshalb gerät dieses Institut durch die eigene "Gründung" nun in einen inneren Widerspruch mit sich selbst. Denn die "juristische Person", die von nun an die Beziehungen der Mitarbeiter mitgestaltet, ist nichts anderes als jene, heute zum unreflektierten Formalismus herabgesunkene römische Sippen-Verfassung. Durch sie wird auch heute der Mensch dem anderen Menschen nicht als Indivduum gegenübergestellt, sondern mit ihm als Gruppenwesen zusammengefasst - wie ich im Folgenden zeigen werde.

Durch seine "Rechtsform" öffnet das Institut die Tore für die Impulse einer längst ausgestorbenen Gesellschaft. Und es wird den Geistern der Vergangenheit nur so lange stand halten können, als es ihnen den Geist der Gegenwart in kontinuierlicher Arbeit entgegenzustellen vermag. Initiativen, die diesem Konflikt durch Verbesserungen ihrer Rechtsform entgehen wollen, anstatt den Widerspruch zu leben und die Spannung zu halten, sind ihm bereits unterlegen. Dieser Konflikt kann eben gerade nicht gelöst werden. Ich will an zwei Beispielen, am Begriff des "Lohnes", und an der Funktion des "Vorstandes", genauer charakterisieren, was ich damit meine.

2. Die Illusion des Lohnbegriffs

Das Unternehmen X ist eine GmbH. Das heisst, es ist ein Menschenzusammenhang, der vom Staat als eine einzelne "juristische Person" behandelt wird. Dieser Menschenzusammenhang bringt durch seine Zusammenarbeit ein Produkt hervor. Rechtlich zugeordnet wird dieses Produkt jedoch nicht den Menschen, die es hervorgebracht haben, sondern der juristischen Person und ihrem Besitzer. Es geht also gewissermaßen dasjenige, was der Einzelne hervorbringt, automatisch in den Besitz desjenigen über, der durch die Struktur der Rechtsform als "Leiter" definiert ist. Das gegenseitige Verhältnis, das diesen Menschen als "Leiter" bestimmt, wird vom bewussten Willen der beteiligten Menschen zu keinem Zeitpunkt berührt. Auch der Übergang der Arbeitserzeugnisse in das Eigentum dieses "Leiters" findet nicht bewusst statt, sondern ergibt sich wie mit natürlicher Notwendigkeit durch das Wesen der "juristischen Person". Im weiteren Verlauf verkauft der "Leiter" dann "sein" Produkt auf dem Markt. Und da er ja "sein" Produkt verkauft, definiert er auch alleine das Teilungsverhältnis des Ertrages, den das Produkt auf dem Markt erzielt. Dadurch entsteht die Illusion des Lohnbegriffes, so, als würde der "Leiter" die arbeitenden Menschen für ihre Arbeit entlohnen. Tatsächlich kauft er ihnen aber das Erzeugnis ihrer Arbeit ab, um es weiterzuverkaufen. Nur muss er den Arbeitern dabei nicht den vollen Preis für Ihr Produkt bezahlen, da der reale Vorgang des Leistungstausches zwischen Individuum und Individuum nirgendwo ergriffen, sondern vom Sippenbegriff der "juristischen Person" nivelliert wird.

Rein ökonomisch betrachtet, macht es überhaupt keinen Sinn, das Produkt der gemeinsamen Arbeit als Eigentum des "Leiters" zu betrachten, wenigstens nicht, ohne vorher zu klären, zu welchem Preis es in seinen Besitz übergehen soll. Denn realökonomisch gesehen ist der Leiter bloß der Makler für die Erzeugnisse der arbeitenden Menschen. Wenn überhaupt, trägt er seine Leistungen für das Zustandekommen des Endergebnisses ebenso bei wie jeder andere Mitarbeiter. Das heisst, es müsste das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung innerhalb eines Unternehmens seinen Niederschlag in einem Vertrag über die Aufteilung des gemeinsam erwirtschafteten Ertrages finden. Es kann keinen "Arbeitsvertrag" geben, sondern nur einen Teilungsvertrag, da niemand tatsächlich die "Arbeit" eines anderen abkauft, sondern die Erzeugnisse der Arbeit. Begriffe wie "Arbeitgeber", "Arbeitnehmer", "Lohn" oder "Arbeitskosten" sind keine ökonomischen Begriffe, sie haben überhaupt kein realökonomisches Pendant, sondern sind lediglich Ausdruck des Umstandes, dass die Beziehung zwischen den Menschen innerhalb eines Betriebes noch nicht vom Wachbewusstsein dieser Menschen berührt wurde.

An die Mechanik dieses Skeletts der römischen Gesellschaft knüpft sich dann der weitere Abstraktionsprozess, der so genannte Finanzmarkt. Zum Beispiel kann der Dominus ja auch dauerhaft außer Haus sein. Das heisst, der "Eigentümer" der GmbH kann auch in einem anderen Land sitzen, oder sogar nur ein Briefkasten einer juristischen Person mit Sitz auf der Steueroase Jersey sein. Der tatsächliche, vor Ort anwesende und mit dem Unternehmen verbundene "Leiter" ist deshalb heute meist ebenso ein Lohnempfänger wie alle anderen. Das heisst, letztendlich löst sich das "Recht" sogar von der Leitungsfunktion. Der Ertrag der gemeinsamen Arbeit "gehört" dann einer "Person", die am Zustandekommen des Ertrages überhaupt nicht mehr beteiligt ist, und die überdies meistens gar nicht ein Mensch ist, sondern wiederum eine juristische Person, deren Mitglieder auch keine Menschen sind, sondern wieder juristische Personen, und so weiter.

Dass jeder Mensch bloß Kraft seines Menschseins gewissermaßen eine Sippe für sich ist, als individuelles Einzelwesen schon eine Person ist - das wäre für die Römer undenkbar gewesen. Erst die Aufklärung stößt den Menschen auf sein individuelles "Ich". Diese Aufklärung hat jedoch nicht die Kraft, den Boden wirklich umzugraben, auf dem sie selbst gewachsen ist. Sie führt gewissermaßen ein rein intellektuelles Dasein auf der Grundlage einer sozialen Wirklichkeit, die nach wie vor durch frühere Bewusstseinsverfassungen definiert ist. Das "Ich" bleibt eine Theorie, ohne Konsequenz für die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Umstand, dass die menschlichen Beziehungen somit durch Formen bestimmt werden, die den Menschen nicht mehr angemessen sind, führt tragischerweise gerade nicht zu einem bewussten Ergreifen dieser Formen, sondern zum Gegenteil: weil sie dem Wachbewusstein des modernen Menschen nicht entsprechen, sinken diese Formen ins Unbewusste herab.

Rudolf Steiner versuchte diese archaischen Formen unseres Zusammenlebens zunächst ins Bewusstsein zu heben, um sie dem Gestaltungswillen des Einzelnen wieder zugänglich zu machen. Über die Absicht seines sozialwissenschaftlichen Hauptwerkes, Die Kernpunkte der sozialen Frage, schrieb er: "Diese Schrift stellt eine Form des sozialen Organismus dar, in dem der Begriff des Arbeitslohnes ebenso eine Umformung erfährt wie der alte Eigentumsbegriff." Diese Umformung war für den Begründer der Waldorfschulen aber gleichbedeutend mit der Abschaffung der "juristischen Person": "Sehen Sie, ein Begriff wird in der Zukunft ganz verschwinden müssen, der Begriff der juristischen Persönlichkeit, auch der wirtschaftlich-juristischen Persönlichkeit. Es wird tatsächlich das, was an Steuern zu bezahlen ist, von einzelnen Menschen zu zahlen sein, weil im Staate, im demokratischen Staate, auf dem Boden, auf dem das Recht leben soll, der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen gegenübersteht. Die Menschen können nur dann gleich sein, wenn ein Mensch dem anderen als Einzelner gegenübersteht."

3. Der Vorstandsposten steht echter Führung im Weg

Die knöcherne, nicht aus Einsicht in die sachlichen Notwendigkeiten gebildete Hierarchie innerhalb einer "juristischen Person" macht diese zum geeigneten Opfer für feindliche Übernahmen. Wer sich der Finanzkrise entgegenstellen will, muss deshalb zuerst fragen, wie die Mitarbeiter eines Unternehmens ihre wechselseitigen Beziehungen ins Bewusstsein heben und selbst regeln können, anstatt diese durch den Automatismus ihrer Rechtsform von Außen zu empfangen. (Warum neben die hier entwickelte betriebsinterne Prespektive (Geistesleben) außerdem eine Vernetzung (Assoziation) treten muss, die ihrerseits niemals den hier dargelegten Prinzipien folgen kann, habe ich an anderer Stelle ausführlich entwickelt. Hier schreibe ich aber ganz bewusst nur über die betriebsinterne Perspektive. Das Leben aus allen drei möglichen Perspektiven betrachten zu können, ist eben der Grundgedanke der Dreigliederung.)

Selbstverständlich kann in einem Betrieb nicht jeder machen, was er will. Es muss eine Aufteilung der Arbeitsgebiete, und auch eine Leitung möglich sein. In diesem Sinn braucht ein funktionierendes Unternehmen also durchaus eine hierarchische Ordnung. Es gibt jedoch zwei Arten von Hierarchien: Die eine wird dem Menschenzusammehang als äußere Idee übergstülpt, so dass durch diese Idee eben bestimmte Posten etc. definiert sind. Das ist die Hierarchie, wie sie durch eine Rechtsform installiert wird. Das Gegenteil ist diejenige Hierarchie, die sich aus der Notwendigkeit der Sache ergibt, sobald Menschen vor einer praktischen Aufgabe stehen.

Es entsprach durchaus einmal dem geistigen Entwicklungsstand der Menschheit, sich von einer starr definierten Autorität leiten zu lassen. Die Beschaffenheit des heutigen Menschen, aber auch der Ernst der gegenwärtigen Aufgaben fordert jedoch die Einsicht, dass nur derjenige leiten kann, der sich in einem bestimmten Zusammenhang am ehesten als fähig erweist, das konkrete Problem zu lösen. Das heisst in der Praxis: Es macht keinen Sinn, wenn ein "Vorstand" die Frage X entscheidet, sondern es muss umgekehrt eine Gemeinschaftsform gefunden werden, durch die stetes diejenige Person der Gemeinschaft aktuell "vorsteht", welche die gerade entstandene Frage X aufgrund ihrer individuellen Neigungen am ehesten beantworten kann. Eine Vor-Individualistische Zeit mag in der äußerlich fixierten Führungsposition einer einzelnen Person ihr Heil gefunden haben. Heute ist der Fortgang der Menschheitsgeschichte immer stärker abhängig von der Frage, wie ihr jeder Einzelne diejenigen Kräfte zuführen kann, die aufgrund seiner individuellen Neigungen und Fähigkeiten nur ihm selbst zur Verfügung stehen. Heute kann die Führungsrolle deshalb nicht mehr durch eine äußere Form konserviert werden, auch dann nicht, wenn die Konserve selbst gewählt wurde. Vielmehr muss sich alle Autorität aus den unmittelbaren Anforderungen des Lebens von Tag zu Tag neu bilden und wieder auflösen können.

Das ist die Verfassung des Instituts für soziale Dreigliederung. Wer eine Zeitlang im Berliner Büro mitarbeitet, wird sich den Kopf zerbrechen, wer eigentlich der "Chef" ist - bis ihm aufgeht, dass hier jeder Chef ist, nur in einer anderen Beziehung. Aber auch diese Beziehung ist nicht fest definiert, sondern ergibt sich eben aus der Erkenntnis des anderen. Denn jeder Mensch kann einem anderen Menschen in einer bestimmten Sachfrage zur Autorität werden, sogar das Kind. Diese freie Autoritätsbildung ist die Voraussetzung der menschlichen Entwicklung. Wer sich weiterentwickeln will, muss sich frei an demjenigen orientieren können, der ihm in der jeweiligen Sachfrage Neues eröffnen kann, und darf umgekehrt in keinem Augenblick gezwungen sein, jemandem zu folgen, der ihm an dieser Stelle unterlegen ist. Eine in diesem Sinn freie Gemeinschaft bildet eine Verfassung aus, die ununterbrochen fluktuiert, in der niemals allgemein gesagt werden kann, wer gerade "führt", sondern nur in einer bestimmten Hinsicht, weil sich alle Führung aus den jeweils aktuell zu lösenden Sachfragen ableitet.

Diese Verfassung funktioniert keineswegs nur in kleineren Arbeitszusammenhängen. Man mag vielleicht einwenden, dass es in größeren Unternehmen klar umrissene Aufgabengebiete braucht, damit die Kontinuität der Arbeit garantiert werden kann. Genau das ist aber erst durch eine solche freie Zusammenarbeit möglich, wenn man sie nur konsequent zu Ende führt: Die Anerkennung des anderen auf seinem Gebiet kann durchaus zu einem Vertrag über Leistung und Gegenleistung führen (im Sinne des realen Arbeitsbeitrags von beiden Seiten), so dass für einen definieren Zeitraum garantiert ist, dass niemand dem anderen in dessen Gebiet hineinredet. Dem oben genannten Vertrag über die Aufteilung des gemeinsam erwirtschafteten Ertrages entspricht dann der Vertrag über Leistung und Gegenleistung in Bezug auf das gemeinsame Produkt.

Klare Strukturen sollen also gerade entstehen, aber eben solche, die sich aus den Notwendigkeiten der zu meisternden Aufgaben ergeben. Sofern die Aufgabenverteilung allein auf der freiwilligen Anerkennung der Eignung des jeweils anderen beruht, kommen Posten und Fähigkeit allmählich wieder zur Deckung. Damit verschwinden die dem wirtschaftlichen Geschehen wesensfremden Begriffe "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer", und machen die Sicht frei für den realen Vorgang: für das Leisten und Gegenleisten. Die Ständegesellschaft darf allmählich einer Leistungsgesellschaft weichen, die im Stande ist, die Zukunft zu meistern.

Indem in dieser Weise das Rechtsleben aus dem Betrieb hienausgeworfen und das innerbetriebliche Verhältnis von Individuum zu Individuum klar gefasst ist als das Gebiet des freien Geisteslebens, ist gleichzeitig auch der Punkt markiert, an dem das Rechtsleben nun seinerseits gegriffen werden muss. Die betriebsinterne Struktur kann sich nämlich nur dann aus der Sache ergeben, wenn die Zuteilung der Aufgabengebiete unter gleichen rechtlichen Voraussetzungen geschieht, das heisst aber, wenn sich niemand als "Eigentümer" des Arbeitsplatzes definieren kann. Gegenwärtig greift der Staat jedoch störend in das innerbetriebliche Verhältnis ein, indem er dort das Vorrecht Einzelner garantiert. So lange der Staat nicht die Rechte jedes Menschen schützt, kann man das staatlich garantierte Vor-Rechtsleben durch Konstruktionen wie Stiftunsgeigentum, Syndikatsmodell und ähnliches aushebeln (siehe hier), und so die rechtlichen Bedingungen für ein freies Geistesleben und ein brüderliches Wirtschaftsleben gewissermaßen künstlich herstellen.

4. Die psychologischen Voraussetzungen der Freiheit

Autoritäre Strukturen überwinden bedeutet etwas ganz anderes als das zur Schau zu tragen einer vermeintlich "antiautoritären Einstellung". Die Begegnung mit manchen angeblichen Anarchisten gehört deshalb zu den traurigsten Erfahrungen meines Lebens. Viele dieser angeblichen Freigeister lehnen die Autorität nämlich deshalb ab, weil sie die menschliche Individualität als solche fürchten, und sich nach einer absoluten, jeden Menschen mit mechanischer Notwendigkeit zwingenden Autorität sehnen. Dass das tatsächliche Autoritätsstreben nicht erkannt wird, sondern sich dann zum Beispiel hinter aus der Tierwelt entlehnten Begriffen wie "Rudel" oder anderen Formen des Gruppenzwangs verbirgt, zeigt nur den Abstraktionsgrad einer Verfassung an, die ihrem Wesen nach die römische bleibt.

Die äußere Autorität ablehnen alleine führt eben noch nicht zu ihrer Überwindung. Die eigentliche Kunst besteht vielmehr darin, den Prozess der Autoritätsbildung als solchen zu beherrschen, das heisst, seine Anerkennung auch frei demjenigen schenken zu können, der sie nach dem eigenen Urteil verdient, und sie demjenigen wieder zu entziehen, der sie nicht mehr verdient. Das ist deshalb schwerer, weil einem da nicht das äußere "System", sondern die eigenen Triebe im Wege stehen, wie z.B. Neid, Sympathie oder Anerkennungssucht. Diese Triebe als solche ruhig in den Blick nehmen und ein von ihnen unabhängiges, freies Urteil fällen zu können, ist das notwendige innere Gegenstück zur Ablehnung der äußeren Autorität. Ein in diesem Sinn freier Mensch wird sich zwar nicht anmaßen, z.B. ein besserer Mediziner zu sein als sein Arzt, sofern er selbst Tischler ist von Beruf. Er wird sich allerdings nicht schon deshalb von einem Menschen behandeln lassen, weil dieser einen weißen Kittel trägt und die Kasse zahlt, sondern er wird sich die Urteilsgrundlage dafür verschaffen, diesem Menschen die Autorität als "Arzt" selbst zuzusprechen, oder zu entziehen. Er wird gewissermaßen das Interesse für den anderen Menschen an die Stelle rücken, wo sonst Verordnungen, Zertifikate und Standards entscheiden.

In dem Mass, in dem das gelingt, wirkt gemeinschaftsbildend dasjenige, was selbst nur der unmittelbare Ausfluss der freien Individualität ist. Es verbinden sich Menschen durch etwas, in dem sie selbst aktiv drinnen stecken. In GmbH, Verein oder Genossenschaft dagegen steckt der Geist der Mitglieder nicht aktiv drinnen, sondern das vermeintlich Gemeinschaftsbildende ist hier ein Automat. Zum Beispiel tun Einzelne etwas, weil es der Vorstand, die Satzung, oder das Abstimmungsergebnis will, das heisst: sie handeln passiv. Es kommt dabei nicht darauf an, ob diese konkrete Handlung von einem theoretischen Gesichtspunkt gesehen "richtig" genannt werden darf. Negativ wirkt auf die Gemeinschaft die Tatsache, dass der Einzelne den Antrieb für diese Handlung dann nicht allein seiner freien Einsicht entnimmt. Dadurch wird die zwischenmenschliche Beziehung nämlich durch etwas bewirkt, was die Anwesenheit des ganzen Menschen aus dieser Beziehung gleichzeitig ausschliesst. Was so als Indviduell-Seelisches aus der Begegnung ausgeschlossen wurde, kehrt dann von einer ganz anderen Seite wieder - als Fratze einer Intrige, Anbiederung, unangebrachten Lohnforderung und ähnliches.

Nur wenn sich alle Hierarchie durch die freie Anerkennung der jeweils sachlich begründeten Autorität erklären lässt, wenn also jedes Mitglied auf seinem Gebiet die uneingeschränkte Autorität ist, und diese Autorität umgekehrt keinem anderen Umstand als der freien Anerkennung seiner Mitarbeiter verdankt, erhält die Gemeinschaft eine den in ihr lebenden Menschen gemäße Form. Nach der äußeren "Gründung" einer Unternehmung muss diese innere Beziehungsform um so entschiedener ausgebildet werden, da ab diesem Zeitpunkt die Logik der Rechtsform gegen die Gemeinschaft arbeitet. Es lässt sich ja zum Beispiel nicht vermeiden, dass man sich dann zu einer Vereinssitzung oder ähnlichem Unsinn trifft. In diesem Augenblick ist höchste Wachsamkeit gefordert. Denn dann gilt es, während der Sitzung die tatsächliche, produktive Verantwortlichkeit, die immer nur an die real handelnde Individualität in ihrem konkreten Betätigungsfeld gebunden ist, scharf von der generalisierenden Pseudo-Verantwortung eines "Gremiums" zu unterscheiden.

Ich kenne Menschen, die ihr Leben lang über Dinge abstimmten, die sie nie aus eigener Erfahrung kennenlernten. Die sind in unzähligen Vereinen "Mitglieder", und leben in dem Gefühl, total aktiv zu sein. Tatsächlich sind sie selbst nur das letzte Endprodukt der Verhältnisse, die sie zu beherrschen glauben. Sie merken es nur nicht mehr, weil bei ihnen sogar schon die Tat eine Theorie geworden ist. Die glauben, sie tun etwas, wenn sie etwas beschließen. Es sind Aktivisten der Theorie. Die fragen mich zum Beispiel: wie kann ich denn Mitglied in der Bewegung für soziale Dreigliederung werden? Wenn ich Ihnen dann sage, dass diese Bewegung keine Mitglieder hat, weil sie keine Mittäterschaft der Theorie kennt, verstehen sie die Welt nicht mehr.

Demokratie als Blendwerk

Die größten Schäden des sozialen Lebens entstehen dort, wo aus Unkenntnis der sozialen Gesetzmäßigkeiten Forderungen in ein Gebiet hinübergetragen werden, in dem sie gar nicht greifen können. Dem Gebiet des Rechtsebens ist das Ideal der Demokratie, dem des Wirtschaftslebens das der Brüderlichkeit, und dem des Geisteslebens das der Freiheit angemessen. Wie oben dargelegt wurde, wird das Ideal der Demokratie auf rechtlichem Gebiet gerade nicht ergriffen, so dass gegenwärtig Vor-Rechtsverhältnisse dasjenige Gebiet stören können, in dem sich das Ideal der Freiheit entfalten soll. Weil ihnen klare Begriffe fehlen, reagieren viele Menschen nun aber auf den Mangel des Staatslebens so, dass sie die dort angemessene Forderung plötzlich an einer ganz anderen Stelle anbringen. Das heisst, sie drängen nicht etwa die Rechtssphäre wieder aus ihrer Freiheitssphäre hinaus, sondern reagieren auf das Hereinragen des korrumpierten Rechtslebens in ihren Betrieb so, dass sie nun die Demokratie innerbetrieblich verwirklichen wollen. Damit wird die Verstrickung der drei Lebensgebiete jedoch zum größten nur möglichen Unsinn gesteigert.

Man täuscht sich über das Wesen der Rechtsformen am schlimmsten dadurch, dass ihnen demokratische Elemente eingebaut sind. Diese demokratischen Elemente schaffen die Illusion, als sei das fremdbestimmte Handeln selbstbestimmt, und sind somit der wahre Grund dafür, dass die Gemeinschaften nicht zu einer menschenwürdigen Form kommen. Unfreiheit ist aber auch dann Unfreiheit, wenn sie selbst gewählt wurde. Am Beispiel des Vorstandspostens heisst das: Das Problem bleibt, dass die theoretische Verantwortlichkeit eines Vorstandes niemals zusammenfallen kann mit der tatsächlichen, sich aus der aktuellen Sachlage ergebenden Befugnis. Das Ritual der demokratischen Vorstandswahl ist somit selbst ein aktiver Widerspruch gegen den Gedanken der Selbstbestimmung, und damit gegen den Geist der eigenen Gemeinschaft gerichtet. Diese Tatsache muss jeder Beteiligte während der Sitzung im Bewusstsein haben, und sich selbst bei der wirklichen Arbeit an die wahre Verfassung halten, die eben niemals durch starre Definitionen festgehalten, sondern nur im Leben erkannt werden kann.

Die Rechtsform stellt Menschen äußerlich nebeneinander, zum Beispiel dadurch, dass diese "Mitglieder" eines Vereines sind, und eine gemeinsame "Satzung" haben. Das hat mit Gemeinschaftsbildung jedoch gar nichts zu tun. Die Zustimmung zu einer Idee, die Verabschiedung eines Programmes, all das lässt die Beteiligten doch beziehungslos nebeneinanderstehen. Denn man muss ja, außerdem dass man für oder gegen etwas ist, dann auch in Wirklichkeit handeln. Und in dem Augenblick, da die Handlung in Betracht kommt, ist der Mensch alleine. Denn handeln kann nur der jeweils einzelne Mensch. Deshalb spielt in die Praxis notwendig immer all das hinein, was der Einzelne gerade nicht mit der Gemeinschaft teilt, sondern was ihn zu einem Individuum macht. Und dann stellt sich erst die Frage, von der das äußere Leben in Wirklichkeit abhängt: Kann der Einzelne seine Handlung frei nach dem Urteil bestimmen, das er aufgrund der eigenen Fähigkeiten und in der konkreten Situation nur selbst bilden kann? Oder muss er sich nach einer bereits formulierten Idee richten? Hier ist nicht Gleichheit, sondern Freiheit am Platz. Wenn er sich nach einer Idee richten muss, wenn also ein Mehrheitsbeschluss verhindert, dass das Individuum in der konkreten Situation kreativ die ihm ureigenen Kräfte mobilisiert, spielt es überhaupt keine Rolle, ob er selbst für oder gegen das Programm gestimmt hat. Dann ist er faktisch unfrei. Dann aber fehlt der Gemeinschaft der Zufluss der Kräfte, die nur dieses Individuum ihr hätte geben können.

Eine freie Gemeinschaft überlässt es dem Einzelnen, sich seine Idee selbst zu geben. Sie fragt niemals: was muss der andere für eine Idee im Kopf haben, damit er "richtig" handelt. Sondern sie fragt: Wer ist der andere? Sie sucht das Gemeinschaftsbildende also erst gar nicht in Ideen, sondern bricht die soziale Frage herunter auf die Begegnungsebene. Wer dieses Prinzip begreift, dem geht auf, warum zwischen der Ausbildung eines Interesses für den anderen Menschen auf der einen Seite, und der eigenen Freiheit auf der anderen Seite eine wechselseitige Abhängigkeit besteht. Der Mensch ist in genau dem Maße frei, in dem er seinen Nächsten erkennt, und umgekehrt. Und in dieser Verbindung liegt zugleich die größtmögliche Effizienz eines Unternehmens.

Es ist unglaublich schwer, gegen die Illusionen anzukommen, die uns gegenwärtig als "politische Bildung" eingetrichtert werden. Bald glauben die Menschen tatsächlich, nur ein einziges Gestaltungsmittel zu besitzen: das Abgeben der eigenen "Stimme". Dieses Moment des Dafür- oder Dagegenseins, dieser primitive Reflex ist jedoch nur der kleinste überhaupt mögliche Berührungspunkt mit dem anderen Menschen. Es ist überhaupt nicht sozial, sich auf diesen Punkt zurückzuziehen. Wir stehen vor der Aufgabe, den Punkt zur Fläche auszuweiten. Und das kann nur gelingen, wenn der Einzelne seine Stimme nicht mehr abgibt, sondern sie behält.

Johannes Mosmann, 30. Januar 2013

Diesen Beitrag kommentieren [Auf dem Blog]

Hat Ihnen die Lektüre gefallen?

Dann spenden Sie mir bitte so viel, wie es Ihnen wert ist, dass ich weiterhin solche Texte veröffentlichen kann. Ich lebe ausschließlich von den kleinen Beträgen, die Menschen wie Sie schenken möchten. So kann ich meine Arbeit kostenlos und öffentlich anbieten.

Hier gehts zum Spendenformular: http://www.dreigliederung.de/institut/spenden.php